Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Ein Spezial zum Tag der deutsche Einheit
Stück Altholz vom zugewucherten Boden einklemmen. Die Insel und ihre Pflanzenwelt blieben auch den Romantikern nicht verborgen. Über 350 Maler kamen in den letzten 200 Jahren nach Vilm.
Was auf der Insel auffällt, ist die Stille. Man wird sofort gefangen genommen von dieser grünen Idylle, die freilich zwiespältig ist. Hier, wo die Wellen sanft plätschern und der Wind sachte weht, urlaubten also die Menschen, die den Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze verWer Prora, wie das geplante „KdF Seebad Rügen“heute von allen genannt wird, ist ein riesiger Betonklotz – die größte bauliche Hinterlassenschaft der Nazis. Von der ursprünglich auf 4,5 Kilometern Länge angelegten Gebäudekette sind heute noch 2,5 Kilometer übrig. Es sollte das größte Seebad der Welt werden, in dem sich 20 000 Menschen gleichzeitig erholen könnten. Zur Grundsteinlegung 1936 gab es kostenlose Sonderzüge. Prora sollte helfen, die Arbeiter, die vielfach unter dem Existenzminimum lebten, von der nationalsozialistischen Ideologie zu überzeugen. Mittlerweile wurde die Gebäudekette fast vollständig an Privatinvestoren verkauft. Mit Hilfe großer Plakate, auf denen hinter einem Strandkorb viel blauer Himmel und blaues Meer zu sehen sind, werden Ferienwohnungen mit Strandlage in dem denkmalgeschützten Bau vermarktet. Der Verein, der das gut besuchte Dokumentationszentrum Prora in einem der alten Gebäudeteile in Eigeninitiative betreibt, blickt einer ungewissen Zukunft entgegen. Auch hier tut man sich schwer mit der Vergangenheit. Auch hier muss man aufpassen, nicht von der Natur eingelullt zu werden.
Auf Vilm beherrscht die Natur alles. Es gibt keine Ausstellung über die Rolle der Insel zu DDR-Zeiten, keine Informationstafeln. Hier dominieren die Bäume und zeigen, zu welch unglaublichen Leistungen sie imstande sind: Wie die Buche, die bei einem Blitzeinschlag fast völlig zerstört wurde. Nur noch ihre Hülle war übrig. Ein tot geglaubter Baum, bei dem plötzlich einer der Äste Wurzeln schlägt. Oder, einige Meter weiter, die 350 Jahre alte Buche, die ihre Krone verloren hat. Ein Ast ist im rechten Winkel nach oben gewachsen und stabilisiert den Baum neu.
Die Bäume versuchen sich nach einem Einschlag wieder zu fangen, jeder für sich, auf seine Weise. Ihre Stabilität ist fragil. Sie erinnern an die Menschen, die hinter einem politischen System standen, das mit der Wende zusammenbrach. Die nach dem Ende der DDR einen neuen Weg gehen mussten und die sich vielleicht ihre eigene Wahrheit über die Zeit damals zurechtgelegt haben. Auf Vilm zu arbeiten, war lukrativ. Die Bezahlung soll gut gewesen sein, die Arbeitszeiten überschaubar, hört man. Und: Die Bindung zwischen den Angestellten und den Ministern soll teilweise sehr eng gewesen sein . . .
Doch auf Vilm macht sich auch neues Leben breit, kraftvoll und unbelastet von dem, was war. Ein Neuanfang – in der Natur wie in der Geschichte. Vergessen werden sollte sie dennoch nicht – auch wenn auf der Insel schon längst Gras darüberwächst.