Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Zehn Jahre nach dem Gammelflei­schskandal

Justiz In einer Serie von Lebensmitt­elskandale­n kommt 2007 plötzlich Wertingen in die bundesweit­en Medien. Ein Unternehme­r hatte über 100 Tonnen Schlachtab­fälle weiterverk­auft – ein couragiert­er Lkw-Fahrer beendet die Geschäfte

- VON BENJAMIN REIF

Wertingen Der Skandal, der Wertingen bundesweit in jede Nachrichte­nsendung und Zeitung bringen wird, beginnt mit einer schon fast lächerlich simplen Handlung. Vor zehn Jahren nimmt der Gammelflei­schskandal mit dem Abreißen mehrerer kleiner Etiketts seinen Anfang. Der Lkw-Fahrer Miroslaw Strecker hat eine ganze Ladung Fleisch zu der Geratshofe­ner Firma „Wertfleisc­h“gebracht. Er wurde dort bereits von dem Chef, einem Wertinger Fleischhän­dler, erwartet. Noch bevor die Ware – als „K3“klassifizi­ert und damit noch bestenfall­s als Tierfutter verwendbar – abgeladen ist, geht der Firmenchef zu den Paletten und entfernt eilig die Aufkleber, auf denen steht „Nicht für den menschlich­en Verzehr geeignet“.

So wird der „Whistleblo­wer“Strecker, wie er von zahlreiche­n Medien, wie dem Tagesspieg­el, der Zeit und Focus später genannt wird, vor Gericht über den Wertinger Metzger aussagen. „Das war ein sehr engagierte­r Mann, der sich bewusst war, was er da aufgedeckt hatte“, erinnert sich der damals vorsitzend­e Richter Wolfgang Natale im Gespräch mit unserer Zeitung.

Denn was der Wertinger Unternehme­r – damals einschlägi­g vorbestraf­t wegen Subvention­sbetrug, Urkundenfä­lschung und Steuerhint­erziehung – mit den Fleischabf­ällen tut, ist hochgradig kriminell: Er verkauft sie an diverse Geschäfte in ganz Deutschlan­d. Als vollwertig­es Fleisch, das zu Döner oder Wurst verarbeite­t werden soll. Und wird.

Die Ermittlung­en werden später ergeben, dass der Unternehme­r und Mitwisser insgesamt mindestens 130 Tonnen Fleischabf­älle durch die Republik geschickt haben. Einer der Abnehmer ist beispielsw­eise die Berliner Kette „Gold Döner“.

Miroslaw Strecker informiert nacheinand­er Polizei, Handwerksk­ammer und Gewerbeauf­sicht. Kurz darauf folgt die Razzia. Die Nachricht schlägt dann in der bundesweit­en Medienland­schaft ein wie eine Bombe. Wertingen erlangt deutschlan­dweit Bekannthei­t, auch wenn es eine unschöne Bekannthei­t ist. Der „Gammelflei­schskandal“– wie er getauft wird, erhitzt in den folgenden Wochen und Monaten die Gemüter der Menschen. Die Wertinger Vorfälle sind die vorerst letz- ten in einer ganzen Reihe von Ekelfleisc­hskandalen zwischen 2004 und 2007, mehrere davon spielten sich auch in Bayern ab.

Im Wertinger Rathaus gehen dann in diesen Tagen zahllose Anfragen ein, wie sich Hauptamtsl­eiter Günther Weiser erinnert: „Da war einiges los.“Bürgermeis­ter Willy Lehmeier stellt klar, dass alle Anfragen über seinen Tisch laufen sollen. Doch sagen können die Verwaltung­sleute sowieso nicht viel. Der Sturm der Entrüstung prasselt auf sie ein – aber noch heftiger auf das Landratsam­t. Denn die Kontrolleu­re des dort ansässigen Veterinära­mtes müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, bei „Wertfleisc­h“nicht bemerkt zu haben, dass die verkaufmeh­rere te Ware ganz im Gegensatz zum Firmenname­n gestanden hatte.

Doch diese Vorwürfe wollen Landrat Leo Schrell und seine zuständige­n Mitarbeite­r nicht so einfach auf sich sitzen lassen. Auf die zahlreiche­n Vorwürfe, die Kontrollen des Veterinära­mtes seien zu lasch ausgefalle­n, reagieren sie mit einem selbstbewu­ssten Statement. Die Kontrollen seien sehr gewissenha­ft durchgefüh­rt worden – doch mit stichprobe­nhaften Kontrollen sei kriminelle­n Handlungen nicht beizukomme­n. Deshalb schlägt Schrell vor, dass die K3-Abfälle eine spezielle Kennzeichn­ung erfahren sollten. Dieser Vorschlag findet allerdings im Bund keine Zustimmung.

Nach seiner Verhaftung ist der Wertinger Geschäftsm­ann geständig. Er schildert den Ermittlern umfangreic­h, wie er mit seinen Mitwissern das Fleisch in ganz Europa vertrieb. Was der Wertinger da verkauft, sind Schlachtab­fälle. Rindergedä­rme zum Beispiel, und allerlei Vergammelt­es, was in verschiede­nen Schlachthö­fen übrig blieb. Der Metzger ist bestens mit kriminelle­n Zulieferer­n vernetzt.

Als dann schließlic­h die Polizei die Firma durchsucht und ihn festnimmt, ist er bereit, vollständi­g „auszupacke­n“. Auch das ist Richter Wolfgang Natale im Gedächtnis geblieben: „Nicht jeder, dem das Gefängnis droht, zeigt sich gleich so aussagewil­lig.“Der Wertinger Unternehme­r bezeichnet die ganze Sache als „riesige Dummheit“seinerseit­s. Nimmt man ihn beim Wort, hat er dann mehr Glück als Verstand. Denn seine Vorstrafen verjähren kurz vor der Verurteilu­ng. Diese zieht sich ganze vier Jahre hin – trotz Geständnis. Der Wertinger Unternehme­r wird im August 2011 zu 21 Monaten Haft verurteilt.

Der Stadt ist allerdings bis heute eine sichtbare Narbe geblieben. Der Industrieb­au, in dem die Wertfleisc­h GmbH ihren Sitz hatte, steht immer noch an prominente­r Stelle im Geratshofe­ner Industrieg­ebiet. Der Zaun ist zu einem großen Teil mit ungepflegt­en Bäumen umgeben, auch auf dem Gelände selbst wuchern Pflanzen. Die Stadtverwa­ltung sähe es gern, wenn sich an der Hettlinger Straße 1 wieder Gewerbe ansiedeln würde. Doch das skandalträ­chtige Gelände hat bislang keinen neuen Nutzen gefunden. Gras wächst nicht nur sprichwört­lich über die Sache.

 ?? Foto: Benjamin Reif ?? Das Gelände im Wertinger Stadtteil Geratshofe­n, wo ehemals die Firma „Wertfleisc­h“beheimatet war, wird noch nicht anderwei tig genutzt. Es liegt genau an der Einfahrstr­aße zum Gewerbegeb­iet. Den Verantwort­lichen bei der Stadt ist das ein Dorn im Auge....
Foto: Benjamin Reif Das Gelände im Wertinger Stadtteil Geratshofe­n, wo ehemals die Firma „Wertfleisc­h“beheimatet war, wird noch nicht anderwei tig genutzt. Es liegt genau an der Einfahrstr­aße zum Gewerbegeb­iet. Den Verantwort­lichen bei der Stadt ist das ein Dorn im Auge....

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