Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Zeit, sich von Klischees zu lösen
Auslandsjahr Lara hat in Kolumbien den ersten richtigen Kulturschock erlebt. Woran sie das festmacht / Serie (2)
Kolumbien Die Welt steckt voller Klischees, darüber ist sich Lara Ziegler aus Gersthofen mittlerweile sicher. Im nächsten Teil ihres Reiseberichts aus Kolumbien schildert sie ihren ersten richtigen Kulturschock.
Mein typisches Bild von Südamerika war immer der Regenwald, heißes Wetter, Menschen mit Ponchos und Sombreros, gutes Essen und Salsa. Natürlich sind das hauptsächlich Klischees, aber sie helfen, eine Idee zu vermitteln, wie das neue Leben 9000 Kilometer entfernt von Deutschland aussehen könnte. Diesen Monat habe ich die kolumbianische Kultur noch näher kennengelernt – und dabei vieles über mich gelernt.
Einschneidend war eine lange und anstrengende Wanderung. Sie hat meine Sicht auf die Natur und die Menschen neu geprägt. Unser eintägiger Ausflug zum bekannten Berg Cocuy und dem Púlpito del Diablo, übersetzt Kanzel des Teufels, zog sich über zehn Stunden. Besonders der geringe Luftgehalt auf über 4900 Metern machte uns Europäern zu schaffen. Wir hatten mit Atem- und Kreislaufproblemen zu kämpfen. In Deutschland würde man sich auf diese Art von Wanderungen vorbereiten: trainieren, sich mit möglichen Risiken auseinandersetzen, planen, welche Ausrüstung und Verpflegung mitgenommen wird. In Kolumbien vertraut man dem Glück, frei nach dem Motto: „Dann laufen wir mal drauf los und warten ab, was passiert.“Ich fühlte mich entsprechend unsicher, ohne Vorbereitung in einem fremden Land: Das macht Angst.
Auch sonst ist mir vieles aufgefallen. Weil Kolumbien zu nah am Äquator liegt, gibt es keine Jahreszeiten. Im Klartext: In Duitama hat es im Schnitt 20 Grad, mal mehr Sonne, mal mehr Regen – das ganze Jahr über. Wer Lust auf einen Klimawechsel hat, muss in Kolumbien in ein anderes Departamento fahren. Das ist kein Vergleich zu den Jahreszeiten in Deutschland. Wir wissen, wann wir warme Kleidung, Schuhe, Mütze und Handschuhe brauchen und wann wir sie wieder im Keller verstauen können. Frühjahrsputz, Sommersale, Herbstspaziergänge oder Skisaison beeinflussen unseren Alltag und führen uns, meiner Meinung nach, unterbewusst automatisch zur Ordnung und Organisation.
Vollkommen anders läuft es beispielsweise auch im Straßenverkehr ab. Üblich ist es zu hupen, wenn man zuerst fahren möchte. Die Grundregel rechts vor links existiert genauso wenig wie das Verkehrsschild „Vorfahrt gewähren“. Haltestellen oder Anzeigetafeln, wann der nächste Bus kommt, gibt es nicht.
Auch sonst gibt es viele Unterschiede: Der Müll wird nicht in Container oder Tonnen geworfen, sondern vor die Haustür gestellt und nachts abgeholt. Eine richtige Beständigkeit gibt es nicht, vieles variiert von Tag zu Tag. Termine, Besuche oder Verabredungen sind spontaner, man hat keine strenge Vorgabe, sondern kommt, wann man Lust dazu hat. Vorteil: Mehr Freiheiten. Nachteil: Man weiß nie, was als Nächstes kommt.
Anders als in Deutschland wird bei Konflikten hier vieles unausgesprochen gelassen. Besonders für uns Freiwillige ist die indirekte Kommunikation schwierig. Ein relativ harmloses Beispiel: Wenn die Gastmutter meine Schuhe nicht mag, sagt sie das nicht. Im Gegenteil, sie betont extra, wie gut das andere Paar an mir aussieht. Das Problem ist, dass ich als Empfänger in der Unterhaltung viele Dinge hinterfragen muss und hoffe, mein Gegenüber richtig zu verstehen. Versucht man es dann mit direkter Ansprache, wird oft einfach darüber weggelacht oder man wird ignoriert.
Der Zauber um das mir exotische Land verblasst von Tag zu Tag. Man beginnt sich langsam seinen Alltag und seine Gewohnheiten aufzubauen. Gleichzeitig habe ich bemerkt, wie tief die deutsche Kultur in mir verankert ist. Nach diesen ersten Erfahrungen hoffe ich, noch besser mit anderen Kulturen umzugehen.
O
Lara Ziegler Die Gersthoferin ist 19 Jahre alt und für fast ein Jahr als Entwicklungshelferin in Kolumbien. In unserer Kolumne schreibt Lara über ihren Alltag in Südamerika: Vor welchen Problemen sie steht, was sie bei ihrer Arbeit an einer Schule erlebt und was sie in den elf Monaten alles lernt. Einmal im Monat berichtet sie aus der Ferne mit Text und Bild.