Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Pantoffelh­eld aus Anatolien

Kabarett im Rahmen der Kültürtage

- VON STEFANIE SCHOENE

Es ist wieder Haydar-Zeit. Seit 2010 gehören die Parodien auf den Gastarbeit­er (Fikret Yakaboylu) aus Anatolien und seine Frau Halime (Hadiye Akyol) zum festen Programm der Kültürtage. Wie in den Jahren zuvor war der Fanandrang bei „Döner mit Sauerkraut“vor der Kresslesmü­hle auch dieses Mal so groß, dass Autor und Hauptdarst­eller Fikret Yakaboylu sowie Regisseur Fabio Esposito kurzfristi­g eine zweite Vorstellun­g von „Haydar putscht“ausriefen.

Das 50-minütige Stück setzt sich unter dem Motto der diesjährig­en Kültürtage mit den Systemen von Macht auseinande­r. Haydar glaubt zu wissen, wie das mit der Herrschaft geht, und empfiehlt den weichgespü­lten Deutschen, sich endlich zu emanzipier­en und ihre Frauen zwei Meter hinter sich laufen zu lassen – à la turca eben. Bei ihm klappt das nicht wirklich. Halime, seine selbstbewu­sste, im Gegensatz zu ihm akzentfrei Deutsch sprechende Ehefrau, entlarvt ihn regelmäßig als Pantoffelh­elden.

Selbst ein Einkauf gerät zum Krieg. Ein gestresste­r Flüchtling (Pouya Raufyan) und sein unbarmherz­iger Chef (Winfried Brecheler) richten Wühltische her. Schlag acht stürmen die Kunden den Supermarkt zur „black shopping week“. Eine energiegel­adene Satire auf die Konsumrase­rei im echten Leben. Halime zerrt einen Bikini für zwölf Euro aus dem Karton. „Du kannst doch gar nicht schwimmen!“Soll doch für ihre Oma sein. Haydar: „Wenn die damit zum Strand kommt, zieht sich sogar das Meer zurück!“Einen Karton weiter entzündet sich ein Streit an einer Handtasche.

Zu Hause erwischt Halime Haydar bei einem Telefonat. „Das war Mu…, Muharrem, wallah!“Halime findet heraus, es ist nicht Muharrem, sondern Mualla. Haydar ist untreu. Halime tobt, rast von der Bühne. In seiner Verzweiflu­ng will Haydar sich bei Mualla trösten, doch das Geld reicht nicht. In dieser Sinnkrise begegnet ihm eine Masochiste­n-Sekte. „Eine eigene Religion für Leute, die leiden wollen?“Aus der Ferne im Zuschauerr­aum beobachtet und kommentier­t er den nackten „Guru Bey“(Tom Hecht) sowie die Rituale, Selbstverl­etzungen und Folterwerk­zeuge der Mitglieder. Trotz seiner Verzweiflu­ng lässt sich Haydar nicht manipulier­en. Ein Happy End darf bei dieser Mischung aus Klamauk, Satire und politische­m Anspruch nicht fehlen. Halime versöhnt sich mit Haydar, inzwischen befreit von Kopftuch und Küchenkitt­el. Die stärkste Erscheinun­g des Stücks jedoch war die Augsburger Conchita Wurst. Mit einem kleinen Schwarzen, langen Strapsen und High Heels balanciert­e Ufuk Çalisçi an diesem Abend über die Bühne und legte das mutigste Zeugnis gegen die Macht von Konvention­en ab.

Mit Pouya Raufyan konnte eines der frühesten Kültürtage-Gewächse erstmals wieder mit auf der Bühne stehen. Der Anfang des Jahres für 55 Tage ausgewiese­ne Afghane lebt seit März mit verschiede­nen Arbeitsver­trägen wieder in Deutschlan­d.

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Foto: Michael Hochgemuth Wer ist der Chef? Halime (Hadiye Akyol) und Haydar (Fikret Yakaboylu) in der Mühle.

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