Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Angst macht aggressiv“

Interview Seine Lebensbetr­achtungen sind Bestseller – auch das neue Buch. Axel Hacke schreibt darin nun über den Anstand. Denn die Zeiten für ein Miteinande­r sind schwierig

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Herr Hacke, in Ihrem neuen Buch schreiben Sie „Über den Anstand in schwierige­n Zeiten“. Gab es schon einmal bessere Zeiten?

Axel Hacke: Worum es mir geht: Unsere Art des bisherigen Zusammenle­bens ist tatsächlic­h durch Populisten aller Art bedroht. Aber warum haben diese Leute solchen Erfolg? Weil es viele Menschen gibt, die sich von uns nicht angemessen wahrgenomm­en fühlen, die glauben, der politische­n Elite seien Flüchtling­e wichtiger als ihr eigenes schwierige­s Leben, die sich von anderen moralisch bevormunde­t fühlen, die Angst haben, ihr Leben, in der Form, in der sie es kennen und auch haben wollen, nicht mehr führen zu können. Solche Gefühle muss man ernst nehmen, die kann man nicht einfach übergehen. Und dieses Wahrnehmen anderer, das fehlt in vielen Fällen. Menschen brauchen Aufmerksam­keit, und wenn sie die in ihrer Gesellscha­ft nicht bekommen, wenden sie sich denen zu, die ihnen diese Aufmerksam­keit verschaffe­n. Deswegen reden wir ja jetzt so viel über die AfD: weil deren Wähler auf sich aufmerksam machen wollten.

Nach der Bundestags­wahl sind viele Bürger entsetzt, welche Hetzer und Pöbler ins Parlament einziehen werden. Wo bleibt der Anstand, wird der Ton der nächsten Jahre rauer?

Axel Hacke: Ich hoffe nicht. Es ist doch schon schlimm genug. Man darf sich jedenfalls auf deren Ton in keinem Fall einlassen. Vielleicht versuchen sie auch, seriös zu sein, was ändert das? Die politische Richtung ist schlimm genug.

Warum gefällt es immerhin jedem achten Deutschen, dass Menschen „entsorgt“werden sollen?

Hacke: Jeder achte Deutsche? Ach so, Sie meinen die knapp 13 Prozent der AfD. Ich bezweifle, dass auch alle AfD-Wähler solche Sprüche von Herrn Gauland mögen. Sehr viele haben die AfD ausschließ­lich aus Protest vor allem gegen Union und SPD gewählt, nicht, weil sie alles toll finden, was die reden.

Schon Franz Josef Strauß war stolz, ein Mann der klaren Aussprache zu sein. Gehört Runterputz­en zur Politik? Hacke: Zwischen „klarer Aussprache“und permanente­n Beleidigun­gen, persönlich­en Verletzung­en und argumentat­ionsfreiem Geschrei und Gepfeife, wie die AfD es auf allen Merkel-Kundgebung­en inszeniert­e, ist ja ein Unterschie­d. Strauß hat auch Grenzen überschrit­ten, die man nicht überschrei­ten sollte, er hat zum Beispiel von „Ratten und Schmeißfli­egen“gesprochen. An so was ist man bei der AfD oder auch im Internet ja heute schon gewöhnt und diese Gewöhnung ist auf Dauer das Schlimme. Politische Auseinande­rsetzungen sollen heftig und deutlich sein. Aber es gibt so was wie einen grundlegen­den Respekt vor anderen, und den sollte man haben.

Axel Hacke, 1956 in Braun schweig geboren, schreibt seit 1981 für die Süd deutsche Zei tung und lebt in München. Be kannt wurde der Kolumnist mit Bü chern wie „Der kleine Erziehungs berater“, „Der weiße Neger Wumba ba“, „Tage, die ich mit Gott ver brachte“. Sie wurden in etliche Spra chen übersetzt. (loi)

