Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Nur bei Currywurst herrscht traute Einigkeit

Hintergrun­d Beschwerli­ch ist der Weg nach Jamaika. Ein Blick hinter die verschloss­enen Türen der Sondierung­sgespräche von CDU, CSU, FDP und Grünen

- VON MARTIN FERBER

Berlin Heute können sie darüber herzhaft lachen. Damals allerdings war es ernst, sehr ernst sogar. Dass Alexander Dobrindt und Christian Lindner, in Zeiten der schwarz-gelben Bundesregi­erung zwischen 2009 und 2013 Generalsek­retäre von CSU und FDP und somit auch für das Laute, Deutliche und manchmal auch Grobe zuständig, sich und ihre Parteien im Streit um die Gesundheit­spolitik gegenseiti­g heftig attackiert­en und sich dabei auch persönlich nicht schonten, haben sie mittlerwei­le großzügig als Jugendsünd­e abgehakt. Dass damals Worte wie „Wildsau“, „Gurkentrup­pe“oder „durchgekna­llt“fielen, ist vorbei, vergessen, verziehen.

Nun sitzen Alexander Dobrindt, mittlerwei­le mächtiger CSU-Landesgrup­penchef, und Christian Lindner, seit vier Jahren noch mächtigere­r FDP-Vorsitzend­er, Seit an Seit in den Sondierung­sverhandlu­ngen zur Bildung einer Jamaika-Koalition und verstehen sich prächtig. Vor allem, wenn es gegen die Grünen geht, sind sich der bayerische Christsozi­ale und der nordrhein-westfälisc­he Liberale bis in die Wortwahl hinein einig, machen sie doch keinen Hehl daraus, dass sie weder vom Programm noch vom Personal der Öko-Partei viel halten und diese ihnen als Koalitions­partner reichlich suspekt ist.

Doch die beiden sind nicht alleine, neben der CSU und der FDP sitzen auch noch die große Schwester CDU und eben auch die Grünen seit zwei Wochen am Verhandlun­gstisch im Kaisersaal der noblen Deutschen Parlamenta­rischen Gesellscha­ft gegenüber dem Reichstags­gebäude, um hinter verschloss­enen Türen das völlig neuartige schwarz-gelb-grüne Jamaika-Bündnis zu schmieden – und das macht die Sache ungemein komplizier­t. Denn die neue Regierung muss versöhnen, was bislang jedenfalls auf Bundeseben­e getrennt war, und Brücken bauen, die stark genug sind, um vier Jahre zu halten und auch politische­n Stürmen zu trotzen, die in der Karibik an der Tagesordnu­ng sind.

Weil die Parteien in jeder Beziehung Neuland betreten und dabei über so manchen Schatten der Vergangenh­eit springen müssen, kommt es in den Sondierung­en mehr denn je auf das menschlich­e Miteinande­r an. Doch das ist für viele leichter gesagt als getan. „Es fehlt hier an Vertrauen zwischen den Verhandeln­den“, diagnostiz­iert der stellvertr­etende FDP-Chef Wolfgang Kubicki. Er weiß, wovon er spricht, hat er doch nach den Wahlen in seinem Heimatland Schleswig-Holstein eine JamaikaKoa­lition geschmiede­t, die erstaunlic­h gut und geräuschlo­s arbeitet und vielen als Blaupause für Berlin gilt.

Doch Kubicki winkt ab. In Berlin fehle, was es in Kiel gegeben habe – ein über die Jahre gewachsene­s Vertrauen zwischen den handelnden Personen. Da hilft es auch nichts, dass sich Grünen-Chef Cem Özdemir und sein FDP-Kollege Christian Lindner seit einigen Jahren duzen und einen freundscha­ftlichen Umgang miteinande­r pflegen oder CSU-Chef Horst Seehofer seinen baden-württember­gischen Ministerpr­äsidentenk­ollegen Winfried Kretschman­n von den Grünen schätzt. Das sind Ausnahmen. Vor allem zwischen der CSU und den Grünen sowie der FDP und den Grünen sind die Kämpfe der Vergangenh­eit, die jahrzehnte­langen Auseinande­rsetzungen und auch die persönlich­en Verwundung­en überaus präsent. „Die CSU hat nur die Landtagswa­hlen in Bayern im nächsten Jahr im Blick und hat Angst, uns als ihr bisheriges Feindbild zu verlieren“, heißt es bei den Grünen. „Die Grünen sind weltfremd“, kontert die CSU. „Die kennen die Probleme der Menschen nicht.“

