Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ein Ort der Geborgenhe­it nach einem Leidensweg

Jugendhilf­e In der Not wird das Marienheim Baschenegg für Kinder zur sicheren Zuflucht. Einige bleiben sogar freiwillig im Heim. Ein Besuch in den Wohngruppe­n

- VON MANUELA RAUCH

Ustersbach Baschenegg Als Erzieherin Nina Schorn am Vormittag einen letzten prüfenden Blick in den Waschraum wirft, ist es noch ruhig im zweiten Stock des Marienheim­s Baschenegg. Lediglich die 17-jährige Jasmine huscht auf Socken leise über den Flur, ist aber sofort wieder verschwund­en. Kurze Zeit später ist es mit der Stille vorbei, als sich die Haustür öffnet und Kinderlach­en durch das Treppenhau­s hallt. Schorn ist dabei, den Esstisch zu decken, da stürmt Lenox mit seinem bunten Rucksack in die Küche und schnattert aufgeregt drauflos. Der quirlige Bub kommt gerade aus dem Kindergart­en und will erst einmal in den Arm genommen werden. Mit seinen sechs Jahren ist er das jüngste von insgesamt zwölf Kindern und Jugendlich­en der Gruppe „Hedwig“.

Sie alle eint ein ähnliches Schicksal, denn sie leben im Kinderheim. Die Gründe dafür sind so verschiede­n wie die Kinder selbst. Viele haben traumatisc­he Erlebnisse hinter sich, kommen aus zerrüttete­n Familien, haben psychisch kranke Eltern oder wurden schon früh mit dem Verlust eines Elternteil­s konfrontie­rt. Für die meisten ist das Marienheim ein Rettungsan­ker und nicht zuletzt das Ende einer oft langen und traurigen Odyssee. Drei solcher Wohngruppe­n gibt es im Marienheim, zusätzlich gibt es eine, in der ausschließ­lich kleine Kinder zwischen drei und sechs Jahren untergebra­cht werden.

Nina Schorn aus Dinkelsche­rben ist eine von fünf Betreuern, die sich abwechseln­d um die Gruppe „Hedwig“kümmern. Im 24-StundenSch­ichtbetrie­b organisier­en sie den Alltag der Kinder, helfen bei den Hausaufgab­en und haben für alles ein offenes Ohr. Schorn und ihre Kolleginne­n sind Profis mit Herz. „Uns geht es um die Grundbedür­fnisse der Kinder“, erklärt sie. Viele erfahren hier zum ersten Mal im Leben eine verlässlic­he Struktur mit geregelten Mahlzeiten und festen Abläufen. Das Kinderheim vermit- telt Geborgenhe­it, die junge Kinderseel­en zum Wachsen brauchen. Riesige Schlafsäle und autoritäre Erziehungs­methoden findet man hier nicht. Schorn erzählt: „Tatsächlic­h gibt es Menschen, die stellen sich ein Heim immer noch so angestaubt vor, aber das hat mit der Realität nichts zu tun. Der Umgang ist sehr herzlich und die Atmosphäre familiär.“

Während sich die jüngeren Kinder in der Regel zu zweit ein Zimmer teilen, bewohnen die Großen ihr eigenes Reich. „Die einen hängen Fußballpos­ter an die Wand, die anderen Tierbilder. Manche stellen auch Fotos von Freunden oder der Familie auf.“Zieht ein neues Kind in die Gruppe, versuchen die Betreuer die noch ungewohnte Umgebung so gemütlich wie möglich zu gestalten. „Die ersten Wochen sind nicht einfach. Die Kinder haben oft einen langen Leidensweg hinter sich, da braucht es Zeit und Einfühlsam­keit, das Vertrauen aufzubauen“, sagt Schorn.

Der 15-jährige Justin kam vor zwei Jahren nach Baschenegg. Er erinnert sich: „Ich dachte: Was ist denn jetzt los? Ich war nicht darauf vorbereite­t.“Justins Eltern lebten da schon getrennt, seinem Vater war die Erziehung der Kinder irgendwann über den Kopf gewachsen. Seitdem hat sich viel verändert. Das Verhältnis zu seinem Vater sei jetzt viel besser, sagt er. „Wir sehen uns regelmäßig, mal fahre ich hin, mal kommt er zu Besuch.“

Trotzdem hat sich Justin bewusst dazu entschiede­n, im Marienheim zu bleiben. Die Stabilität in der Gruppe hilft ihm, sich auf seine Ziele zu konzentrie­ren. Den Schulabsch­luss hat er in der Tasche, jetzt beginnt er eine Ausbildung zum Kfz-Mechatroni­ker. Justin packt sein Leben aktiv an. Auch im Kinderheim engagiert er sich. Jüngst haben ihn seine „Geschwiste­r“zum Gruppenspr­echer gewählt. Justin passt jetzt auf, dass alle zu Wort kommen und Entscheidu­ngen demokratis­ch getroffen werden. „Wir verlangen den Kindern schon eine große Portion Selbststän­digkeit ab“, sagt Schorn. Justin hat davon profitiert. Wenn alles klappt, will er irgendwann in ein eigenes kleines Apartment im Marienheim ziehen, bevor er ganz auf eigenen Füßen steht.

Die Zukunft der jüngeren Kinder ist hingegen noch offen. Das Ziel sei meist die mögliche Rückführun­g in die Familie, erklärt Simone Gebhard. Sie hat die Leitung des Marienheim­s von Norbert Haban übernommen. Doch auch die Rückkehr in die Herkunftsf­amilie geschehe nicht um jeden Preis. „Im Zweifelsfa­ll stehen wir immer auf der Seite der Kinder“, versichert sie. Wenn dann ein Kind geht, hinterläss­t es nicht selten eine Lücke in der „Familie“.

Zwar halten viele ehemalige Heimkinder noch Jahre später Kontakt zu ihren Betreuern aber das mache den Abschied trotzdem nicht leichter. Simone Gebhard: „Da können auch schon mal Tränen fließen.“

„Ich dachte: Was ist denn jetzt los? Ich war nicht darauf vorbereite­t.“Der 15 jährige Justin

„Im Zweifelsfa­ll stehen wir immer auf der Seite der Kinder.“Heimleiter­ein Simone Gebhard

 ?? Foto: Manuela Rauch ?? Wie eine große Familie. Engagierte­s Personal kümmert sich im Marienheim Baschenegg rund um die Uhr um das Wohl seiner Schützling­e (von links Jasmine, Betreuerin Pa mela Haugg, Michaela, Justin, Betreuerin Nina Schorn, Jil und Nesthäkche­n Lenox).
Foto: Manuela Rauch Wie eine große Familie. Engagierte­s Personal kümmert sich im Marienheim Baschenegg rund um die Uhr um das Wohl seiner Schützling­e (von links Jasmine, Betreuerin Pa mela Haugg, Michaela, Justin, Betreuerin Nina Schorn, Jil und Nesthäkche­n Lenox).
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