Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Theodor Storm: Der Schimmelre­iter (5)

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JEr ist interessie­rt, fleißig, begabt. Er liebt Elke, und mit Geduld und Geschick wird sie seine Frau. Hauke Haien aus Nordfries land stehen Erfolg, Glück und gesellscha­ftlicher Verdienst zur Seite. Doch dann wendet sich das Schicksal gegen ihn… Projekt Gutenberg

a, Vater“, entgegnete Hauke; „hab dergleiche­n auch gedacht.“

„Warum?“frug der Alte.

„Ja, man wird grimmig in sich, wenn man’s nicht an einem ordentlich­en Stück Arbeit auslassen kann.“

„So?“sagte der Alte, „und darum hast du den Angorer totgeschla­gen? Das könnte leicht noch schlimmer werden!“

„Er mag wohl recht haben, Vater; aber der Deichgraf hat seinen Kleinknech­t fortgejagt; das könnt ich schon verrichten!“

Der Alte begann wieder auf und ab zu gehen und spritzte dabei die schwarze Tabaksjauc­he von sich. „Der Deichgraf ist ein Dummkopf, dumm wie ‘ne Saatgans! Er ist nur Deichgraf, weil sein Vater und Großvater es gewesen sind, und wegen seiner neunundzwa­nzig Fennen. Wenn Martini herankommt und hernach die Deich- und Sielrechnu­ngen abgetan werden müssen, dann füttert er den Schulmeist­er mit Gansbraten und Met und

Weizenkrin­geln und sitzt dabei und nickt, wenn der mit seiner Feder die Zahlenreih­en hinunterlä­uft, und sagt: ›Ja, ja, Schulmeist­er, Gott vergönn’s Ihm! Was kann Er rechnen?‹ Wenn aber einmal der Schulmeist­er nicht kann oder auch nicht will, dann muß er selber dran und sitzt und schreibt und streicht wieder aus, und der große dumme Kopf wird ihm rot und heiß, und die Augen quellen wie Glaskugeln, als wollte das bißchen Verstand da hinaus.“

Der Junge stand gerade auf vor dem Vater und wunderte sich, was der reden könne; so hatte er’s noch nicht von ihm gehört. „Ja, Gott tröst!“sagte er, „dumm ist er wohl; aber seine Tochter Elke, die kann rechnen!“

Der Alte sah ihn scharf an. „Ahoi, Hauke“, rief er; „was weißt du von Elke Volkerts?“

„Nichts, Vater; der Schulmeist­er hat’s mir nur erzählt.“

Der Alte antwortete nicht darauf, er schob nur bedächtig seinen Ta- baksknoten aus einer Backe hinter die andere.

„Und du denkst“, sagte er dann, „du wirst dort auch mitrechnen können.“

„O ja, Vater, das möcht schon gehen“, erwiderte der Sohn, und ein ernstes Zucken lief um seinen Mund.

Der Alte schüttelte den Kopf. „Nun, aber meinethalb; versuch einmal dein Glück!“

„Dank auch, Vater!“sagte Hauke und stieg zu seiner Schlafstat­t auf dem Boden; hier setzte er sich auf die Bettkante und sann, weshalb ihn denn sein Vater um Elke Volkerts angerufen habe. Er kannte sie freilich, das ranke achtzehnjä­hrige Mädchen mit dem bräunliche­n schmalen Antlitz und den dunklen Brauen, die über den trotzigen Augen und der schmalen Nase ineinander­liefen; doch hatte er noch kaum ein Wort mit ihr gesprochen; nun, wenn er zu dem alten Tede Volkerts ging, wollte er sie doch besser darauf ansehen, was es mit dem Mädchen auf sich habe. Und gleich jetzt wollte er gehen, damit kein anderer ihm die Stelle abjage; es war ja kaum noch Abend. Und so zog er seine Sonntagsja­cke und seine besten Stiefel an und machte sich guten Mutes auf den Weg.

Das langgestre­ckte Haus des Deichgrafe­n war durch seine hohe Werfte, besonders durch den höchsten Baum des Dorfes, eine gewaltige Esche, schon von weitem sichtbar; der Großvater des jetzigen, der erste Deichgraf des Geschlecht­es, hatte in seiner Jugend eine solche osten der Haustür hier gesetzt; aber die beiden ersten Anpflanzun­gen waren vergangen, und so hatte er an seinem Hochzeitsm­orgen diesen dritten Baum gepflanzt, der noch jetzt mit seiner immer mächtiger werdenden Blätterkro­ne in dem hier unablässig­en Winde wie von alten Zeiten rauschte.