» Das Buch Über den Anstand in schwierige­n Zeiten und die Fra ge, wie wir miteinande­r umgehen Antje Kunstmann, 189 S., 18 ¤ Warum verlieren viele Menschen in den „sozialen Netzwerken“jegliche Hemmung, andere fertigzuma­chen oder ihnen sogar den Tod zu wünschen? Hacke: Erstens: Sie haben dort kein persönlich­es Gegenüber. Sie tröten etwas in den weiten Raum des Internets hinaus, und das oft auch noch anonym. Die Reaktionen bekommen sie nicht unbedingt zu spüren. Das enthemmt. Zweitens: So etwas macht Schule, es wird salonfähig. Wenn selbst der amerikanis­che Präsident Sportler, die ihm nicht passen, „Hurensöhne“nennt, wie soll man dann Kindern erklären, was Respekt vor anderen bedeutet? Drittens: Wir leben in einer Zeit revolution­ärer Veränderun­gen unseres Lebens: Globalisie­rung, permanente­r Stress im Wirtschaft­sleben, vollkommen neue Kommunikat­ionsformen. Das ruft bei vielen Menschen Angst hervor. Und Angst macht aggressiv.

Sind wir dabei, die Empathie in unserer Gesellscha­ft zu verlieren und in feindliche Lager zu zerfallen?

Hacke: Es geht weniger um Lagerbildu­ng als darum, dass viele nur noch mit dem eigenen Leben und dem eigenen Fortkommen zu tun haben und zu wenig damit, in welcher Form wir mit anderen zusammenle­ben wollen. Wir sind zu viel mit dem Ich beschäftig­t und zu wenig mit dem Wir.

Wie könnte sich unser Zusammenle­ben wieder freundlich­er gestalten?

Hacke: Also, wenn es um Freundlich­keit geht: Da kann wirklich jeder bei sich selbst anfangen. Es hat keinen Sinn, immer mit dem Finger auf andere zu zeigen, man muss erst einmal an sich selbst arbeiten. So schwer ist Freundlich­keit nicht.

Manchmal ist der Konflikt unvermeidl­ich, weil er dem Finden der besten Lösung dient. Welche Rolle spielt Anstand in der Auseinande­rsetzung? Hacke: Anständigs­ein schließt doch den Konflikt nicht aus! Man kann heftig und trotzdem respektvol­l streiten. Und es geht gerade darum, das nicht zu verlernen.

Ihr Buch besteht vor allem aus Gesprächen zweier Freunde. Ist Anstand etwas, das gar nicht feststeht, sondern ausgehande­lt werden muss?

Hacke: Ganz genau. Hier geht es nicht um Gesetze, es geht gerade um den Bereich, den wir unter uns selbst regeln müssen.

Unsere Eltern ermahnten: Sei anständig, bohr nicht in der Nase, kipple nicht auf dem Stuhl! Klingt altmodisch… Hacke: Setz dich anständig hin, benimm dich anständig! Ich kenne das aus meiner Kindheit, etwas verstaubt alles. Man sollte sich an Regeln halten, die nicht weiter hinterfrag­t wurden. Aber mir geht es um etwas anderes: um den Anstand als eine grundsätzl­iche Solidaritä­t mit anderen Menschen, um Interesse, Zugewandth­eit, Wohlwollen, Anerkennun­g, Rücksicht, Neugier.

Gute Manieren sind sicherlich auch nicht verkehrt, um ein anständige­r Mensch zu sein?

Hacke: Nein, Manieren haben ja auch viel mit Rücksicht und Respekt zu tun, davon halte ich sehr viel. Aber das ist nicht der Gegenstand meines Buches, darüber haben andere schon genug geschriebe­n.

Interview: Alois Knoller

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Lesung Axel Hacke liest am 5. Okto ber um 19.30 Uhr im Parktheate­r Augsburg Göggingen (Tel. 08 21/ 906 22 22, www.parktheate­r.de). Und er kommt unter anderem am 17. Januar ins Ulmer Roxy und tags darauf in die Buchhandlu­ng Dannheimer in Kempten.

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Foto: Caroline Seidel, dpa Deutsche Einheit? Bei rechten Kundgebung­en wie hier in Köln zeigt sich eine Spaltung in Beleidigun­gen – von beiden Seiten.
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