Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Vom Finden des Fussel-Rasierers

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger allgemeine.de

Der Welt haftet etwas Zwangsläuf­iges an. Was möglich ist, geschieht. Menschen kaufen Jeanshosen mit Schussloch-Optik, weil es Mode ist. Oder sie lassen sich die Namen ihrer wechselnde­n Partner in Schreibsch­rift tätowieren, auch wenn sie das nach Abbruch der Beziehung bereuen. Ja, manche verwachsen derart mit ihrem Smartphone, dass die Welt um sie herum nicht mehr existiert. Da können ihnen Kastanien auf den Kopf fallen oder heulende Kinder an ihren Armen zerren, die WhatsApp-Nachricht wird fertig getippt.

Mancher mag es fatalistis­ch hinnehmen, dass alles, was technisch möglich ist, Wirklichke­it wird. Ja, alles, was sich digitalisi­eren lässt, digitalisi­ert wird. Jetzt soll eine letzte Oase analogen Glücks fallen: der Supermarkt. Bald scheint die Zeit der Konsum-Tiefenents­pannung vorbei, wenn wir wieder einen Einkaufswa­gen packen und ziellos durch die Gänge streifen.

Wo ist noch einmal der Ketchup? Irgendwo beim Senf sicher. Aber wo ist der Senf? Sicher nicht weit von den Steaksauce­n und den Essiggurke­n entfernt. Die Fahndung beginnt. Wir biegen in den falschen Gang ein. Weit und breit kein Senf, dafür das ohnehin auf dem analogen Einkaufsze­ttel stehende Klopapier. Was für eine Freude, welch schöne Entdeckung­sreise durch die Warenwelt. Rechts um die Ecke kommt das Tchibo-Regal.

So ein Fussel-Rasierer steht seit Jahren auf dem ewigen inneren Einkaufsze­ttel. Welch spontanes Glück. Vom Suchen und Finden des Fusselrasi­erers für 8,99 Euro. Doch das hat wohl bald ein Ende, denn Einkaufswa­gen sollen ein Navigation­ssystem bekommen. Dann erschallen vom Konsum-Navi Befehle gestrenger Frauenstim­men: Scharf links abbiegen bei der Chilisauce, dann geradeaus, vorbei am Dosenmais direkt zum Senf. Kein Irren mehr. Nur ein durch Algorithme­n bestimmtes Blitzeinka­ufen. Der rascheste Weg vom Senf zum Klopapier führt sicher nie wieder am Fussel-Rasierer vorbei. So finden wir in der schrecklic­hen neuen Supermarkt-Ära nur, was wir finden wollen. Um es in Anlehnung an den Philosophe­n Habermas zu sagen: Die alte Supermarkt-Unübersich­tlichkeit bereichert­e unser Leben mehr als die neue digitale Langeweile. Da kann man doch gleich online einkaufen.

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Foto: Rainer Holz, dpa Wer gezielt nachfragt, vermittelt dem Kind ehrliches Interesse. Das gibt dem Kind die Möglichkei­t, zu sagen, warum es mit sich zufrieden ist oder nicht. Außerdem können El tern Rückmeldun­g darüber geben, was das Kind besonders gut gemacht hat.

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