Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Hier gibt’s Holler kistenweise
Unser Essen Familie Mühleisen pflanzt auf 1,7 Hektar Holunder an. Wie daraus Saft und Sirup werden und warum es dem Vater heuer vor der Ernte Angst und Bange wurde. Serie, Teil 12
Neusäß Ottmarshausen Wenn es im Hause Mühleisen an die Holunderernte geht, ist die ganze Familie gefragt. Geerntet wird dann am besten im Zweierteam: Einer zieht den langen Ast voller Holunderbeeren leicht nach unten, der Zweite schneidet Dolde um Dolde ab und stapelt die Beeren in große Kisten. Ein wenig erinnert das Szenario an die Weinlese.
Auf 1,7 Hektar Fläche in Ottmarshausen und in Deubach bauen die Mühleisens Holunder an, der später zu Saft der Marke „Unser Land“verarbeitet wird. Aus den drei bis dreieinhalb Tonnen Holunderfrüchten, die der Betrieb normalerweise erntet, werden später etwa 2000 Liter Holundersaft. Mühleisen ist einer von drei Holunderbauern in der Region. Damit die Kelterei Merk in Kleinkitzigkofen (Landkreis Ostallgäu) die Maschine startet, müssen sich alle zusammentun. Erst ab etwa sechs Tonnen ist es für die „Unser-Land“-Produktion wirtschaftlich sinnvoll, die Saftpresse zu aktivieren. Und da bereits geernteter Holunder rasch verarbeitet werden muss, müssen sich alle Holunderbauern abstimmen.
Ende August bis Anfang September ist Erntezeit für die Früchte. Und heuer wird es Jürgen Mühleisen wahrlich Angst und Bange. Der Grund: Seine Bäume stehen im ersten Jahr im Vollertrag und tragen mächtig viele Früchte – zu viel, um sie binnen zwei Tagen zu ernten? Es wird eng! Und nicht nur zeitlich könnte die Ernte in diesem Jahr aus dem Ruder laufen, sondern auch mengenmäßig. Mühleisen rechnet: Normalerweise füllt er pro Baum eine Kiste voller Holunderbeeren, das sind etwa zehn Kilogramm. Doch Ehefrau Johanna, Tochter Katrin und Sohn Dominik brauchen für die Früchte von nur einem Baum heuer fast eineinhalb Kisten. So beläuft sich die Ernte in diesem Jahr auf etwa 14 Kilogramm pro Baum.
„Es war heuer ein echt gutes Holunderjahr“, freut sich Mühleisen. Ein Sommer, der nicht zu nass und nicht zu trocken ist, gefällt dem Holunder. Im vergangenen Jahr, so erklärt Mühleisen, seien ihm 40 Bäume buchstäblich „abgesoffen“. In diesem Jahr werfen die Holunderbäume den vollen Ertrag ab. Das ist in der Regel drei bis vier Jahre nach dem ersten Anbau der Fall. Im ersten Jahr werden die Blüten gekappt, damit der Baum seine Kraft ins Holz stecken kann. Im zweiten Jahr liegt der Ertrag bei etwa 25 Prozent, im dritten Jahr schon bei 80 Prozent. Ab dem vierten Jahr spricht man vom Vollertrag.
2005 hat Familie Mühleisen mit dem Obstanbau begonnen. Nach sieben Jahren Himbeeranbau wurde ab 2012 auf Holunder umgestellt. Den Grund – der hohe zeitliche Aufwand, der mit dem Anbau von Himbeeren einhergeht – erklärt Mühleisen so: „Himbeeren sind wie Diven. Sie wollen dich täglich sehen.“
Im Vergleich zur Himbeere ist der Holunder wahrlich pflegeleicht. Im Winter brauchen die Bäume einen Schnitt, von Frühjahr bis Herbst wird regelmäßig das Unkraut zwischen den Baumreihen abgetragen. Im April werden die Stockausschläge geschnitten, damit der Baum seine ganze Kraft in die fruchttragenden Äste stecken kann. Im Mai wird etwa ein Viertel der Blüten geerntet. Auch sie werden verarbeitet: zu Holunderblütensirup. Mengenmäßig gibt es hier einen großen Unterschied im Vergleich zur Fruchternte: In einer Kiste haben zwei Kilogramm Holunderblüten oder zehn Kilogramm Holunderbeeren Platz. Pro Kilogramm Blüten gibt es für den Bauern zehn Euro, pro Kilogramm Beeren nur 1,20 Euro. Der wichtige Blütenschnitt dient nicht nur dazu, Holunderblüten für Sirup zu ernten, sondern auch, um den perfekten Holunderast zu bekommen. An dem können die Früchte reifen, ohne sich dabei zu überlagern. Von der Familie Mühleisen werden heute zwei Holundersorten auf der Anlage angebaut: Heidegg13 und Haschberg. Gemeinsam geben sie ein gutes Gespann ab, denn der Heidegg13-Holunder, eine österreichische Züchtung, kann sich nicht selbst befruchten und der Haschberg ist nur wenig später reif. Von der frühreifen dritten Sorte mit Namen Sampo hat Mühleisen nur wenige Bäume und damit in jedem Fall zu wenig Früchte, um sie zur Kelterei zu bringen. Sie werden eingefroren oder privat zu Holunderwein verarbeitet, den sich die Familie gerne schmecken lässt. Für Mühleisen selbst ist der Geschmack von purem Holunder eher „fad“. In Kombination mit Zitrone, Limette oder Orange schmeckt er ihm jedoch gut.
„So wie’s jetzt aussieht, sieht es eigentlich nie aus“, gesteht Mühleisen und verweist auf die Baumreihen, unter denen das Unkraut sprießt. Seit etwa sechs Wochen sei er dort nicht mehr durchgefahren, weil er seine selbst konstruierte Maschine kaputt gefahren habe, erklärt er. Damit verrät der Familienvater auch seine heimliche Leidenschaft, die erst in zweiter Linie den Früchten gilt. Der gelernte Maschinenbauingenieur hat eine Passion dafür, Geräte zu entwickeln, die ganz speziell für seine Zwecke ausgerüstet sind. Und eben dieses Gerät ist seit einigen Wochen kaputt. Der Grund: Ebenfalls eine Familienangelegenheit, denn eigentlich ist die maschinelle Unkrautentfernung die Aufgabe von Sohn Dominik. Als Jürgen Mühleisen eingesprungen ist, sei es passiert. Lachend und stolz gleichermaßen erkennt der Vater an: „Dominik kann es einfach viel besser.“