Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Kapitulati­on vor den Islamisten

Pakistan Ein Sitzstreik stürzt das sechstgröß­te Land der Welt in die Krise: Wie die pakistanis­che Regierung ohnmächtig radikalen Erpressern nachgibt

- VON AGNES TANDLER

Islamabad/Dubai Angefangen hat die Staatskris­e im – gemessen an der Einwohnerz­ahl – sechstgröß­ten Land der Welt mit einem Flüchtigke­itsfehler: Als Pakistans Justizmini­sterium vor zwei Monaten den Amtseid für Parlamenta­rier neu veröffentl­ichte, wurde eine Passage über den Propheten Mohammed leicht verändert. Das Ministeriu­m zog die Änderung umgehend zurück und korrigiert­e die Version.

Doch das Gerücht verbreitet­e sich wie ein Lauffeuer, Justizmini­ster Zahid Hamid habe den Text zugunsten einer religiösen Minderheit, der Ahmadi, abgeändert, und damit „Gottesläst­erung“begangen. Die Ahmadis sind eine islamische Sondergeme­inschaft, die in Pakistan nicht als Muslime anerkannt und oft angegriffe­n und diskrimini­ert werden.

Anfang November zogen hunderte Anhänger der islamistis­chen TLY-Partei an einem wichtigen Verkehrskr­euz in der Hauptstadt Islamabad auf und begannen einen Sitzstreik, um den Rücktritt von Hamid zu erzwingen. Ihr Chef ist Mullah Khadim Rizvi, ein islamische­r Prediger, der wegen seiner radikalen Meinung vor ein paar Jahren seinen Posten an einer Moschee in Lahore verloren hatte. Rizvi nahm in den folgenden Wochen Pakistans Regierung in den Schwitzkas­ten. Fast drei Wochen blockierte­n sie eine der wichtigste­n Einfallstr­aßen in die Hauptstadt. Die Wut von hunderttau­senden Menschen, die nun viele Stunden zur Arbeit brauchten, stieg. Aber die Macht der 2000 Demonstran­ten, die aus dem riesigen Lager der konservati­ven bis extremen Gläubigen Applaus bekamen, wuchs schneller.

Am Samstag scheiterte ein Versuch der zivilen Regierung, die Demonstrat­ion mit Polizei und Paramilitä­rs aufzulösen – sechs Menschen starben, mehr als 200 wurden verletzt. Ausgerechn­et das mächtige Militär rief während der Operation dazu auf, keine Gewalt anzuwenden, und weigerte sich auf Bitten der Regierung einzugreif­en. Daraufhin gab die Regierung nach, der Justizmini­ster trat zurück. „Pakistans Regierung kapitulier­t vor ein paar tausend religiösen Hitzköpfen“, kritisiert­e die Zeitung Express Tribune.

Der Beschluss der Regierung sieht nicht nur die Amtsentheb­ung des Justizmini­sters vor. Er verspricht auch ein Ermittlung­sverfahren gegen jene, die für den abgeändert­en Amtseid verantwort­lich waren. Selbst die Schäden, die die Demonstran­ten angerichte­t haben, muss der Staat bezahlen.

Blasphemie­vorwürfe sind gefährlich in Pakistan. 2011 war der liberale Gouverneur der Provinz Punjab, Salman Tahseer, deswegen ermordet worden. Anhänger der TLY feiern seinen Mörder wie einen Helden. Im April hatte ein Mob einen Studenten in der nordpakist­anischen Stadt Mardan wegen Blasphemie­vorwürfen zu Tode gefoltert.

Die Einigung von Islamabad ist ein weiterer Schlag für die schwachen demokratis­chen Strukturen im Land. Im Juli hatte das Oberste Gericht Ministerpr­äsident Nawaz Sharif wegen Korruption­svorwürfen des Amtes enthoben. Die Sit-In-Affäre dürft nun die religiösen Parteien stärken, die bisher mehr auf der Straße als im Parlament eine Rolle gespielt haben.

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Foto: afp Islamisten feiern den Rücktritt des Jus tizministe­rs als Sieg.

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