Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Frohes Fest?

Attentat Die Schaustell­er am Breitschei­dplatz verkaufen wieder Bratwürste und Glühwein. Und doch ist es ein anderer Weihnachts­markt, ein Jahr nach dem Anschlag. Eine Geschichte über trotzige Berliner, den Wert von Betonbarri­eren und Bilder, die man nie ve

- VON ANDREAS BAUMER

Berlin Wäre Steven Rabenhorst fünf Meter weiter vorne gestanden, wäre er vermutlich tot. Dann würden auf dem Altar der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche statt der zwölf Kerzen 13 brennen, würden am Gedenkalta­r davor noch mehr Rosen liegen. Dann würde nun jemand anders in der Holzhütte mit dem Steinofen stehen und Teig kneten. Doch Rabenhorst hatte Glück. Er hat überlebt. Die Bilder des Lastwagens aber, mit dem der islamistis­che Terrorist Anis Amri an seinem Stand vorbeirast­e, wird der 19-Jährige wohl sein Leben lang nicht mehr vergessen.

Rabenhorst hat alles gesehen. Die Toten, die Verletzten, all die geschockte­n, entsetzten Gesichter. Er hat alles gehört. Den Aufprall, das Schreien, das Klagen. Er habe seine Bude geschlosse­n und noch ein paar Leuten geholfen, sagt er. Dann stockt er. Der junge Mann will und kann nicht mehr erzählen. Er wendet sich ab.

Nun, knapp ein Jahr später, ist Rabenhorst wieder am Berliner Breitschei­dplatz. Zurück am Ort des Grauens. Zurück in der Hütte, in der er auch letztes Jahr gearbeitet hat, der „Berliner Handbrotbä­ckerei“. Wie damals trägt er Schürze und Plastikhan­dschuhe. Wie damals knetet und walzt er Teig, bestreut ihn mit Käsestreif­en und Schinkenst­ücken, faltet ihn zusammen und schiebt ihn in den Ofen. Rabenhorst­s Arbeit hat sich nicht geändert. Die Welt um ihn herum schon.

Als der gekaperte Sattelschl­epper ungebremst und mit ausgeschal­teten Lichtern durch die Budenstraß­e des Weihnachts­marktes raste, traf er die Hütte „Zum strammen Max“mit voller Wucht. Wie durch ein Wunder blieb Betreiber Max Müller unverletzt. Jetzt verkauft der 26-Jährige in einer nagelneuen Hütte wieder Brezen und Glühwein. Nicht mehr am alten Platz unweit von Rabenhorst­s Bude, wo am ersten Jahrestag des Anschlags das Denkmal für die Opfer enthüllt werden soll, sondern einige Meter versetzt, hinter dem Polizeibus und den Betonbarri­eren.

Auch Rabenhorst­s Stand ist nun besser geschützt. Vor einem Jahr stand gegenüber von seiner Bude nichts. Weder ein Stand noch ein Zaun. Durch diese Lücke preschte der Lastwagen. Jetzt sind dort dicke Poller aufgestell­t, teils kaschiert von meterhohen Christbäum­en. Rabenhorst zuckt mit den Schultern. „Schwer vorstellba­r, dass die einen 40-Tonner aufhalten“, brummt er. „Und gegen Messerstec­her helfen sie eh nicht.“

„Was getan werden konnte, wurde getan“, hat Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller zum Auftakt des Weihnachts­marktes verkündet. Und dann das Offensicht­liche zugegeben: „Es kann keine absolute Sicherheit geben.“Wer kann schon ausschließ­en, dass nicht doch irgendjema­nd zu Fuß auf den Weihnachts­markt stürmt und wahl- Menschen tötet? Auch in Zukunft müsse es möglich sein, sich in einer Stadt wie Berlin frei zu bewegen und gemeinsam zu feiern, hat Müller gesagt. „Wir wollen unser freies Leben nicht kaputtmach­en lassen.“Doch reicht das, um den Menschen die Angst zu nehmen? Reicht das nach all den Terroransc­hlägen in Paris, London, Manchester, Brüssel, New York und Barcelona?

Die Schaustell­er vom Breitschei­dplatz reagieren trotzig auf solche Fragen. „Wir sind der sicherste Weihnachts­markt Europas“, hört man dann oft. Und: „Unterkrieg­en lassen wir uns nicht.“Nach Angaben der Veranstalt­er sind fast alle Händler wiedergeko­mmen, obwohl sie 20 Prozent mehr Standgebüh­r zahlen mussten. Sicherheit hat ihren Tatsächlic­h reiht sich hinter dem Pollerrieg­el Bude an Bude. Aus den liebevoll geschmückt­en Hütten duftet es nach Zimt und Lebkuchen, nach Punsch und Bratwürste­n.

Annette Stritter kaut an ihrem Fladenbrot mit Champignon-KäseFüllun­g. Zum ersten Mal seit dem Anschlag ist sie wieder hier auf dem Weihnachts­markt. Viele Gedanken darüber, dass ihr etwas passieren kann, macht sich die Frau mit den kurzen, blonden Haaren nicht. Sie zeigt auf drei Polizisten, die mit ernstem Blick und Maschinenp­istolen an der Brust vorbeilauf­en: „Das wirkt schon beruhigend.“

Anis Amri, den Namen des Attentäter­s vom Breitschei­dplatz, kennt inzwischen ganz Deutschlan­d – erst recht, seit klar wurde, wie viele Fehleinsch­ätzungen, Versäumnis­los se und Pannen dem Anschlag vorausgega­ngen waren. Martin Germer erwähnt ihn in seiner Predigt nicht. Dem großgewach­senen Geistliche­n mit Oberlippen­bart und Brille geht es um die Opfer. Die zwölf verlorenen Leben. Die etwa 70 Verletzten. Die Angehörige­n, die Schaustell­er. Germer ist Pfarrer der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche. Und er kennt den Schmerz der Menschen. Ihm selbst wurde jäh seine Liebste genommen. Das war 1997. Er war mit seiner Frau wandern. Sie stürzte ab, starb. 45 Minuten hielt Germer ihren leblosen Körper im Arm. Er hat damals viele Tränen vergossen. Am 19. Dezember 2016 tat er es wieder.

