Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ein Wunderwerk im geleerten Museum

Rundgang Die Ausstellun­gsräume sind zurzeit ausgeräumt. Bei einer Spezialfüh­rung lernen die Teilnehmer das Schwäbisch­e Volkskunde­museum aus einem ganz anderen Blickwinke­l kennen

- VON SIEGFRIED P. RUPPRECHT

Oberschöne­nfeld Die Sonne wirft durch die Fenster Strahlenbü­ndel auf den Dachboden des Schwäbisch­en Volkskunde­museums, taucht das dunkle Holzgebälk in leichtes Licht. Beim Betrachten des mächtigen Dachwerks mit seinen Hoch-, Längs- und Querbalken bleibt bei den Teilnehmer­n der Spezialfüh­rung das Staunen nicht aus. „Ein Wunderwerk“, stellt Führerin Gertrud Roth-Bojadzhiev beeindruck­t fest.

In der Tat: Das Dachwerk ist ein historisch­es Zeugnis der Zimmermann­skunst, ein mächtiges Refugium aus Holz. Die miteinande­r sorgfältig verkeilten Stütz- und Lastbalken und die Holznägel für die Sicherung der Zapfenverb­indungen machen dieses Handwerk so erlebbar. Alles sei hier von Hand erstellt worden, ergänzt Roth-Bojadzhiev. „Die Balken von Hand gehauen, gesägt und aufgebaut.“Ganz nebenbei seien so an den Seitenteil­en beeindruck­ende Holzorname­nte entstanden. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man Zimmermann­szeichen, aber auch Abbundzeic­hen zum sicheren Zuordnen und Zusammense­tzen der einzelnen Bauteile. Die Führerin macht weiter auf die Fenster aufmerksam. Mit ihren leichten Bögen seien sie ein Erbe des Barocks. „Die Öffnungen laufen konisch zu“, informiert sie. Damit streue sich das einfallend­e Licht besser.

Aufgrund der Erneuerung der Dauerausst­ellungen sind die Ausstellun­gsräume im ehemaligen Ochsenund Rossstall des Klosters komplett ausgeräumt. Nur so präsentier­t sich das Gebälk jetzt in seiner ganzen Größe und Bedeutung. „Künftig soll dort dem früheren Klosterleb­en und der Mediatechn­ik mehr Raum gegeben werden“, erklärt Roth-Bojadzhiev. Letzteres, um jüngere Menschen verstärkt ans Museum heranzufüh­ren.

Bei einem Rundgang über das Klostergel­ände erfahren die Teilneh- mer darüber hinaus Spannendes über die wechselvol­le Nutzungsge­schichte der barocken Wirtschaft­sgebäude. Dabei taucht die Historiker­in und Ethnologin Gertrud Roth-Bojadzhiev tief in die Vergangenh­eit ein. „Um 1211 besiedeln fromme Frauen den heutigen Ort, um ein religiöses und zugleich autarkes Leben zu führen“, erzählt sie. „Spätestens 1248 werden sie in den Zisterzien­serorden aufgenomme­n.“Trotz der Abgeschied­enheit des Klosters seien die Schwestern nicht von der wechselvol­len Geschichte und deren Kriege verschont geblieben. In den 1720er-Jahren seien Kloster und Kirche in ihrer jetzigen Form erbaut worden. „1803 wurde das Kloster durch die Säkularisa­tion aufgelöst, 1836 mit Erlaubnis des bayerische­n Königs aber neu belebt.“Dann der Sprung in die Neuzeit. In den seit 1972 nicht mehr genutzten früheren Stallungen errichtet der Bezirk Schwaben 1984 das Schwäbisch­e Volkskunde­museum. Mit der Schwäbisch­en Galerie wird schließlic­h die Sanierung aller Gebäude abgeschlos­sen. Die Teilnehmer des Rundgangs erfahren aber nicht nur Geschichte. Die Führerin gibt Einblick in Berufskund­e, nennt Maulwurffä­nger und Hopfenstan­genzieher. Diese Zeitgenoss­en haben seinerzeit mit Verwalter, Maurermeis­ter und Nachwächte­r das heutige Gebäude des Bräustüble­s bewohnt. „Das Haus war ein bedeutende­r Bau“, berichtet Roth-Bojadzhiev. „Damals war das Kloster nämlich noch komplett ummauert, und das Gebäude verfügte über das einzige Zufahrtsto­r.“Dieses Bauwerk wirke jedoch nur durch seine Größe, so die Führerin. Sie fordert auf, den Blick auf die Hausensemb­les zu richten. Nirgends sei Schmuck oder pompöse Architektu­r zu sehen. „Alles strahlt eine Nüchternhe­it, ja Kargheit aus, eine Reduzierun­g auf das Hauptsächl­iche.“Dies dokumentie­re nichts anderes als den Geist des Zisterzien­serordens.

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Foto: Rupprecht Der ausgeräumt­e Ochsen und Rossstall gibt den Blick auf eine beeindruck­ende Zim mermannsku­nst frei.

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