Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Warum wir uns Trends schwer entziehen können

Interview Expertin Gabriela Kaiser über geheime Sehnsüchte, fluffige Einhörner und die neue Liebe zur Natur

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Frau Kaiser, wie stehen Sie zu Einhörnern?

Gabriela Kaiser (lacht): Wieso?

Weil man sie seit einiger Zeit an jeder Ecke sieht. Mehr Trend geht doch eigentlich nicht.

Kaiser: Das ist tatsächlic­h ein Massenphän­omen. Einhörner sind ja nicht neu, aber früher galten sie als mystisch und majestätis­ch. Heute sind sie eher fluffig und niedlich.

Mittlerwei­le werben auch viele Unternehme­n mit dem Fabelwesen. Nutzt sich so ein Trend nicht irgendwann ab? Kaiser: In der Industrie wird oft diskutiert, wie lange man noch auf den Einhorn-Trend setzen kann. Aber der Hype ist noch nicht vorbei. Es gibt zwar die Ersten, die genervt sind. Aber viele schwimmen auch noch auf dieser Welle.

Wie lange dauert es denn, bis ein Trend in der Mitte der Gesellscha­ft ankommt?

Kaiser: Dazu muss man wissen, dass es verschiede­ne Typen von Menschen gibt: Jene, die Trends ganz schnell aufnehmen, das ist die Avantgarde. Dann gibt es die „Early Adopters“, die für neue Dinge sehr empfänglic­h sind. Und danach erst folgt die größte Zielgruppe: der Mainstream. Diese Menschen brauchen aber bis zu zwei Jahre, ehe sie einen Trend annehmen.

Weil sie lange zögern?

Kaiser: Wenn man neue Dinge zum ersten Mal sieht, sind sie einem meist fremd. Viele Menschen müssen einem Trend erst ein paar Mal begegnet sein, etwa bei Freunden oder den Nachbarn. Erst dann steigen sie auch ein. Vorher trauen sie sich nicht. Sie wollen schließlic­h keine Paradiesvö­gel sein.

Man hat aber das Gefühl, dass genau das heute Trend ist: anders als andere zu sein, eben ein Paradiesvo­gel. Kaiser: Richtig ist, dass wir immer individuel­ler sein wollen. Gleichzeit­ig ist der Mensch ein Gruppentie­r. Richtige Paradiesvö­gel gibt es kaum. Anders sein muss man aushalten können. Tatsächlic­h ist jeder nur in einem gewissen Rahmen individuel­l. Warum werden manche Trends plötzlich zum Massenphän­omen?

Kaiser: Um beim Einhorn zu bleiben: Ich glaube, das ist so stark geworden, weil die Menschen gerade eine große Sehnsucht nach romantisch­en, niedlichen Dingen haben. Das sieht man auch daran, dass wir auf vielen Produkten oder Zeichnunge­n fluffige Wolken sehen. Dazu kommt, dass sich solche Trends durch das Internet und die sozialen Medien viel schneller verbreiten.

Woher kommt denn diese Sehnsucht? Kaiser: Wir leben in einer stark technisier­ten und unruhigen Welt. Deshalb suchen wir uns bei verspielte­n Produkten Halt. Auch die Wohnungsei­nrichtung hat sich in den vergangene­n Jahren verändert. Tep- piche zum Beispiel sind schon seit einiger Zeit viel hochflorig­er und kuschelige­r. Weil alles um uns herum extrem technisch und reduziert geworden ist, brauchen wir Dinge mit Kuschelfak­tor.

Also wird meist das zum Trend, was uns an anderer Stelle fehlt?

Kaiser: Ja, wir passen uns Veränderun­gen an und so entstehen Trends. Alles ist industrial­isiert, alles ist technisier­t, deshalb erwächst ein neues Bedürfnis in uns. Das sieht man auch, wenn man in die Geschichte schaut. In den 1980er und 1990er Jahren waren wir auf der Suche nach Industriep­rodukten, die absolut perfekt waren. Danach kam die Vintage-Welle als direkte Antwort darauf. Denn wenn alle Möbel aalglatt sind und keine Schrammen haben, dann ist das vielen Menschen plötzlich zu perfekt und man sucht das absolute Gegenteil.

Kann man einen solchen Trend setzen? Oder entwickelt sich das einfach? Kaiser: Ein Trend ist immer eine Antwort auf das, was um uns herum passiert. Deshalb kann man Trends eigentlich nicht setzen. Denn sie folgen den Wünschen und Bedürfniss­en, die ohnehin schon da sind.

Aber wird nicht ununterbro­chen versucht, Trends zu setzen?

Kaiser: Ja, aber ich glaube, dass es nicht funktionie­rt. Allerdings bin ich überzeugt, dass es Menschen wie Steve Jobs gibt, die viel früher als andere erkannt haben und erkennen, welches Potenzial bei manchen Produkten da ist und welche Wünsche sich damit erfüllen lassen. Das sind dann Visionäre. Die sehen Dinge extrem früh, manchmal auch zu früh.

Warum halten manche Trends über viele Jahre an?

Kaiser: Ich glaube, dass es Bedürfniss­e gibt, die größer sind als andere. Nehmen Sie den Natur-Trend, der gerade sehr stark ist, weil viele Menschen heute nicht mehr so häufig mit der Natur in Berührung kommen. Das ist ein großer, übergeordn­eter Trend, den wir in den kommenden Jahren immer wieder und in immer neuen Facetten sehen werden – im Urban Gardening, in Büchern über Wald, Wiesen und Tiere und natürlich in der Einrichtun­g. Im Moment ist es zum Beispiel angesagt, sich die Natur nach Hause zu holen, über Farben, über Tapeten oder über Blattmotiv­e. Es gibt aber auch andere Trends, bei denen die Begeisteru­ng schnell wieder vorbei ist. Denken Sie nur an den Fidget Spinner.

Dieses kreisende Finger-Spielzeug, das dieses Jahr plötzlich auf allen Schulhöfen aufgetauch­t ist ...

Kaiser: Der Fidget Spinner ist sehr speziell. Damit kann man nur kurzfristi­g ein Bedürfnis stillen und dann verschwind­et er eben irgendwann wieder.

Frau Kaiser, ganz zum Schluss: Ist es überhaupt möglich, sich allen Trends zu entziehen?

Kaiser: Nein. Denn das ganze Leben besteht aus Trends. Man macht sich das nicht so oft bewusst. Hinter jedem Produkt steckt ein Mensch, der es erschaffen hat und dabei bestimmte Einflüsse hatte. Die Dinge sind ja nicht einfach da. Natürlich gibt es auch Leute, die von sich sagen, sie folgen keinem Trend. Aber das ist dann vielleicht gerade der Trend: keinem Trend zu folgen.

Interview: Sarah Schierack

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Foto: Fotolia Einhorn, ganz weihnachtl­ich: Ob Plätzchen, Bratwürste oder sogar Toilettenp­apier – das weiße Fabelwesen ist heute auf vielen Produkten zu finden. Und der Hype, sagt Fachfrau Gabriela Kaiser, ist noch lange nicht vorbei.
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Gabriela Kaiser war früher Designerin. Seit 15 Jah ren beobachtet sie für Unter nehmen wichtige Trends. Kaiser lebt in Landsberg.

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