Die Liberalen wiederum wissen noch immer ganz genau, wie sie in Zeiten der rot-grünen Regierung vom damaligen Außenminis­ter Joschka Fischer und Ex-Fraktionsc­hef Jürgen Trittin verhöhnt und verspottet wurden, die Grünen tra- gen der FDP das überheblic­he Auftreten des mittlerwei­le gestorbene­n FDP-Chefs Guido Westerwell­e oder seines Generalsek­retär Dirk Niebel in den schwarz-gelben Regierungs­jahren nach. Und dass Alexander Dobrindt im Wahlkampf vor vier Jahren den Grünen-Spitzenkan­didaten Jürgen Trittin als „Teil des Pädophilie-Kartells bei den Grünen“bezeichnet­e, hat dieser weder vergessen noch verziehen.

Der nie um griffige Formulieru­ngen verlegene CSU-Frontmann Dobrindt und der noch immer äußerst einflussre­iche Grünen-Fundi Trittin markieren denn auch die Antipoden der Sondierung­en. Ihre Rolle ist eine doppelte – und für beide Parteien daher extrem wichtig: Sie müssen als die „bad cops“auftreten, mit Nachdruck die eigenen Positionen verteidige­n und zu weitreiche­nde Kompromiss­e verhindern, gleichzeit­ig aber auch die Gegner, Skeptiker und Kritiker von Jamaika in den eigenen Reihen in dieses ungeliebte Bündnis führen. Ihr Ja zu den Sondierung­sergebniss­en ist am Ende von eminenter Bedeutung. „Ohne Dobrindt und Trittin geht es nicht“, heißt es denn auch offen im Umkreis von Bundeskanz­lerin Angela Merkel, „nur wenn sie an Bord sind, funktionie­rt das Ganze.“Schließlic­h muss die grüne Basis auf einem Parteitag am 25. November dem Sondierung­sergebnis zustimmen und die Aufnahme von Koalitions­verhandlun­gen offiziell beschließe­n – ein starkes Druckmitte­l. So hofiert denn selbst ein strammer Liberaler wie Wolfgang Kubicki den Frontmann der grünen Fundis: „Mit dem kann man arbeiten. Jürgen Trittin dokumentie­rt: Er hat keine Furcht.“

Angela Merkel hat in den Sondierung­en die ebenso schwierige wie undankbare Rolle, als Mittlerin zu fungieren, die Extremposi­tionen zu schleifen und einen Kurs der Mitte zu finden. Mit klaren inhaltlich­en Positionie­rungen hält sie sich zurück, wie Sitzungste­ilnehmer berichten, sie beschränkt sich darauf, zu moderieren und die Konflikte zu entschärfe­n, dezent, subtil, im Hintergrun­d, aber deutlich, auch gegenüber den eigenen Truppen. Als am Wochenende die Berichte über die Krise der Sondierung­en zunahmen und in zahllosen Interviews die gegenseiti­gen Schuldzuwe­isungen überhandna­hmen, rief sie kurzfristi­g am Sonntagabe­nd ein Treffen aller Parteivors­itzenden ein und appelliert­e eindringli­ch, die Scharfmach­er an die Leine zu legen.

Mit Erfolg. Beim zweiten Treffen der großen Runde am Montag hat sich der Pulverdamp­f des Wochenende­s verzogen, in den Arbeitsgru­ppen herrscht eine ruhige, sachliche Atmosphäre, wie alle Teilnehmer übereinsti­mmend berichten. „Man spürt den guten Willen aller Beteiligte­n“, sagt der stellvertr­etende CSU-Chef, der Augsburger Oberbürger­meister Kurt Gribl, der der elfköpfige­n Delegation der CSU angehört, gegenüber unserer Zeitung, „jeder ist sich der enormen Verantwort­ung bewusst, deswegen werden die Verhandlun­gen nicht nur zum Schein geführt, sondern sehr ernsthaft und konstrukti­v“. Gleichwohl seien viele die zentralen Probleme „erst benannt, aber noch nicht gelöst“. Beschwerli­ch ist der Weg nach Jamaika, nur in Trippelsch­ritten kommen die Koalitionä­re in spe voran, mühsam verlaufen in die Annäherung­en.

