Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Volksverhetzung ist keine Lappalie
Prozess Ein 24-Jähriger warf im Wertinger Flüchtlingsheim eine Scheibe ein. Vor Gericht zeigt er, dass er „kein Nazi“ist
Wertingen Mit emotionalen Worten beginnt dieser Prozess. Der Angeklagte erzählt, wie ihm zumute war, als ihn vor zwei Jahren seine Freundin verlassen hat. Zeitgleich habe ihm sein Vermieter die Wohnung gekündigt. Nach einem Abend voller „Frustsaufen“sei er ausgerastet. „Wäre ich woanders entlanggelaufen, hätte ich vielleicht nur einen Mülleimer umgetreten.“Ist er aber nicht. Er lief Richtung Tankstelle.
Der 24-Jährige warf in der Nacht vom 29. August 2015 mit einen Stein ein Fenster in der Asylunterkunft in der Augsburger Straße in Wertingen ein. Er rief: „Deutschland den Deutschen! Scheiß Asylbewerber!“Vor dem Dillinger Amtsgericht gibt er alles zu. Das Geständnis macht den Prozess aber nicht unkomplizierter.
Er erklärt weiter: „Es war eine Scheißaktion, es gibt auch kein Aber. Ich fand es unfair, dass ich auf der Straße sitzen muss, während andere Menschen da drin zusammensitzen.“Außerdem sei er sehr betrunken gewesen. „Ich bin kein Nazi oder so“, sagt der 24-Jährige, der ohne Verteidiger erschienen ist. In seiner jetzigen Arbeit habe er sogar einen Asylbewerber kennengelernt, mit dem er sich gut versteht. „Wir tauschen auch mal eine Zigarette aus.“
Richterin Gabriele Held nimmt das zur Kenntnis – positiv, wie sich herausstellen wird. Doch noch gibt sie sich skeptisch: „Sie sollen eine Dreiviertelstunde nach der Tat zurückgekommen sein und mit dem Sicherheitspersonal geredet haben?“Der Angeklagte nickt.
Der Mann, der damals für die Sicherheit in der Unterkunft zuständig war und den Steinwurf sofort bemerkte, erscheint als Zeuge und erkennt den Angeklagten: „Du hattest damals aber noch andere Haare und warst schon gut betrunken.“Der 24-Jährige habe ihm in der Nacht erzählt, er kenne Leute aus der rechten Szene in Wertingen und Dillingen und könne sich vorstellen, wer das getan hat. Die Sicherheitskraft notiert nach dem Gespräch für die Polizei: „Täter aus der rechten Szene, räuchern eventuell den Laden aus.“
Als er bei der Polizei aussagte, nannte der Angeklagte erneut Namen von möglichen Tätern aus der rechten Szene. Er habe aus Scham nicht zugegeben, dass eigentlich er selbst der Täter ist.
Lange tat sich bei den Ermittlungen nichts. Die Kripo hatte eine am Stein sichergestellte DNA-Spur an das Landeskriminalamt geschickt, aber dort war die Warteliste lang. Im Jahr 2017 nun der entscheidende Hinweis: Die DNA konnte zugeordnet werden – der damalige Zeuge ist überführt und nun vor Gericht der Angeklagte.
Schließlich verliest die Richterin das Vorstrafenregister des Angeklagten. Darin finden sich Jugendstrafen, zum Beispiel wegen Diebstahls, aber auch eine Strafe aus jüngerer Vergangenheit. Der 24-Jährige erhielt demnach einen Strafbefehl, weil er in Wertingen Papiertonnen anzündete. Die Strafe, 150 Tagessätze zu je 40 Euro, bezahlt er derzeit noch ab.
Dann erfährt der Prozess eine Art Wendung. Der Angeklagte soll seine persönlichen Verhältnisse beschreiben. „Ich bin in Kinderheimen aufgewachsen“, erzählt er. Die Richterin will wissen, warum. „Meine Eltern wollten mich wohl nicht.“Mit 17 sei er raus zu seinem Onkel nach Thüringen, der ihm eine NPD-Mitgliedschaft nahelegte. Nur er habe sich damals für ihn interessiert.
„Seit ich in Bayern bin, will ich damit aber nichts mehr zu tun haben“, sagt der 24-Jährige. Richterin und Staatsanwalt sind sich einig: „Ein guter Job, eine neue Freundin, Sie scheinen auf dem richtigen Weg zu sein.“Dennoch: Volksverhetzung sei keine Lappalie. Solche Aufrufe können Held zufolge andere Leute anstacheln. Der Angeklagte wird – verrechnet mit der laufenden Strafe – zu zehn Monaten verurteilt. Die Strafe ist zur Bewährung ausgesetzt.
Der Angeklagte ist in Heimen aufgewachsen