Augsburger Allgemeine (Land Nord)
„Ich bin der Günstigste am Markt“
Justiz Über ein Jahr dauert der Prozess gegen einen Pflegedienst-Unternehmer aus dem Landkreis Günzburg schon. Es geht um Millionen Sozialbeiträge
Augsburg „Wenn Sie mal jemanden brauchen, ich bin der Günstigste am Markt.“Das ist einer der letzten Sätze, die der Angeklagte zur Zweiten Strafkammer des Landgerichts Augsburg sagt, bevor die Beweisaufnahme im Prozess gegen ihn geschlossen wird. An sich wären die Worte harmlos, kämen sie nicht von einem Mann, der beschuldigt wird, schwarzarbeitende Pflegekräfte aus Osteuropa vermittelt und so die Sozialkassen um Millionen gebracht zu haben. 2015 begannen die Ermittlungen gegen den heute 70-Jährigen, aus der Untersuchungshaft kam er nur gegen eine Kaution von 100000 Euro frei. Seither betreibt der Unternehmer aus dem südlichen Landkreis Günzburg weiter seine Firma, die über eine Zweigstelle in Rumänien Frauen an Pflegebedürftige entsendet. „Da ist alles einwandfrei“, beteuert der Mann und präsentiert sogar eine Urkunde. Sein Unternehmen hat in Rumänien bereits mehrere Preise gewonnen.
Auf der Anklagebank sitzt er aber wegen Vorwürfe, die weiter zurück- liegen. Er soll Pflegekräfte aus Polen, Rumänien oder Ungarn an Familien vor allem im süddeutschen Raum vermittelt haben. Die Frauen sollten eine kostengünstige und schnelle Lösung für Probleme bei der Betreuung von alten und kranken Angehörigen sein. Die Pflegekräfte waren jedoch zum Großteil nicht ordnungsgemäß angemeldet, laut Anklageschrift gingen den Sozialkassen so rund 17 Millionen Euro verloren. Die Krux: Der Unternehmer kassierte bloß eine Vermittlungsgebühr und eine monatliche Pauschale von 88 Euro. Arbeitgeber und damit meldepflichtig waren aber die Kunden. Hat der Angeklagte das gewusst und billigend in Kauf genommen, um den Preis zu drücken?
Der erfahrene Unternehmer sah sich auf der sicheren Seite. „Ich wollte absolut keine Fehler machen“, sagt er vor Gericht. Der Plan sei gewesen, bei der Vermittlung zu bleiben, sodass der Kunde bezahle und er nichts abzuführen habe. Es habe auch Kontakt zum Zoll gegeben, der nie etwas beanstandet habe. Bis die Beamten schließlich mit ei- nem Durchsuchungsbeschluss vor seiner Tür standen.
Mehr als 1169 Betroffene listet die Anklage auf, die Taten liegen zwischen 2009 und 2014. Seit Beginn des Prozesses im Herbst 2016 wurden über 200 Zeugen gehört, Familienangehörige, Pflegekräfte, Zollbeamte. Es zeigte sich: Den meisten war nicht bewusst, dass da etwas Illegales passierte. Die einen gingen davon aus, dass der Unternehmer sich um die Sozialabgaben kümmern würde, die anderen glaubten, die Frauen seien in ihren Heimatländern angemeldet. Viele Kunden hatten sich nie viele Gedanken darüber gemacht und waren offensichtlich froh, schnell und günstig Hilfe zu bekommen. Viele zeigten sich vor Gericht auch zufrieden mit der Arbeit der Pflegekräfte und sagten aus, den Angeklagten auf Empfehlung eines Arztes aufgesucht und als seriös erlebt zu haben.
Die Verteidiger Hansjörg Schmid und Tobias Liebau argumentieren zum Ende der Verhandlung in einer 97 Seiten langen Erklärung, warum ihr Mandant sich nicht strafbar gemacht habe. So hätten die Frauen Bezahlung, Dauer und Freizeit bei ihrer Anstellung selbstständig ausgehandelt.
Zudem wären die Pflegekräfte in einigen der angeklagten Fälle rückwirkend angemeldet worden. In anderen Fällen hätten die Frauen auch bewusst auf eine Anmeldung verzichtet. Der Angeklagte sieht die Schuld offenbar auch bei den Kunden. Jedenfalls gibt er an, dass nur sieben von über 700 Kunden auf das Angebot eingegangen seien, auf ein Modell zu wechseln, in dem seine Agentur die Pflegekräfte entsendet und somit auch die Rahmenbedingungen gemanagt habe.
Als vor zwei Jahren herauskam, dass gegen den Mann ermittelt wird, sind nach dessen Angaben 900 seiner damals 1000 Kunden abgesprungen. Aktuell kümmert sich der 70-Jährige um die Firma in Rumänien, seine Frau leitet eine Niederlassung in Polen. Wie das Gericht um die Vorsitzende Dorothee Singer nun entscheidet, ist völlig offen. Staatsanwaltschaft und Verteidigung werden ihre Plädoyers am 7. November abgeben. Ein Urteil wird für den 16. November erwartet.