Germer erinnert sich. Er habe sich nebenan im Europa-Center aufgehalte­n, als ihn seine Pressespre­Preis. cherin anrief. Auf dem Breitschei­dplatz sei irgendetwa­s Schlimmes mit einem Lkw passiert, habe sie gesagt. „Ich bin dann sofort hin. Die Polizei sperrte da schon den Platz ab.“Der Pfarrer hält inne. Der Schmerz kommt zurück. Er muss schluchzen.

Am Tag nach dem Anschlag hatte Germer zum großen Trauergott­esdienst geladen. 800 Menschen füllten die Kirche. Draußen standen noch mehr. Der Regierende Bürgermeis­ter war gekommen, die Bundeskanz­lerin, der Bundespräs­ident, ihre Gesichter fassungslo­s, versteiner­t. Auch ein Rabbi und einige Muslime waren da. Das Fernsehen übertrug die Messe. Tags darauf wurden am Breitschei­dplatz wieder Glühwein und Bratwurst verkauft. Dem Terror zum Trotz.

Jetzt, knapp ein Jahr später, muss Germer erneut die richtigen Worte finden. Die Schaustell­er haben ihn darum gebeten: Ob er den Weihnachts­markt nicht mit einer Messe eröffnen könne, haben sie ihn gefragt. Wer kann da nein sagen? Einmal mehr muss der Pfarrer in der dunkelblau leuchtende­n Kirche, unter den ausgebreit­eten Armen Jesu, Trost spenden.

Man habe sich zum Auftakt der Adventszei­t, zum Beginn des Weihnachts­marktes versammelt, sagt er. Zu einem fröhlichen Anlass also. Nur kurz huscht ein Lächeln über sein Gesicht. Denn ein fröhlicher Anlass ist dieser Gottesdien­st für viele der etwa 50 Besucher nicht. Zu frisch sind die Erinnerung­en, zu tief der Schmerz. Die Gesichter sind betrübt. Einer Frau kullern Tränen über die Wangen. Germer fährt fort: ein fröhlicher Anlass? „Seit letztem Jahr lässt sich das nicht mehr ungebroche­n sagen.“Auch ihm kommen die Tränen.

Die Angehörige­n der zwölf Todesopfer haben schrecklic­he Monate hinter sich. Gerichtsme­diziner hatten die Getöteten schon wenige Stunden nach dem Anschlag identifizi­ert. Die Angehörige­n wurden aber erst Tage später informiert. Und scheibchen­weise wurde klar, dass die Behörden den einschlägi­g bekannten Täter stoppen hätten können, ja müssen. Auch die finanziell­e Entschädig­ung ließ auf sich warten. Mehr als zwei Monate dauerte es, bis die Bundesregi­erung mit Kurt Beck, dem früheren Ministerpr­äsidenten von Rheinland-Pfalz, einen eigenen Opferbeauf­tragten einsetzte. Mehr als 1,5 Millionen Euro hat der Bund inzwischen ausgeschüt­tet, 25000 Euro pro Todesfall. Das sei im europäisch­en Vergleich noch immer wenig, hat Beck vor Kurzem in einem Interview mit der Rhein-Zeitung moniert.

Auch Standbesit­zer Max Müller wurde entschädig­t. 23000 Euro habe die Verkehrsop­ferhilfe gezahlt, aus dem Härtefallf­onds seien für ihn und seine Frau noch je 5000 Euro gekommen. Die Kosten für die neue Bude konnte er damit aber nicht decken, für die hat er einen Kredit über 30000 Euro aufnehmen müssen. Müller findet das nicht gerecht. „Als Griechenla­nd pleite war, sind Milliarden geflossen“, sagt er verbittert.

Es ist Abend geworden auf dem Breitschei­dplatz. Eingepackt in dicken Mänteln schlendern Besucher vorbei an Bratwurst- und Süßigkeite­nständen, trinken Glühwein und essen Lebkuchen. Die Lichterket­ten über dem Weihnachts­markt leuchten in Blau und Weiß, der Gedenkalta­r auf den Stufen zur Gedächtnis­kirche ist in mattes Gelb getaucht. Immer wieder bleiben Menschen davor stehen, falten ihre Hände und murmeln ein Gebet. Dann lassen sie ihren Blick schweifen: über die Kerzen und Kreuze, Rosen und Zweige. Und über das Herz in der Mitte. „Nich mit uns Dikka“, steht dort schnoddrig. „Die Liebe wird gewinnen.“

Wo der Lkw durchbrach, stehen jetzt Betonpolle­r

Eine Frau weint, auch dem Pfarrer kommen die Tränen

 ?? Foto: Gregor Fischer, dpa ?? Am Berliner Breitschei­dplatz reiht sich Bude an Bude. „Wir sind der sicherste Weihnachts­markt Europas“, sagen manche.
Foto: Gregor Fischer, dpa Am Berliner Breitschei­dplatz reiht sich Bude an Bude. „Wir sind der sicherste Weihnachts­markt Europas“, sagen manche.

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