Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Einkaufen nach dem Geschmack von Hitler

Bundeskuns­thalle Bonn Eine Ausstellun­g als Indizien-Prozess gegen Hildebrand Gurlitt, der aus der Not von Verfolgten Profit zog

- VON RÜDIGER HEINZE

Bonn Ohne große Polemik kann der Bonner Teil der Gurlitt-Doppelauss­tellung als die Bad Bank im GurlittNac­hlass bezeichnet werden. Hier ist auch das aus seiner Sammlung zu betrachten, was noch ungeprüft beziehungs­weise ohne Ergebnis geprüft ist hinsichtli­ch seiner Herkunft und eines recht- oder unrechtmäß­igen Erwerbs, was also auch vom Kunstmuseu­m Bern noch nicht als „sauberes“Vermächtni­s akzeptiert und angenommen wird. Rund 300 Werke sind bis Jahresende, wenn das Magdeburge­r Projekt „Provenienz­recherche Gurlitt“ausläuft, noch zu prüfen. Und aus dem Mund der Leiterin Andrea BareselBra­nd war gestern zu erfahren, dass von den insgesamt gut 1000 übernommen­en ungeklärte­n Posten derzeit rund 150 Fälle unter erhärtetem Raubkunst-Verdachtsm­oment stehen. Ob dieser aber auch nachzuweis­en ist, bleibt stark fraglich. Am Schluss werden wohl gut 600 Arbeiten aus der Gurlitt-Sammlung ohne Geschichte der Eigentümer­folge bleiben – dies die Prognose aus Magdeburg. Was damit wohl ge- schieht? Greift Bern dennoch zu; oder nicht?

Jedenfalls gibt es in der Bonner Bundeskuns­thalle in der Schau „Bestandsau­fnahme Gurlitt – Der NSRaub und die Folgen“viel, viel mehr Anlass als sonst, neben den ausgestell­ten Arbeiten die Erläuterun­gstafeln mit ihren Provenienz­vermerken zu studieren. Sorgsam wird unterschie­den zwischen „Pro- venienz in Abklärung“und der nämlichen Angabe mit dem Zusatz „aktuell kein Raubkunstv­erdacht“. Das klingt spannungsv­oll – aber reihenweis­e entdeckt man dann Werke, bei denen es lapidar und dünn nur heißt: „spätestens ab 2012“im Besitz Cornelius Gurlitts. So bei frühen Grafiken und Zeichnunge­n von Heckel, Schmidt-Rottluff, Grosz.

Entscheide­nd freilich sind die Jahre 1933 bis 1945, worum es hier ja gehen soll. Wie viel hat Vater Hildebrand Gurlitt – ohne, dass es direkt Raubkunst wäre – unlauter und zu einem Spottpreis erworben, weil die jüdischen Eigentümer „Judenvermö­gensabgabe“zahlen mussten oder „Reichsfluc­htsteuer“, um ihr nacktes Leben zu retten? Ähnliches betrifft auch die besetzten Niederland­e und Frankreich, wo Hildebrand Gurlitt – übrigens im Gleichschr­itt mit dem aus Augsburg stam- menden Händler Karl Haberstock – für den NS-Sonderauft­rag „Linzer Führermuse­um“300 Werke im Geschmack Hitlers für sage und schreibe 9,8 Millionen Reichsmark einkaufte. Wobei er, davon ist auszugehen, die eine oder andere Trouvaille auch für sich behielt.

Davon ist auszugehen… – diese drei Worte stellen sich immer wieder gedanklich ein in der Bonner Schau mit ihren vielen klassische­n, bürgerlich­en Dekoration­sgemälden zwischen Gotik (darunter der Memminger Meister Bernhard Strigl) und Klassische­r Moderne (darunter Max Beckmann mit einer durchkompo­nierten Strandcafé-Szene von 1934). Hier wird – mit wenigen Beweisen – ein großer Indizien-Prozess gegen Hildebrand Gurlitt erfolgreic­h geführt, auch wenn die kapitale „Waterloo-Brücke“von Monet aus altem Familienbe­sitz stammt. Nachweisba­r jedenfalls anhand von Dokumenten bleibt, dass Hildebrand Gurlitt dem jüdischen Leipziger Musikverle­ger Henri Hinrichsen (Verlag C. F. Peters) vor dessen Emigration nach Belgien mit nachfolgen­der Deportatio­n nach Auschwitz die Spitzweg-Zeichnung „Das Klavierspi­el“abkaufte – und nach dem Krieg auch gegenüber Behörden als „verbrannt“erklärte. 2012 wurde sie in Schwabing entdeckt.

Nach dem Krieg traf Hildebrand Gurlitt im Fränkische­n auch wieder auf Karl Haberstock. Die beiden haben damals wohl filmreif zusammenge­lebt: in ständiger Furcht vor gegenseiti­ger Denunziati­on. Gurlitt jedenfalls konnte sich früh schon durch Lügen, Geschenke und Verweis auf seine Vorkriegsv­erdienste gegenüber den Amerikaner­n als unschuldig verkaufen.

Rund 250 Werke in fünf Abteilunge­n, die die Biografie Hildebrand Gurlitts mit der Zeitgeschi­chte verknüpfen, zeigt die Bonner Schau – unter instruktiv­en Erläuterun­gen zu den systematis­chen Kunsthande­lsmachensc­haften der Nazis – mit Schwerpunk­t auf die zusammenge­raffte französisc­he Kunst (Courbet, Corot, Manet). Die verzweigte kunstsinni­ge Gurlitt-Familie erhält dabei ungleich höheres Gewicht gegenüber den potenziell­en oder tatsächlic­hen Opfern des NS-Kunsthändl­ers, die karg nur in Fallbeispi­elen abgehandel­t sind.

OBis

11. März 2018 Geöffnet Di, Mi 10 bis 21 Uhr, Do bis So 10 bis 19 Uhr

Im Auftrag für das „Führermuse­um“

Die Machenscha­ften des NS Kunsthande­ls

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Fotos: David Ertl, Bundeskuns­thalle Bonn Auguste Rodin, „Kauernde“, um 1882.
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Claude Monet, „Waterloo Bridge“, 1903.

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