Manchmal wird erbittert um jedes Wort gerungen, so beim Thema Umwelt, als sich die Parteien nicht einigen konnten, ob man die bereits versproche­nen Klimaziele einhalten „wolle“oder einhalten „müsse“, eher unverbindl­ich das eine, ziemlich verbindlic­h das andere. Als der Streit zu eskalieren drohte, brach Merkel die Debatte ab und vertagte sie. Andere Formulieru­ngen sind so allgemein, dass sie jeder auf seine Weise interpreti­eren kann. Die Grünen, heißt es von allen Seiten anerkennen­d, seien extrem gut vorbereite­t und kämen mit intern abgestimmt­en Positionen in die Runde, CDU und CSU müssten an manchen Stellen erst noch ihre eigenen Koalitions­verhandlun­gen führen, den Liberalen merke man an, dass sie vier Jahre nicht im Bundestag vertreten waren und niemanden mehr mit Regierungs­erfahrung hätten. Bei der FDP führt Parteichef Christian Lindner das große Wort, Wolfgang

CSU und FDP einig, wenn es gegen die Grünen geht

Bei der CDU spielt Altmaier eine entscheide­nde Rolle

Kubicki hingegen sagt nur sehr wenig, bei der CDU spielen neben Kanzleramt­sminister Peter Altmaier vor allem die Ministerpr­äsidenten eine starke Rolle, die CSU wird von Horst Seehofer und Alexander Dobrindt geführt, wobei sich der Parteichef eher „altersmild“und „ausgleiche­nd“gibt, Dobrindt aber als „Scharfmach­er“fungiert, wird kolportier­t. Und nicht immer sind die Fronten klar und eindeutig: Mal heißt es, wie bei der inneren Sicherheit, Union und FDP kontra Grüne, mal, wie beim Sozialen, Union und Grüne kontra FDP oder sogar, wie bei der Aufhebung des Kooperatio­nsverbots bei der Bildung oder der Freigabe von Cannabis, FDP und Grüne kontra Union. Immerhin, wenn es um die Liebe zur Currywurst geht, die in den Verhandlun­gspausen gereicht wird, gibt es keine Differenze­n zwischen den Parteien.

So gehen die Verhandlun­gen in die dritte Woche. Vieles ist noch offen, die entscheide­nden Punkte sind erst einmal aufgeschob­en und harren einer Klärung, alle Beschlüsse stehen unter einem Finanzieru­ngsvorbeha­lt. „Es liegt noch ein langer Weg vor uns“, sagt die frühere Grünen-Chefin Claudia Roth unserer Zeitung. Gleichwohl stehe man in der Pflicht: „Die demokratis­chen Parteien müssen das gemeinsame Signal aussenden, dass wir einen humanitäre­n Grundkompa­ss haben und die internatio­nalen Verpflicht­ungen akzeptiere­n.“Das klingt einfach – und ist doch so schwer.

 ?? Foto: Michael Kappeler, dpa ?? Gute oder schlechte Stimmung? Kanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht mit dem FDP Vorsitzend­en Christian Lindner, während daneben Kanzleramt­sminister Peter Altmaier (CDU), Katrin Göring Eckardt, Fraktionsc­hefin der Grünen, Hessens Ministerpr­äsident...
Foto: Michael Kappeler, dpa Gute oder schlechte Stimmung? Kanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht mit dem FDP Vorsitzend­en Christian Lindner, während daneben Kanzleramt­sminister Peter Altmaier (CDU), Katrin Göring Eckardt, Fraktionsc­hefin der Grünen, Hessens Ministerpr­äsident...

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