Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Hier gibt’s Holler kistenweis­e

Unser Essen Familie Mühleisen pflanzt auf 1,7 Hektar Holunder an. Wie daraus Saft und Sirup werden und warum es dem Vater heuer vor der Ernte Angst und Bange wurde. Serie, Teil 12

- VON STEFFI BRAND

Neusäß Ottmarshau­sen Wenn es im Hause Mühleisen an die Holunderer­nte geht, ist die ganze Familie gefragt. Geerntet wird dann am besten im Zweierteam: Einer zieht den langen Ast voller Holunderbe­eren leicht nach unten, der Zweite schneidet Dolde um Dolde ab und stapelt die Beeren in große Kisten. Ein wenig erinnert das Szenario an die Weinlese.

Auf 1,7 Hektar Fläche in Ottmarshau­sen und in Deubach bauen die Mühleisens Holunder an, der später zu Saft der Marke „Unser Land“verarbeite­t wird. Aus den drei bis dreieinhal­b Tonnen Holunderfr­üchten, die der Betrieb normalerwe­ise erntet, werden später etwa 2000 Liter Holundersa­ft. Mühleisen ist einer von drei Holunderba­uern in der Region. Damit die Kelterei Merk in Kleinkitzi­gkofen (Landkreis Ostallgäu) die Maschine startet, müssen sich alle zusammentu­n. Erst ab etwa sechs Tonnen ist es für die „Unser-Land“-Produktion wirtschaft­lich sinnvoll, die Saftpresse zu aktivieren. Und da bereits geernteter Holunder rasch verarbeite­t werden muss, müssen sich alle Holunderba­uern abstimmen.

Ende August bis Anfang September ist Erntezeit für die Früchte. Und heuer wird es Jürgen Mühleisen wahrlich Angst und Bange. Der Grund: Seine Bäume stehen im ersten Jahr im Vollertrag und tragen mächtig viele Früchte – zu viel, um sie binnen zwei Tagen zu ernten? Es wird eng! Und nicht nur zeitlich könnte die Ernte in diesem Jahr aus dem Ruder laufen, sondern auch mengenmäßi­g. Mühleisen rechnet: Normalerwe­ise füllt er pro Baum eine Kiste voller Holunderbe­eren, das sind etwa zehn Kilogramm. Doch Ehefrau Johanna, Tochter Katrin und Sohn Dominik brauchen für die Früchte von nur einem Baum heuer fast eineinhalb Kisten. So beläuft sich die Ernte in diesem Jahr auf etwa 14 Kilogramm pro Baum.

„Es war heuer ein echt gutes Holunderja­hr“, freut sich Mühleisen. Ein Sommer, der nicht zu nass und nicht zu trocken ist, gefällt dem Holunder. Im vergangene­n Jahr, so erklärt Mühleisen, seien ihm 40 Bäume buchstäbli­ch „abgesoffen“. In diesem Jahr werfen die Holunderbä­ume den vollen Ertrag ab. Das ist in der Regel drei bis vier Jahre nach dem ersten Anbau der Fall. Im ersten Jahr werden die Blüten gekappt, damit der Baum seine Kraft ins Holz stecken kann. Im zweiten Jahr liegt der Ertrag bei etwa 25 Prozent, im dritten Jahr schon bei 80 Prozent. Ab dem vierten Jahr spricht man vom Vollertrag.

2005 hat Familie Mühleisen mit dem Obstanbau begonnen. Nach sieben Jahren Himbeeranb­au wurde ab 2012 auf Holunder umgestellt. Den Grund – der hohe zeitliche Aufwand, der mit dem Anbau von Himbeeren einhergeht – erklärt Mühleisen so: „Himbeeren sind wie Diven. Sie wollen dich täglich sehen.“

Im Vergleich zur Himbeere ist der Holunder wahrlich pflegeleic­ht. Im Winter brauchen die Bäume einen Schnitt, von Frühjahr bis Herbst wird regelmäßig das Unkraut zwischen den Baumreihen abgetragen. Im April werden die Stockaussc­hläge geschnitte­n, damit der Baum seine ganze Kraft in die fruchttrag­enden Äste stecken kann. Im Mai wird etwa ein Viertel der Blüten geerntet. Auch sie werden verarbeite­t: zu Holunderbl­ütensirup. Mengenmäßi­g gibt es hier einen großen Unterschie­d im Vergleich zur Fruchternt­e: In einer Kiste haben zwei Kilogramm Holunderbl­üten oder zehn Kilogramm Holunderbe­eren Platz. Pro Kilogramm Blüten gibt es für den Bauern zehn Euro, pro Kilogramm Beeren nur 1,20 Euro. Der wichtige Blütenschn­itt dient nicht nur dazu, Holunderbl­üten für Sirup zu ernten, sondern auch, um den perfekten Holunderas­t zu bekommen. An dem können die Früchte reifen, ohne sich dabei zu überlagern. Von der Familie Mühleisen werden heute zwei Holunderso­rten auf der Anlage angebaut: Heidegg13 und Haschberg. Gemeinsam geben sie ein gutes Gespann ab, denn der Heidegg13-Holunder, eine österreich­ische Züchtung, kann sich nicht selbst befruchten und der Haschberg ist nur wenig später reif. Von der frühreifen dritten Sorte mit Namen Sampo hat Mühleisen nur wenige Bäume und damit in jedem Fall zu wenig Früchte, um sie zur Kelterei zu bringen. Sie werden eingefrore­n oder privat zu Holunderwe­in verarbeite­t, den sich die Familie gerne schmecken lässt. Für Mühleisen selbst ist der Geschmack von purem Holunder eher „fad“. In Kombinatio­n mit Zitrone, Limette oder Orange schmeckt er ihm jedoch gut.

„So wie’s jetzt aussieht, sieht es eigentlich nie aus“, gesteht Mühleisen und verweist auf die Baumreihen, unter denen das Unkraut sprießt. Seit etwa sechs Wochen sei er dort nicht mehr durchgefah­ren, weil er seine selbst konstruier­te Maschine kaputt gefahren habe, erklärt er. Damit verrät der Familienva­ter auch seine heimliche Leidenscha­ft, die erst in zweiter Linie den Früchten gilt. Der gelernte Maschinenb­auingenieu­r hat eine Passion dafür, Geräte zu entwickeln, die ganz speziell für seine Zwecke ausgerüste­t sind. Und eben dieses Gerät ist seit einigen Wochen kaputt. Der Grund: Ebenfalls eine Familienan­gelegenhei­t, denn eigentlich ist die maschinell­e Unkrautent­fernung die Aufgabe von Sohn Dominik. Als Jürgen Mühleisen eingesprun­gen ist, sei es passiert. Lachend und stolz gleicherma­ßen erkennt der Vater an: „Dominik kann es einfach viel besser.“

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Jürgen Mühleisen (rechts) baut auf 1,7 Hektar in Ottmarshau­sen und Deubach Holunder an. Bei der Ernte packt die ganze Familie mit an.
 ??  ?? In einer Kiste haben zehn Kilogramm Holunderbe­eren Platz. Aus ihnen wird in Klein kitzighofe­n Saft gepresst.
In einer Kiste haben zehn Kilogramm Holunderbe­eren Platz. Aus ihnen wird in Klein kitzighofe­n Saft gepresst.
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Fotos: Marcus Merk

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