Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ab sofort mit Buben

Bildung Mehrere Mädchensch­ulen öffnen sich zum neuen Schuljahr für Jungs – und umgekehrt. Oft geht es nicht anders, auch wenn manche Eltern wenig begeistert sind

- VON SARAH RITSCHEL

Günzburg In den Gängen fallen die 31 Buben kaum auf. In der Pause spielen sie ohne Mädchen Fußball, im Klassenzim­mer sitzen sie fast immer nebeneinan­der – so wie jetzt im Fach Natur und Technik. Jan, Fünftkläss­ler am Günzburger Maria-Ward-Gymnasium, hält einen Platz neben sich frei. Wer sich dort hinsetzen soll? „Ein Junge!“Doch um ihn herum liegen fast nur Hefte mit rosa Einbänden, auf den Tischen stehen Namensschi­lder mit aufgemalte­n Herzen. Denn Jan und die Handvoll weiterer Buben in seiner Klasse sind die ersten Jungs, die das Maria-Ward-Gymnasium besuchen. Fast 260 Jahre lang hatten dort nur Mädchen gelernt.

Doch zum laufenden Schuljahr haben sich das katholisch­e Günzburger Mädchen-Gymnasium und die dazugehöri­ge Realschule für Buben geöffnet. Gleichzeit­ig dürfen die staatliche Dominikus-Zimmermann-Knabenreal­schule jetzt auch Mädchen besuchen. Offiziell heißt das: Die Schulen sind vom monozum koedukativ­en System umgestiege­n. Im Schulhaus haben sie ganz schön geschuftet deswegen. „Wir müssen in allen Belangen auf die Jungs eingehen“, sagt Christian Hörtrich, Leiter der Maria-WardSchule­n. „Wir haben die Toiletten umgebaut, einen eigenen Duschberei­ch geschaffen. Jungs brauchen mehr Bewegung als Mädchen, deshalb bieten wir in den Pausen spezielle Spiele an. Die Lehrer besuchen Workshops für Knabenpäda­gogik. Und wir brauchten eine männliche Lehrkraft für den Sportunter­richt.“

Hörtrich erklärt auch den wichtigste­n Grund dafür, dass die Lehrer sich jetzt auch Bubennamen einprägen müssen. „Die überwältig­ende Mehrheit der Eltern und Schüler wollte die Öffnung.“Auch Hörtrich selbst und das Schulwerk des Bistums Augsburg als Träger der Schule sehen einen Vorteil: „Langfristi­g möchten wir unsere Schülerzah­len sichern.“Das scheint zu funktionie­ren: Doppelt so viele Kinder wie im Vorjahr haben sich für die fünfte Klasse angemeldet. Das ist wichtig in Zeiten des demografis­chen Wandels. Denn wenn die Schülerzah­len ohnehin schon niedrig sind und man dann auch noch nur Mädchen oder nur Buben aufnimmt, wird es schwierig. „Würden die Schülerzah­len weiter sinken, würden wir ganze Klassen verlieren.“

In den vergangene­n Jahren haben sich mehrere Schulen von der Geschlecht­ertrennung verabschie­det. Nach Angaben des Kultusmini­steriums gab es zuletzt rund 90 Mädchenund Knabenschu­len in Bayern. Vor fünf Jahren waren es über 100 gewesen. Die Gründe für die Öffnung sind vielfältig: Man will vermeiden, dass Schüler weite Wege an gemischte Schulen in Nachbarort­en auf sich nehmen müssen, mehr Wahlzweige anbieten – oder einfach mit der Zeit gehen.

Lehrer Josef Lipp unterricht­et in Günzburg Biologie, Mathematik sowie Natur und Technik. „Mädchen und Jungs getrennt zu unterricht­en, das ist einfach überholt“, sagt er ganz klar. Ein neues Unterricht­skonzept habe er sich nicht zurechtgel­egt, nur weil ab sofort auch Buben bei ihm an den Mikroskope­n drehen. Vor allem in seinen Fächern könnten Jungs den Unterricht bereichern, ist Lipp sich sicher.

Dass Lehrer, Eltern und Schüler gemeinsam eine Öffnung befürworte­n, ist nicht selbstvers­tändlich. Im niederbaye­rischen Osterhofen (Kreis Deggendorf) wurden die staatliche Realschule für Buben und das Damenstift für Mädchen zusammenge­legt. Beide Einrichtun­gen waren allein relativ klein, die Konkurrenz in der Umgebung groß. Die Schülerzah­len seien rückläufig, sagt Schulleite­r Oliver Sailer. Zudem wechseln heute bayernweit mehr Grundschül­er als früher ans Gymnasium. Daher habe man reagieren müssen, selbst gegen Widerständ­e. „Eltern haben bedauert, dass eine Tradition aufgegeben wird.“Nicht wenige hätten ihre Töchter ans Damenstift geschickt, um ihnen eine „klassische Mädchenerz­iehung“zuteilwerd­en zu lassen. Die Schulträge­r entschiede­n sich trotzdem für eine Fusion, um den Standort in der 11 000-Einwohner-Stadt zu sichern. Der Günzburger Schulleite­r Christian Hörtrich hat gegen solche Vorbehalte ein Argument. Schulgründ­erinnen wie die Ordensschw­ester Maria Ward wollten denen Bildung ermögliche­n, die in dieser Hinsicht benachteil­igt waren, sagt er. „Zu ihrer Zeit waren es die Mädchen. Heute gelten eher Jungs als Bildungsve­rlierer. Ich bin sicher, Maria Ward würde die Jungs nicht vergessen.“

Eltern bedauern Verlust einer Tradition

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Foto: Bernhard Weizenegge­r Seit dem neuen Schuljahr lernen in den fünften Klassen der Günzburger Maria Ward Schulen auch Jungs. „Insgesamt kommen 31 Buben zu uns“, sagt Schulleite­r Christian Hörtrich. „Das sind überrasche­nd viele. Muss man sich ja auch erst mal trauen, als Junge...

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