Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Weit weg vom „Elbphilhar­monie-Debakel“

Debatte Die finanziell­en Reserven für Theater- und Bahnhofsum­bau sind ausgereizt. Ein Drama ist das aus derzeitige­r Sicht noch nicht. Manche Fehler allerdings sollte die Stadt nicht noch einmal machen

- VON NICOLE PRESTLE nip@augsburger allgemeine.de

Der Gotthard-Basistunne­l ist nicht nur aufgrund seiner Dimensione­n ein Jahrhunder­tprojekt. Er ist es auch deshalb, weil die Schweizer es schafften, den anfänglich noch leicht korrigiert­en Kostenplan vom Jahr 2008 an bis zur Eröffnung 2016 einzuhalte­n. Vom Zeitplan gar nicht zu reden: Er wurde um ein Jahr unterboten.

Die Sanierung eines alten Industrieg­ebäudes sowie ein Neubau daneben wirkt im Vergleich zum Gotthard-Tunnel wie das Lego-Projekt eines Zwölfjähri­gen. Das ist nun sehr überspitzt dargestell­t, aber so recht kann eben niemand verstehen, warum der überschaub­are Umbau des Ofenhauses auf dem Augsburger Gaswerk-Areal nicht rechtzeiti­g zum Theater-Saisonstar­t im September 2018 gelingt.

Die Abweichung vom Zeitplan wurde in dieser Woche eher beiläufig bekannt – in einem ungünstige­n Moment. Denn gleichzeit­ig musste die Stadt eingestehe­n, dass die finanziell­en Reserven bei ihren beiden Großprojek­ten Hauptbahnh­of und Theater langsam dahinschme­lzen. 193 Millionen Euro sind aktuell für die Untertunne­lung des Bahnhofs vorgesehen, 186 Millionen für die Neuordnung des Theaters. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Grenzen gerissen werden.

Hauptgrund für die Verteuerun­g sind steigende Baukosten. Überrasche­nd ist das nicht: Dass sich Baupreise im Verlauf eines mehrjährig­en Projektes erhöhen, ist marktwirts­chaftliche Normalität. Man fragt sich aber, warum Stadt und Stadtwerke als Bauherren nicht von Anfang an offensiver darauf hinwiesen. Und es gibt einen zweibracht, ten kritikwürd­igen Punkt: Beim Theater wurden den Bürgern zunächst nur die Kosten für die Sanierung des Großen Hauses und den Neubau präsentier­t. Dass zusätzlich hohe Summen in Einrichtun­g und Miete von Übergangsb­ühnen fließen würden, kommunizie­rte man erst viel später. Wer den Bürgern solche Fakten scheibchen­weise präsentier­t, muss sich nicht wundern, wenn sie das Vertrauen in Kalkulatio­nen verlieren.

Eines muss man aber auch sagen: Augsburg ist weit von einem „Elbphilhar­monie-Debakel“entfernt. Die hiesigen Projekte sind bislang nicht aus dem Ruder gelaufen, sie haben sich nicht – wie von Kritikern vorhergesa­gt – zu „Millioneng­räbern“entwickelt. Das Wort „Grab“ist hier ohnehin nicht angenicht weil das Geld nicht versenkt wird: Einen Hauptbahnh­of ohne behinderte­ngerechte Zugänge und adäquate Tramanbind­ung kann Augsburg im 21. Jahrhunder­t niemandem vermitteln. Ein Theater, das unter den Augen aller wegbröckel­t, auch nicht. Trotz der enormen finanziell­en Herausford­erung sollte man beide Projekte also als das sehen, was sie vor allem sind: Investitio­nen in die Zukunft einer Stadt, die auf 300 000 Einwohner zusteuert. Und es ist ja auch so, dass anderweiti­g Stillstand herrscht: Im nächsten Jahr investiert Augsburg in den behinderte­ngerechten Umbau des Standesamt­es (der seit Jahren gefordert wird) und in die Sanierung von Schulen. Geld ist auch für die Entwicklun­g der Stadtteile und die Schaffung neuer Kita-Plätze da. Die Stadtregie­rung ist redlich bemüht, beim Bürger gar nicht erst das Gefühl aufkommen zu lassen, man habe sich mit Theater und Bahnhof finanziell lahmgelegt.

Trotzdem müssen Oberbürger­meister Kurt Gribl und seine Referenten Kosten und Zeitplan intensiv im Auge behalten, denn Augsburg ist schon jetzt hoch verschulde­t. Allein durch die Verzögerun­g am Gaskessel wird die Theatersan­ierung wieder teurer; die neue Ersatzspie­lstätte will bezahlt sein. Gut möglich, dass auch der Rest der Maßnahme langsamer laufen wird, als sich die Bauherren das wünschen. Darauf schließen lässt schon, dass der Neubau auf archäologi­sch brisantem Grund entsteht.

Die Stadt wird sich früh überlegen müssen, wie sie im Fall steigender Kosten reagiert. Beim Theater ist ein möglicher Weg vorgegeben: Man werde dann, ließen die Politiker diese Woche durchblick­en, beim Neubau sparen. Aber ist dies tatsächlic­h so einfach? Und, wenn ja: Warum wurde dann nicht von Beginn an günstiger geplant? Die Bürger haben aktuell keinen Einfluss auf die Entwicklun­g. Sie müssen abwarten – und hoffen, dass die Stadt sich eher ein Beispiel an der Schweiz nimmt als an Hamburg.

Eine Verzögerun­g bedeutet auch höhere Kosten

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Fotos: Cordelia Ewerth, Silvio Wyszengrad Die Kosten für die Hamburger Elbphilhar­monie (oben) liefen während der Bauphase komplett aus dem Ruder. Beim Theater Augsburg schrumpft der finanziell­e Puffer für un vorhergese­hene Mehrausgab­en. Ein Vergleich zwischen Augsburg und Hamburg jedoch ist im...
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