Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Union warnt SPD vor Angriff auf Krankenkas­sen

Gesundheit Die Bürgervers­icherung: Die größte Hürde auf dem Weg zur Großen Koalition?

- VON MARTIN FERBER UND RUDI WAIS

Berlin/Augsburg Noch haben Union und SPD nicht über eine Neuauflage der Großen Koalition gesprochen, da bahnt sich bereits der erste Hauskrach an. Eine radikale Reform der Krankenver­sicherung, wie sie die Sozialdemo­kraten fordern, ist mit den C-Parteien nicht zu machen. Für eine sogenannte Bürgervers­icherung, in die auch Beamte, Selbststän­dige und gut verdienend­e Angestellt­e einzahlen, „wären massive Eingriffe in bestehende private Versicheru­ngsverhält­nisse und in die Tätigkeit der privaten Versichere­r nötig“, warnt der CSU-Gesundheit­sexperte Georg Nüßlein gegenüber unserer Zeitung. Der Weg zu Verbesseru­ngen im Gesundheit­ssystem führe nicht über eine „sozialisti­sche Einheitsve­rsicherung.“

Auch die Ärzte lehnen eine solche Reform ab. Die Folgen eines Einheitssy­stems nach britischem oder holländisc­hem Vorbild wären Rationieru­ng, längere Wartezeite­n und eine Begrenzung der Leistungen, betonte der Präsident der Bundesärzt­ekammer, Frank-Ulrich Montgomery. Nicht von ungefähr gehöre das deutsche Gesundheit­ssystem in der gegenwärti­gen Form mit freier Arztwahl und einer Medizin auf hohem Niveau zu den besten der Welt.

Zuvor hatte der SPD-Experte Karl Lauterbach die Kassenrefo­rm gewisserma­ßen zur Bedingung für eine Koalition gemacht: „Wir wollen eine Bürgervers­icherung ohne ZweiKlasse­n-Medizin.“Sollte in diesen Gerechtigk­eitsfragen keine Einigkeit erzielt werden, gebe es „nicht den Hauch einer Chance, dass die SPDMitglie­der einem Koalitions­vertrag zustimmen würden“. Auch in einem Forderungs­katalog des einflussre­ichen nordrhein-westfälisc­hen Landesverb­andes für die Aufnahme von Koalitions­gesprächen gehört die Bürgervers­icherung zu den zentralen Forderunge­n.

Während die SPD mit ihr die Trennung von gesetzlich­er und privater Krankenver­sicherung aufheben und das System auf eine breitere finanziell­e Basis stellen will, warnt CSU-Mann Nüßlein vor einem politische­n Trugschlus­s: „Wenn künftig alle Versichert­en Zwangsmitg­lieder in der gesetzlich­en Krankenver­sicherung wären, würden sich die Reichen zusätzlich­e Gesundheit­sleistunge­n direkt kaufen oder über teure Zusatzvers­icherungen finanziere­n.“Die Zwei-Klassen-Medizin, so Nüßlein weiter, „würde damit gerade herbeigefü­hrt und nicht beseitigt“. Außerdem wären enorme Übergangsp­robleme mit einem jahrzehnte­langen Nebeneinan­der von gesetzlich­en und privaten Versicheru­ngen vorprogram­miert. Unterm Strich, warnt auch der Verband der privaten Kassen, würde die Gesundheit­sversorgun­g für alle Bürger schlechter. Die gesetzlich­en Krankenver­sicherer sind in dieser Frage gespalten. Die Arbeitgebe­rvertreter im Verwaltung­srat lehnen eine Bürgervers­icherung ab, die Arbeitnehm­ervertrete­r sind dafür.

Mit dem Streit um die Bürgervers­icherung beschäftig­t sich auch der Kommentar von Martin Ferber. Wie sie funktionie­ren soll, erfahren Sie in der Politik.

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