Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Die Christen und die neue Rechte
Nächstenliebe schützt nicht vor Populismus
Großen Koalition gezwungen zu sein. „Deshalb mussten ÖVP-Chef Kurz und SPÖ-Chef Christian Kern Strache in den TV-Diskussionen als salonfähig erscheinen lassen.“Kern ist seit dem vergangenen Jahr Bundeskanzler in Österreich.
Die FPÖ könnte nach der Wahl in der Poleposition stehen, sich den Koalitionspartner aussuchen und damit den künftigen Kanzler bestimmen. Die Umfragen sehen zwar seit Wochen einen klaren Vorsprung für den ÖVP-Kandidaten Kurz. Doch andere Daten weisen darauf hin, dass der Anteil der Unentschlossenen gestiegen ist, seitdem die „Affäre Silberstein“öffentlich wurde und die Schlammschlacht zwischen SPÖ und ÖVP ins Bewusstsein der Wähler drang.
Es sei einer der „schmutzigsten Wahlkämpfe der Zweiten Republik“gewesen, urteilten die Moderatoren der ORF- Elefantenrunde. „Diesen Wahlkampf hätten wir uns in der Tat sparen können“, seufzte Bundeskanzler Kern resigniert. Drei Tage vor der Wahl liegt unter jenen, die sicher zur Wahl gehen wollen, der Anteil der Unentschlossenen bei fünfzehn Prozent. „Kurz wird nicht so viel gewinnen und Kern wird nicht so viel verlieren wie prognostiziert wird“, sagt Busek. Die Enttäuschung seiner Anhänger, „der Prätorianergarde“, wie Busek sie nennt, könne für Kurz zu einem Problem werden. Es sei nicht sicher, dass Kurz dann Schwarz-Blau anstrebe, also die Koalition mit den Freiheitlichen.
Viele in der ÖVP könnten sich auch eine Fortsetzung der Koalition mit der SPÖ unter einem Kanzler Kurz vorstellen, falls Kern den SPÖ-Vorsitz abgibt. Es sind Kräfte bei den Konservativen, die die vertrauten politischen und wirtschaftlichen Strukturen in Österreich retten wollen. Ihr junger Parteivorsitzender Kurz begann am Freitag zum Finale noch eine 36-Stunden-Tour im Wahlkampfbus. Die vergangenen Monate, seit er im Amt ist, seien „sehr intensiv, aber auch sehr schön“gewesen, sagte er. Augsburg Selbst glaubensfeste, eifrige Kirchgänger sind nicht davor gefeit, rechtspopulistischen Parolen auf den Leim zu gehen. Auf die Frage, ob sie einen Muslim, einen Juden oder einen Schwulen zum Nachbarn haben wollen, reagieren sie teilweise „dominant negativ“. Darüber berichtete die Religionssoziologin Hilke Rebenstorf vom Sozialwissenschaftlichen Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bei einem Studientag der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen am Freitag in Augsburg.
Einfache Antworten ließen sich aus ihrer Forschung aber nicht ableiten, sagte sie. Es kann nämlich gut sein, dass ein Kirchenvorstand geschlossen islamfreundlich eingestellt ist, während die Gemeinde gespalten ist. Unter religiösen Traditionalisten werde die Gleichstellung Homosexueller deutlich stärker abgelehnt, während sie Muslime wegen ihrer Frömmigkeit respektieren. Rebenstorf riet, ein komplexeres Modell zugrunde zu legen, um das Verhältnis von Kirche und Rechtspopulismus zu erforschen. „Erkennen wir die Ambivalenzen in der Einstellung, und dass Meinungsbildungsprozesse oft nicht abgeschlossen sind“, sagte die Soziologin. Auch wenn das Christentum Nächstenliebe und Brüderlichkeit predige, so trägt es dennoch die Tendenz in sich, dass seine Mitglieder sich für erwählt halten und Gottes Willen besser zu kennen glauben.
Den Trennstrich zog Rebenstorf dort, wo Rechtspopulismus exklusiv ist und Menschen in „wir“und „die anderen“aufteilt, sei es das reine, gute, einfache Volk gegen die korrupten Eliten oder gegen die Fremden. Aktiviert werde damit die Einstellung, die eigene Existenz sei bedroht und man müsse sich wehren.
Als Kirche gelte es, „ernsthaft und argumentativ zu widersprechen“, wo gegen die Freiheit, die Vielfalt und die Demokratie gehetzt wird. Die Soziologin empfahl eine Auseinandersetzung mit den Wahrheitskernen rechtsextremer Thesen und dabei Ängste ernstzunehmen – „auch bei sich selbst“. Die Kirche sollte sich offenhalten, strittige politische Themen zu diskutieren und die Probleme zu benennen. So stellte Rebenstorf fest, dass seit den Neunzigern in Deutschland Wettbewerb und Leistung zum Mantra gemacht wurden. „Das bedeutete eine unglaubliche Abwertung all derer, die nicht mithalten können.“