Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Ein Lied für Abu Dhabi
Seine jetzige Tonalität unterscheidet sich nicht von der, die er im tosenden Abstiegskampf der vergangenen Spielzeit an den Tag legte. Als er selbst stark in der Kritik stand und um seinen Job fürchten musste. Baum ist sich bewusst: Krisen, wie sie dieser Tage Bremens Trainer Alexander Nouri durchlebt, bringt sein Beruf als Fußballtrainer mit sich.
In der Vergangenheit hat der FCA wiederholt dafür gesorgt, dass ein Klub seinen Trainer entließ. Eine Niederlage gegen Augsburg könnte diesmal das Aus für Nouri bedeuten. Selbst bei einem Unentschieden könnten sich die Werder- Bosse zum Handeln gezwungen sehen. Augsburgs Trainer Baum fühlt mit seinem Trainerkollegen, macht allerdings ebenso deutlich, auf das Schicksal anderer keine Rücksicht nehmen zu können. Baum betont: „Das ist nicht unser Problem. Wir müssen auf uns schauen und unsere Leistung auf den Platz kriegen.“
Heißt: Die Augsburger haben mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen. Die sind zwar bei weitem nicht so ausgeprägt wie die der Bremer, die in der laufenden Runde noch kein einziges Mal gewonnen haben. Aber Baum ergänzt schon, man wolle endlich mal wieder gewinnen. Schmerzhaft war jüngst das späte 1:2 gegen Hannover, der erste wahre Dämpfer dieser Spielzeit. Drei Gründe nennt Baum für das Scheitern seiner Mannschaft: Die Balance zwischen Offensive und Defensive fehlte; die Spieler hätten zu langsam auf Umstellungen des Gegners reagiert; und sie hätten sich bei eigenem Ballbesitz zu wenig bewegt, um Räume zu öffnen. In Bremen sollen Baums Spieler dies alles besser machen.
In der Startelf dürfte es kaum Veränderungen geben. Nahezu der komplette Kader steht zur Verfügung, lediglich die am Sprunggelenk verletzten Martin Hinteregger und Sergio Córdova fallen aus.
Wie die Kultur oder die Wirtschaft kann auch der Sport nicht einfach für sich sein. Dabei ist er doch die leichteste aller Disziplinen. Gewidmet dem Zeitvertreib, dem Wohlergehen und der Unterhaltung. Spätestens aber, wenn er geografische Grenzen überschreitet, droht dem Leichten im Räderwerk der Politik ein gehäckseltes Ende.
Die Geschichte wiederholt sich, seit Nationen ihre Sportler zu internationalen Vergleichen über die Grenzen schicken. Was dann aus religiösen, kulturellen oder weltanschaulichen Gründen nicht passt, wird ausgegrenzt oder boykottiert. Später folgt die Revanche. Besonders bizarr ausgetragen zu den Olympischen Spielen 1980 in Moskau. Wegen des Afghanistan-Krieges von den Westmächten links liegen gelassen. Eine politische Entscheidung, die vielen Sportlern den Höhepunkt ihrer Karriere geraubt hat. Vier Jahre später hat sich der Ostblock den Spielen in Los Angeles verweigert – mit denselben Härten für seine Athleten.
Die beiden großen Blöcke haben sich aufgelöst. Andere, kleinere sind neu entstanden oder haben an Schärfe gewonnen. Der zwischen der islamischen Welt und Israel beispielsweise. Was sich nicht kriegerisch bewerkstelligen lässt, wird zulasten des Sports auf dem Rücken der Athleten ausgetragen.
Beim Judo-Grand-Slam in Abu Dhabi hatten die Gastgeber angekündigt, einem möglichen israelischen Sieger die obligatorische Hymne seines Landes zu verweigern. Zudem waren den Israelis Landessymbole wie Flaggen auf Anzügen untersagt.
Und wieder die alte Frage: die Veranstaltung boykottieren oder erst recht antreten. Die Israelis haben die richtige Entscheidung getroffen. Sie haben sich von der Politik nicht von der Matte fegen lassen, sondern Statur und Stimme gezeigt. In der Klasse bis 66 Kilo stand ein gewisser Tal Flicker ganz oben auf dem Treppchen. Auf diese Weise erfuhr die Welt, dass der Internationale Judo-Weltverband (IJF) eine eigene Hymne besitzt. Die nämlich erklang anstelle der israelischen Hatikva.
So einfach aber waren die Israeli nicht zu bezwingen. Tal Flicker sang zur Verbandsmelodie einfach den Hatikva-Text. Ein musikalischer Koshi-waza erster Güte. In Abu Dhabi hat sich der Sport weder bezwingen noch vorführen lassen. Er verlässt das Scheichtum ungehäckselt, mit einem Lied auf den Lippen.