Augsburger Allgemeine (Land Nord)
London: Höchste Terrorwarnstufe nach Anschlag
Bombe explodiert in U-Bahn – 29 Verletzte
London Nach dem Anschlag auf die Londoner U-Bahn gilt jetzt die höchste Terrorwarnstufe in Großbritannien. Das sagte Premierministerin Theresa May am Freitagabend im BBC-Fernsehen. Die Warnstufe fünf bedeutet, dass die britischen Behörden einen unmittelbar bevorstehenden Terroranschlag für möglich halten.
Bei der Explosion einer selbstgebauten Bombe in einer voll besetzten U-Bahn nahe der oberirdischen Haltestelle Parsons Green waren am Morgen mindestens 29 Menschen verletzt worden. Die Polizei leitete eine Großfahndung nach dem Täter ein. Die IS-Terrormiliz reklamierte den Anschlag für sich. Ein Kämpfer des Islamischen Staates habe die Tat ausgeführt, meldete das IS-Sprachrohr Amak am Freitagabend im Internet.
Großbritannien ist damit zum fünften Mal in diesem Jahr Ziel eines Anschlags geworden. Bei den früheren Attentaten in London und Manchesterr waren 36 Menschen ums Leben gekommen. (dpa)
London Die Bahn war wie jeden Morgen im Londoner Berufsverkehr völlig überfüllt, aber der routinierte Pendler Rory Rigney drückte sich mit ein paar anderen Passagieren noch in den Waggon. Die Luft war heiß und stickig, zudem herrschte die zur Stoßzeit klassische Stille. Die Türen waren noch nicht geschlossen, da durchbrach plötzlich ein Knall die Ruhe, und weil dieser nicht „gewaltig laut“war, dachte der 37-Jährige kurz, etwas sei zertrümmert worden. Rigney hörte einen Schrei und schon sah er einen „Feuerball“auf sich zukommen – „gelb oder orange“, wie er Medien später schilderte. Selbst da fühlte er noch die Wärme auf seinem Gesicht.
Später stellte sich heraus: Eine selbst gebaute Bombe war gegen 8.20 Uhr in einer U-Bahn an der oberirdischen Haltestelle Parsons Green im Südwesten der britischen Metropole explodiert. 29 Menschen trugen Verletzungen davon, niemand schwebt laut Behörden in Lebensgefahr. Es handelte sich haupt- sächlich um Verbrennungen, mit denen die Opfer im Krankenhaus behandelt wurden. Die Polizei stufte den Vorfall als Terroranschlag ein. Die Ermittlungen laufen – genauso wie die Großfahndung nach dem Täter oder den Tätern.
Bevor Rory Rigney mit der Menge die Flucht aus dem Waggon gelingen konnte, fiel ihm noch der Geruch auf, der ihn an ein gelöschtes Feuer erinnerte. Außerdem entdeckte er eine Discounter-Tüte, in die ein kleiner weißer Eimer gepackt war, aus dem nun „rote Drähte“ragten. Und er brannte.
Hunderte Menschen rannten in Panik, viele schreiend, zur einzigen Treppe des kleinen Bahnhofs, die zu den beiden Ausgängen führt. Augenzeugen berichteten, wie die Leute zu Boden fielen, übereinandertrampelten und sich „wie die Sardinen“auf den Stufen drängelten. Chaos. Alle wollten nur weg, auch wenn die meisten nicht einmal wussten, was passiert war.
„Die Schreie waren so laut und angsteinflößend, dass wir um unser Leben liefen“, sagte Emma, die sich bei der Explosion im Waggon nebenan befand. Zu tief sitzt bei den Briten der Schock nach vier Terroranschlägen zwischen März und Juni dieses Jahres.
Bereits kurz nach dem Anschlag berief Premierministerin Theresa May den nationalen Krisenstab ein und drückte den Opfern ihr Mitgefühl aus. Außenminister Boris Johnson rief die Bevölkerung auf, Ruhe zu bewahren. Bürgermeister Sadiq Khan sagte: „Unsere Stadt verurteilt die widerwärtigen Individuen, die mit Terror versuchen, uns zu schaden und unsere Lebensweise zu zerstören.“
Den ganzen Tag kreisten Helikopter über der Gegend, die großräumig abgesperrt und untersucht wurde. Hunderte Beamte werteten Videomaterial und andere Beweismittel aus, wie der Chef der Londoner Anti-Terror-Einheit, Mark Rowley, bekannt gab. Keine andere Großstadt in Europa hat mehr Überwachungskameras installiert als die britische Metropole – an jeder Straßenecke, in U-Bahnen, an Stationen. Seitdem im Jahr 2005 vier Selbstmordattentäter 52 Menschen bei Anschlägen in der Londoner Underground sowie in einem Bus töteten, wird immer wieder der öffentliche Nahverkehr als Schwachstelle ausgemacht. Sollte sich die gestrige Explosion als Terroranschlag bestätigen, wäre dies bereits der fünfte im Königreich in 2017.
Beobachter spekulierten gestern unter Berufung auf Polizeikreise, dass die Bombe wahrscheinlich nicht wie geplant explodiert sei. „Es hätte weitaus schlimmer kommen können“, hieß es unaufhörlich. London scheint dieses Mal verhältnismäßig Glück gehabt zu haben.