Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Wir Helikopter-Mütter
Der Rucksack bleibt liegen und das Gedankenkarussell beginnt zu kreisen: Den fahre ich meinem Kind aber nicht nach, oder?
... Dann lernt er, dass er an seine Sachen denken muss ... Nee, den Helm fahre ich ihm aber jetzt nicht nach ... Und wenn er nur deswegen nicht mitfahren darf? Wär’ ja doof ... wegen so einem Pillepalle...
Sie wissen ja, wie es ausgegangen ist. Schlimme Dinge hat man zuletzt über Helikoptereltern gelesen: Lauschen an den Kita-Türen (ja, auch die Väter!), bringen ihre Kinder immer bis an deren Platz direkt ins Klassenzimmer, schreiben ihnen die Referate bis zum Abitur. Üble Elterntypen also, die alles können, bloß nicht loslassen. Und jetzt muss man sich quasi wegen des Fahrradhelms selbst dazuzählen.
Tatsächlich steht mit diesem vergessenen Rucksack schon die Frage im Raum: Was trägt man seinem Kind eigentlich alles hinterher und was nicht? Ich behaupte mal, es gibt keine Mutter, die nicht wenigstens einmal in ihrem Leben wegen einer liegen gebliebenen Brotzeit oder eines Turnbeutels in den Kindergarten oder in die Schule geeilt ist. Es ist gar nicht so leicht, Tag für Tag die Balance zwischen Mitleid und Mach-es-bitte-selbstzuhalten.Eine Sportstunde auf der Bank absitzen kann Kind aushalten. Aber eine verpatzte Prüfung? Da wird’s schon diffiziler. Tränen, schlechte Laune, Nachholtermin irgendwann. Steht das dafür? Darf man sein Kind denn gar nicht mehr ein bisschen raus- pauken? Wozu haben sich Kinder eigentlich Eltern geboren? Hilft ein Freund einem Freund, gilt das als beste Tugend. Sowie Mütter, Väter und Kinder in Spiel sind, besteht Helikopter-Verdacht. So ist das eben. Dennoch ein irrer Nebeneffekt des Helikoptermutter-Anfalls – danke, blauer Rucksack – ich war nach Jahrzehnten noch einmal auf dem Verkehrübungsplatz. Also genau da, wo ich selbst meine Fahrradprüfung in der vierten Klasse gemacht habe. Und plötzlich begannen die Gedanken auf ganz andere Art zu kreisen. Denn es hat sich rein gar nichts über die Jahre hinweg dort verändert. Und plötzlich war da sogar eine Erinnerung an die eigene Fahrradprüfung. Wie wir als Kinder die Arme sorgsam zum Abbiegen rausgestreckt haben und im Schneckentempo brav unter strengen Polizistenaugen an den Übungskreuzungen abgebogen sind. Und sogar die grünweißen Wimpel und Aufkleber gibt es noch.
Mein Sohn kann jetzt jedenfalls bestens die Verkehrsregeln, was für mich Folgen hat. Er: Mama, auf der B17 ist Tempo 60! Ich: Jahaa... Er: Du bist zu schnell! Oder an der Konrad-Adenauer-Allee: Mama, das ist eine abknickende Vorfahrtsstraße, da muss man nicht blinken ... Ich: Das weiß ich doch auch. Er: Warum tust du es dann? Höhepunkt der VerkehrsDialoge: „Weißt du Mama, neun Jahre konntest du pfuschen, das ist jetzt vorbei.“
Herrje, es gibt also auch Helikopter-Kinder. Also Pimpfe, die immer ihre Eltern beobachten. Über dieses Phänomen hat nur noch niemand geschrieben. Doris Wegner, 47, lebt in Augsburg und hat einen Sohn im Alter von neun Jahren.
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