Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Das Genie als Mittel zur Wellness
Das Rilke Projekt trat in Gersthofen auf
bunden hat, ausgerechnet der Martinipark statt der Bühne des Großen Hauses empfängt: Ach was, winkt er ab, damit hat er kein Problem.
Geboren wurde Alejandro MarcoBuhrmester in der Schweiz, Sohn eines Spaniers, die Mutter Deutsche (von ihr stammt der zweite Teil des Nachnamens). Früh hatte ihn die Musik im Griff, doch als er seinen Studienwunsch offenbarte, da lachte der Vater erst mal, und die Klavierlehrerin ebenso – zu Recht, wie Marco-Buhrmester heute meint. Wenn aber nicht Klavier, was dann studieren? Die Klavierlehrerin erinnerte sich eines singenden Kollegen. Der musste irgendetwas in der Stimme des jungen Mannes entdeckt haben, empfahl er ihn doch an das Konservatorium Bern. Von da an führte die Sängerlaufbahn des Alejandro Marco-Buhrmester unaufhaltsam nach oben. Debüt am Stadttheater Biel, Engagements in den Ensembles von Essen und Dortmund, schließlich ein Anruf von Re- gie-Schwergewicht Harry Kupfer: Ob er denn nicht mal für die Komische Oper Berlin vorsingen wolle? Gesagt, getan. Vier Jahre blieb er dort fest engagiert, sang vor allem italienisches und französisches Fach.
In Berlin hörte ihn eines Tages Katharina Wagner und lud ihn zum Vorsingen nach Bayreuth. Wagner hatte er bis dahin nicht im Repertoire, weshalb er, gewissermaßen ebenso spätromantisch-deutsch, den Peter aus „Hänsel und Gretel“vortrug. Mit Erfolg. Marco-Buhrmester stieg 2001 bei den Bayreuther „Meistersingern“ein, Christian Thielemann holte ihn daraufhin für den „Tannhäuser“, im „Parsifal“von Schlingensief/Boulez sang er Amfortas, in Frank Castorfs Jubiläums-„Ring“den Gunter. Quasi über Nacht war er zum gefragten Wagner-Bariton geworden. Wobei: Wagners Partien als „deutsches Fach“streng von allem anderen zu scheiden, „mit solchen Schubladisierungen kann ich nichts anfangen“, bekennt Marco-Buhrmester. Für ihn schließen sich Wagner-Gesang und ein Quantum Italianità keineswegs aus. So lässt er sich nicht zum bloßen Wagner-Experten stempeln, singt mit derselben Lust weiter die großen Baritonpartien von Verdi & Co. Vielleicht, sinniert er, hat gerade das einen noch größeren Karrieresprung verhindert: Seiner Meinung nach bevorzugt der internationale Opernjetset Sänger mit scharfem Spezialistenprofil, etwas, worauf er sich nicht festlegen will.
Doch auf das „Heute-Hier, Morgen-Dort und Übermorgen-in-Übersee“verzichtet er, Verächter des Kofferpackens, nicht ungern. Das Doppelengagement in Augsburg, das rasch gefundene Häuschen in Hochzoll, das Kunstzentrum München quasi nebenan, die Nähe zum Süden, „wo ich ja herkomme“: Augsburg, „das ist der Goldene Schnitt“, sagt Alejandro Marco-Buhrmester. Und fügt hinzu: „Eigentlich könnte man hier alt werden.“ Die Gedichte und Briefe von Rainer Maria Rilke zählen zu den großen literarischen Werken. Diesen Texten widmete sich das „Rilke Projekt“, das vor bescheidener Zuhörerschaft in der Stadthalle Gersthofen gastierte. Eingefleischte Rilke Fans wurden dabei eher enttäuscht, neue auch nicht hinzugewonnen. Von jener innovativen und erschütternden Kraft Rilkes war bei diesem Literatur-Projekt sehr wenig zu spüren.
Im Hintergrund saß in nahezu stoischer Ruhe die Rilke Projekt Live Band an Flügel, Keyboard, Gitarren und Drums. Die Bühne war in dämmeriges Licht getaucht. Im Vordergrund zwei Mikrofone und ein Tischchen mit Leselampe. Dort trugen abwechselnd die beiden Fernsehschauspieler Nina Hoger und Sebastian Urzendowsky sowie der Sänger Edo Zanki Texte vor, meist abgelesen, rezitiert oder in vertonter Form.
Von Beginn an war eine Unkonzentriertheit zu spüren, fehlerhafte Text- und Toneinsätze irritierten ebenso wie die Qualität des Gesangs. Von Beginn an war alles beherrscht von einer Monotonie im Gewand des Geheimnisvollen, der Vortrag sollte bedeutungsschwanger klingen, die Verse vermittelten aber nichts. Mehr und mehr wurde das Ganze zur Gratwanderung zwischen Kunst und Kitsch, wobei allzu oft in Richtung Kitsch abgeglitten wurde. Rilkes kunstvolle Reime mit ihren fließenden Rhythmen kamen wie ein Klangteppich, eine inhaltsleere Wellness-Behandlung daher.
Das wäre nur halb so schlimm, hätten die Macher und Komponisten des Projekts, Richard Schönherz und Angelica Fleer, nicht behauptet, dass ein außergewöhnliches, gar das erfolgreichste Lyrikprojekt des Jahrhunderts präsentiert würde. Nein, das war nicht der Fall. Aber womöglich wurde der ein oder andere Zuschauer dennoch angeregt, sich wieder einmal Rilkes Lyrik zur Hand zu nehmen.