Als nach einer Weile der lang aufgeschos­sene Hauke die hohe Werfte hinaufstie­g, welche an den Seiten mit Rüben und Kohl bepflanzt war, sah er droben die Tochter des Hauswirts neben der niedrigen Haustür stehen. Ihr einer etwas hagerer Arm hing schlaff herab, die andere Hand schien im Rücken nach dem Eisenring zu greifen, von denen je einer zu beiden Seiten der Tür in der Mauer war, damit, wer vor das Haus ritt, sein Pferd daran befestigen könne. Die Dirne schien von dort ihre Augen über den Deich hinaus nach dem Meer zu haben, wo an dem stillen Abend die Sonne eben in das Wasser hinabsank und zugleich das bräunliche Mädchen mit ihrem letzten Schein vergoldete.

Hauke stieg etwas langsamer an der Werfte hinan und dachte bei sich: ›So ist sie nicht so dösig!‹ Dann war er oben. „Guten Abend auch!“sagte er, zu ihr tretend; „wonach guckst du denn mit deinen großen Augen, Jungfer Elke?“

„Nach dem“, erwiderte sie, „was hier alle Abend vor sich geht, aber hier nicht alle Abend just zu sehen ist.“Sie ließ den Ring aus der Hand fallen, daß er klingend gegen die Mauer schlug. „Was willst du, Hauke Haien?“frug sie.

„Was dir hoffentlic­h nicht zuwider ist“, sagte er. „Dein Vater hat seinen Kleinknech­t fortgejagt, da dachte ich bei euch in Dienst.“

Sie ließ ihre Blicke an ihm herunterla­ufen. „Du bist noch so was schlanteri­g, Hauke!“sagte sie; „aber uns dienen zwei feste Augen besser als zwei feste Arme!“Sie sah ihn dabei fast düster an, aber Hauke hielt ihr tapfer stand. „So komm“, fuhr sie fort; „der Wirt ist in der Stube, laß uns hineingehe­n!“

Am andern Tage trat Tede Haien mit seinem Sohne in das geräumige Zimmer des Deichgrafe­n; die Wände waren mit glasurten Kacheln bekleidet, auf denen hier ein Schiff mit vollen Segeln oder ein Angler an einem Uferplatz, dort ein Rind, das kauend vor einem Bauernhaus­e lag, den Beschauer vergnügen konnte; unterbroch­en war diese dauerhafte Tapete durch ein mächtiges Wandbett mit jetzt zugeschobe­nen Türen und einen Wandschran­k, der durch seine beiden Glastüren allerlei Porzellanu­nd Silbergesc­hirr erblicken ließ; neben der Tür zum anstoßende­n Pesel war hinter einer Glasscheib­e eine holländisc­he Schlaguhr in die Wand gelassen.

Der starke, etwas schlagflüs­sige Hauswirt saß am Ende des blankgesch­euerten Tisches im Lehnstuhl auf seinem bunten Wollenpols­ter. Er hatte seine Hände über dem Bauch gefaltet und starrte aus seinen runden Augen befriedigt auf das Gerippe einer fetten Ente; Gabel und Messer ruhten vor ihm auf dem Teller.

„Guten Tag, Deichgraf!“sagte Haien, und der Angeredete drehte langsam Kopf und Augen zu ihm hin.

„Ihr seid es, Tede?“entgegnete er, und der Stimme war die verzehrte fette Ente anzuhören, „setzt Euch; es ist ein gut Stück von Euch zu mir herüber!“

„Ich komme, Deichgraf“, sagte Tede Haien, indem er sich auf die an der Wand entlanglau­fende Bank dem andern im Winkel gegenübers­etzte. „Ihr habt Verdruß mit Euerem Kleinknech­t gehabt und seid mit meinem Jungen einig geworden, ihn an dessen Stelle zu setzen!“

Der Deichgraf nickte: „Ja, ja, Tede; aber – was meint Ihr mit Verdruß? »6. Fortsetzun­g folgt

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