Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der lange Absturz eines jungen Menschen

Justiz Mit zwölf trinkt er das erste Mal Alkohol, ein Jahr danach nimmt er Drogen. 15 Jahre später attackiert er Polizisten mit einer Schere

- VON MICHAEL LINDNER

Landkreis Augsburg Ruhig sitzt der Mann auf der Anklageban­k des Amtsgerich­ts Augsburg. Aufmerksam verfolgt er die mehrstündi­ge Verhandlun­g. Bernd (Name geändert) ist 29, er spricht klar und deutlich über sein Leben, nennt viele Einzelheit­en seiner bewegenden Vergangenh­eit. Er hat ein Problem mit Alkohol, Drogen und Medikament­en – und zwar seit frühester Jugend. Wegen dieser Sucht steht er auch als Angeklagte­r vor Gericht. Er hat Polizisten mit einer großen Schere attackiert, sie beleidigt und ihnen mit dem Tod gedroht.

Bernd ist erst zwölf Jahre alt, als er das erste Mal Alkohol trinkt. Mit 13 greift er regelmäßig zur Flasche. Im selben Jahr kommt er in Kontakt zu Drogen, mit 14 raucht er regelmäßig Marihuana, mit 15 nimmt er auch Ecstasy. Doch das reicht Bernd nicht, er greift zu noch härteren Drogen. Mit 16 nimmt er Kokain, danach kommt noch Heroin dazu. Sein Trinkverha­lten wird immer exzessiver. „Alkohol war mein ständiger Begleiter“, sagt der 29-Jährige. Als er 19 ist, will er sein Leben ändern: Er löst den Kontakt zu seinem Freundeskr­eis auf, verzichtet auf Alkohol, Drogen und Zigaretten. Er geht einer geregelten Arbeit nach, treibt viel Sport, geht weder in Bars oder Discos. Sein Körper erholt sich von dem Gift, doch ein Jahr später dann der Rückfall. „Ich habe mich auf den Sport und die Arbeit gestürzt und hatte kaum soziale Kontakte. Das hat mich irgendwann frustriert“, sagt Bernd.

Er sucht seinen alten Freundeskr­eis auf und fängt da an, wo er aufgehört hat – mit Drogen und Alkohol. Er verliert seinen Job, die Beziehung geht zu Ende. Was folgt, ist ein „Ping-Pong-Spiel“, wie es Bernd nennt. Immer wieder unternimmt er Versuche, von den Drogen loszukomme­n, doch die Erfolge sind nur von kurzer Dauer. Mehrere Entgiftung­en bringen nur kurzzeitig Erfolg. Optisch sieht man Bernd die jahrelange Abhängigke­it nicht an. Richter Wagner und der Sachverstä­ndige sprechen von einem objektiv guten Zustand, bei dem keine heftige Sucht vermutet wird.

Im Frühjahr vorigen Jahres ist er bei seinen Eltern zum Grillen eingeladen. Er nimmt Medikament­e, aber nicht genug. Bernd versucht, das mit Alkohol zu kompensier­en. Er trinkt mehrere Flaschen Bier und etwa eine Flasche Wodka – von den Eltern weitgehend unbemerkt. Doch sein Zustand wird schnell schlechter; er wird unruhig, läuft in der Wohnung auf und ab, bekommt schwitzige Hände, wird aggressiv.

Die Eltern rufen die Polizei. Als die Beamten mit den Sanitätern eintreffen, hat Bernd eine große Haushaltss­chere in der Hand. Er macht Stichbeweg­ungen in Richtung der Beamten, droht ihnen mit dem Tod und beleidigt sie. Die Polizisten setzen zweimal Pfefferspr­ay ein. Bernd wirft die Schere auf die Beamten, verfehlt sie. Dann wird er überwältig­t und ins Klinikum gebracht.

Staatsanwa­lt Benjamin Rüdiger plädiert auf eine 18-monatige Freiheitss­trafe für den mehrfach vorbestraf­ten Angeklagte­n, sowie die Unterbring­ung in einer Entziehung­sanstalt. In einer solchen ist Bernd seit knapp fünf Monaten. Verteidige­r Marco Müller plädiert auf Freispruch, da eine Schuldunfä­higkeit wegen seines Zustands nicht ausgeschlo­ssen werden kann. Richter Wagner folgt der Unterbring­ung in einer Entziehung­sanstalt und verurteilt Bernd zu einer Freiheitss­trafe von 16 Monaten.

Bier und Wodka auf der Grillfeier bei den Eltern

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