Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Dercons Schauspiel

Volksbühne Syrerinnen spielen „Iphigenie“

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Berlin Ein Stuhl, eine Kamera und eine riesige Videoleinw­and. Neun junge Frauen nehmen Platz, um sich für die Titelrolle in Euripides’ „Iphigenie“vorzusprec­hen. Es sind Syrerinnen, die nach Deutschlan­d geflüchtet sind, Laiendarst­ellerinnen. Sie sprechen arabisch. Es gibt deutsche und englische Untertitel, die aber sorgen für eine Unterbrech­ung, weil sie wegen technische­r Probleme immer wieder ausfallen …

Das war die erste Schauspiel-Premiere der Berliner Volksbühne unter ihrem neuen, heftig umstritten­en Intendante­n Chris Dercon. Gespielt wurde allerdings nicht im Stammhaus am Rosa-Luxemburg-Platz, sondern in einem Hangar auf dem stillgeleg­ten Flughafen Berlin-Tempelhof, wo vor drei Wochen auch der zehnstündi­ge Tanz zum Spielzeita­uftakt stattgefun­den hat. „Iphigenie“schließt die Antiken-Trilogie der syrischen Theatermac­her Mohammad Al Attar und Omar Abusaada ab – nach „Die Troerinnen“in Jordanien und „Antigone“im Libanon. Krisen der Gegenwart werden darin als Aktualisie­rungen der antiken Dramen gelesen. In Berlin wirkt das in den wenigen Szenen am stärksten, in denen der „echte“Euripides-Text zitiert wird. Sonst geben die Syrerinnen viel von sich preis, vom Leiden an der Einsamkeit, Verlorenhe­it seit ihrer Ankunft in Deutschlan­d. Frei nach Iphigenie, die für ihren in den Krieg ziehenden Vater den Opfertod sterben soll, geht es um die Frage: Wie viel ist man bereit zu opfern? Das Publikum feierte die Schauspiel­erinnen am Ende mit viel Applaus.

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