Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie wird man 104?

Geburtstag Wilhelmine Schaefer war immer sportlich, achtet auf sich und schwört auf die Liebe

- VON INA KRESSE

Sie habe einen sehr hohen Anspruch an sich, sagt Wilhelmine Schaefer. Die alte Dame sitzt aufrecht in ihrem Wohnzimmer­sessel. Sie trägt eine schicke Bluse und eine große funkelnde Kette um den Hals. Schaefer zählt zu den ältesten Augsburger­n. 40 Menschen leben derzeit in der Stadt, die über 100 Jahre alt sind. Schaefer ist eine davon. Sie feiert heute ihren 104. Geburtstag. Dass sie so alt geworden ist, überrascht sie nicht, sagt die Jubilarin.

Wilhelmine Schaefer ist eine Frau, die eine Zeit lang überlegt, bevor sie spricht. Das mag sicherlich auch an ihrem hohen Alter liegen. Aber die über Hundertjäh­rige scheint eine sehr besonnene und achtsame Dame zu sein. Vor allem achtet sie auf sich selbst. „Ich bin ein zufriedene­r Mensch, sonst würde ich hier nicht so vor ihnen sitzen“, meint sie in ihrer direkten und unverblümt­en Art. Hinter dieser Zu- friedenhei­t steckt ein harter Kampf, Tag für Tag. Das hohe Alter sei nicht nur ein Segen, sagt Schaefer. „Es ist auch viel Anstrengun­g, um weiter zu bestehen. Jeden Morgen muss ich mir sagen, dass ich es wieder schaffe.“Ohne Hilfe geht das nicht.

Ihr 40 Jahre jüngerer Lebensgefä­hrte Gerhard Beyl hilft Schaefer täglich beim Aufstehen. Wie die Seniorin erzählt, habe sie eine Frau, die sie morgens beim Anziehen und Herrichten unterstütz­t. Schaefer legt viel Wert auf ihr Äußeres. „Ohne meine Kosmetik und Gesichtspf­lege geht nichts. Früher war ich immer bei der Kosmetiker­in, jetzt kommt sie zu mir. Sie schaut, dass ich gut aussehe und pflegt auch meine Fingernäge­l.“Einmal die Woche kämen zudem eine Osteopathi­n und eine Physiother­apeutin. „Ohne diese außerorden­tliche Pflege würde ich nicht so aussehen, wie ich aussehe.“104 Jahre – dieses Alter sei schon besonders, räumt Schaefer ein. Aber dass sie so alt wurde, sei keine Überraschu­ng.

„Ich habe immer sportlich gelebt. 50 Jahre spielte ich Tennis, ich spielte Volleyball und machte Gymnastik.“Alkohol oder Zigaretten fasste die disziplini­erte Augsburger­in nie an. Klar, die Mobilität ist inzwischen eingeschrä­nkt. Bei schönem Wetter sitzt Wilhelmine Schaefer gerne in ihrem Rollstuhl auf dem Balkon des Mehrfamili­enhauses in der Jakobervor­stadt. Dann genießt sie den Blick auf das Rathaus oder den Ulrich.

Manchmal fährt ihr Lebensgefä­hrte mit ihr nach Bad Wörishofen im Unterallgä­u. Dort werden Spaziergän­ge mit dem Rollstuhl unternomme­n und beide gehen gut essen. „Auch als wir wegen der Bombe letztes Jahr aus der Wohnung mussten, sind wir nach Bad Wörishofen. Das lieben wir“, erzählt sie. Aber so richtig verwurzelt fühlt sich Schaefer nur mit Augsburg. Die betagte Dame ist mit der Entwicklun­g ihrer Heimatstad­t sehr zufrieden. „Ich wünsche mir, dass es sich weiter so großbürger­lich entwickelt. Aber es soll nicht münchneris­ch werden. Das ist mir zu groß.“

Für sich selbst wünscht sich Wilhelmine Schaefer nur Gesundheit. Seit Kurzem erst lassen nämlich ihre Augen nach. „Ich lese doch wahnsinnig gerne. Aber ich kann keine Zeitung mehr lesen und keine Kreuzwortr­ätsel mehr lösen. Das sind so Dinge, die schlagen plötzlich ein, wie der Blitz. Aber was kann man machen...“Ein Rezept für ihr hohes Alter ist die Liebe. Wenn Wilhelmine Schaefer von ihrem Lebensgefä­hrten erzählt, spricht sie von „Herrn Beyl“. Seit 26 Jahren sind die beiden mit dem außergewöh­nlich hohen Altersunte­rschied ein Paar. Die Seniorin weiß diese Beziehung zu schätzen, vor allem jetzt, wo „Herr Beyl“ihr täglich eine wichtige Stütze ist. „Die jüngeren Menschen heute geben bei der Liebe zu schnell auf“, kritisiert die 104-Jährige. „Oft würde es klappen, wenn sie darum kämpfen und nicht zu schnell aufgeben würden.“Sie hat noch einen Ratschlag parat: „Die Liebe darf nicht langweilig werden. Sie muss immer wieder neu erarbeitet werden.“

Heute, an ihrem 104. Geburtstag, kommen ihre Tochter und ihr Sohn zu Besuch. Vor vier Jahren war Oberbürger­meister Kurt Gribl bei ihr zu Gast, erinnert sie sich. „Er hat mit mir die ganze Zeit Händchen gehalten.“Schaefer lächelt schalkhaft. „Aber ich glaube, da war er noch nicht zum zweiten Mal verheirate­t.“

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 ?? Foto: Bernd Hohlen ?? Wilhelmine Schaefer feiert ihren 104. Geburtstag. Im Hintergrun­d ist sie mit ihrem Lebengefäh­rten zu sehen.
Foto: Bernd Hohlen Wilhelmine Schaefer feiert ihren 104. Geburtstag. Im Hintergrun­d ist sie mit ihrem Lebengefäh­rten zu sehen.

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