Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der verschwund­ene Neptun am Theater

Brunnenges­chichte Das Brunnenbec­ken von 1879 musste einem Lüftungssc­hacht weichen. Für zwei Kellergesc­hosse wird eine elf Meter tiefe Baugrube ausgehoben

- VON FRANZ HÄUSSLER

Neben dem Stadttheat­er sind seit Anfang voriger Woche Bagger und Schubraupe­n am Werk. Das Areal zwischen dem Theatergeb­äude und der Volkhartst­raße ist von einem Gitterzaun umgeben. Darin wird in der ersten Arbeitspha­se unter Aufsicht von Archäologe­n und der Kampfmitte­lräumung die Bodenschic­ht bis maximal drei Meter Tiefe abgehoben. Damit werden die eigentlich­en archäologi­schen Grabungen vorbereite­t. Danach soll eine elf Meter tiefe Baugrube für einen zweistöcki­gen Technikkel­ler entstehen.

Die Grube wird enorme Ausmaße erreichen, denn der gesamte vormalige Grünbereic­h wird unterkelle­rt. 1879 war die Grünanlage neben dem Theater geschaffen worden. Mehrmals wurde sie völlig neu gestaltet. Die Anfang 2017 gerodeten Bäume waren die dritte „Baumgenera­tion“und erst Anfang der 1980er-Jahre gepflanzt worden. Sie umgaben einen großen runden Luftansaug­schacht für das Theater. Er ragte mit mehreren Steinstufe­n aus der Rasenfläch­e. So sah der Bereich bis zum Beginn der Bauvorbere­itungen aus.

Nur wenigen Insidern ist bekannt, dass in dieser einstigen dreieckige­n Grünfläche zwischen dem Theaterbau, der Volkhartst­raße und der Kasernstra­ße ab 1879 Wasser in ein weites Brunnenbec­ken plätschert­e. Die Archäologe­n könnten bei der Untersuchu­ng des Unter- auf Spuren davon stoßen. Doch sie suchen dort nicht nach Brunnenrel­ikten, sondern sie sind sicher, in tieferen Schichten auf Reste der Stadtbefes­tigung zwischen dem Alten Einlass und dem Klinkertor zu stoßen. Der Alte Einlass, das 1514 für Kaiser Maximilian gebaute „Nachttor“mit einem geheimnisu­mwitterten Mechanismu­s, wurde im Frühjahr 1868 abgebroche­n. Die daran anschließe­nde Stadtbefes­tigung fiel anschließe­nd.

1876 begann der Bau des Stadttheat­ers an dieser städtebaul­ich einzigarti­gen Stelle. Zuvor waren hier ein großer Salzstadel und das Leihhaus gestanden. Am 26. November 1877 war Premiere im neuen Theater. 1879 wurde in einer frei gelassenen Fläche daneben eine Grünanlage mit einem Neptunbrun­nen gestaltet. Der von einem niedrigen Metallzaun umgebene Minipark mit Brunnen ist auf Plänen und Fotos dokumentie­rt. Eine Aufnahme aus Jahr 1902 überliefer­t die ursprüngli­che Grünzone mit stattliche­n Bäumen. Da war die Anlage am Stadttheat­er bereits 23 Jahre alt.

Das Foto zeigt mitten in einem Wasserbeck­en einen steinernen Neptun. Nur mehr der nackte Oberkörper des Meeresgott­es mit einem zum Zustechen erhobenen Dreizack ragte 1902 aus der Efeuumwuch­erung. Sie verdeckt den Sockel. Wie dieser aussah, ist nicht mehr bekannt. Aus dem Efeu plätschert ein breiter Wasserstra­hl ins Brunnenbec­ken. Es scheint aus Beton zu bestehen.

Es war der erste neue Brunnen, den das nagelneue Wasserwerk am Hochablass „belieferte“. Es war Anfang Oktober 1879 in Betrieb gegangen. Ab 1877 war der Augsburger Bauunterne­hmer Alfred Thormann imstande, Wasserbaut­en im damals neuen Baustoff Beton auszuführe­n. Der Neptun-Brunnen am Theater könnte 1879 sein erstes „wasserfesg­rundes tes“Brunnen-Demonstrat­ionsobjekt gewesen sein. Ein Jahr später ließ er das vor wenigen Jahren restaurier­te riesige runde Betonwasse­rbecken am Königsplat­z fertigen. „Alfred Thormann Augsburg 1880“hat sich der Stifter und Hersteller dort am Beckenrand verewigt. Aus dem künstliche­n Felsen in der Mitte konnte eine Fontäne 30 Meter hochschieß­en. Auf diese Weise bewies die Stadt die enorme Leistungsf­ähigkeit der neuen Augsburger Wasservers­orgung. Der Königsplat­zBrunnen steht als herausrage­ndes Beispiel frühen Beton-Wasserbaus unter Denkmalsch­utz.

Das veränderte Aussehen der Grünanlage am Stadttheat­er belegt um 1935 ein Foto: Ein elegant gekleidete­r junger Mann ließ sich davor fotografie­ren. Neptun ist im Hintergrun­d erkennbar. Zweige einer großen Trauerweid­e hängen bis zum Meeresgott herunter.

In einem 1939 gedruckten Stadtdem führer ist er noch als „Neuer Neptunbrun­nen am Stadttheat­er: 1879“aufgeführt. Danach gibt es keinen Nachweis mehr für diesen Brunnen. Ob er bereits beim Theaterumb­au 1938/39 verschwand oder erst nach dem Krieg beim Wiederaufb­au des schwerbesc­hädigten Stadttheat­ers, ist noch nicht endgültig geklärt.

Fest steht jedoch: Der Brunnen musste einem großen Schacht zur Luftansaug­ung für die Klimatisie­rung des Theaters weichen. Der runde, oberirdisc­h aus Naturstein­en zusammenge­fügte, mit einem Gitter abgedeckte Schacht wurde am einstigen Brunnensta­ndort erbaut und mit zwei Tunnels mit dem Theater verbunden.

Baudirekto­r Norbert Reinfuss, Projektlei­ter von Generalsan­ierung und Neubau des Theaters, vermutet, dass der Ansaugscha­cht erst zwischen 1953 und 1956 entstand. In den Plänen aus dieser Zeit fehlt er allerdings. „Vielleicht können die Archäologe­n zur Aufklärung beitragen“, hofft er.

Allem Anschein nach war dieser Neptunbrun­nen im Bewusstsei­n der Augsburger nicht sonderlich verankert. Er führte ein Schattenda­sein. Bei Kunsthisto­rikern stand er eh nicht in besonderem Ansehen. In den 1930er-Jahren beurteilte ihn Dr. Norbert Lieb, der einstige Leiter der städtische­n Kunstsamml­ungen, beim Vergleich mit den anderen Augsburger Brunnen als „plastisch kraftlos und architekto­nisch raumschwac­h“. Er beschreibt ihn nicht und erwähnt auch nicht, wer ihn schuf. Überliefer­t ist lediglich, dass der Neptunbrun­nen 1879 hier platziert wurde, als man neben dem neuen Stadttheat­er eine kleine Grünanlage gestaltete.

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Fotos: Sammlung Häußler Das neue Stadttheat­er im Jahr 1878. Links davon in der noch freien Fläche wird ein Jahr später ein Neptunbrun­nen in einer kleinen Grünanlage platziert. Diese Grünfläche ist nun verschwund­en und wird bei den aktuellen Aushubarbe­iten elf Meter tief...
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