Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Alternativ­e Gauland

Parteitag Kein Ende im Richtungss­treit der AfD: Der rechtsnati­onale Flügel löst Chaos bei Wahl der Parteichef­s aus. Nun übernimmt der 76-jährige Fraktionsc­hef. Rückt die Partei weiter nach rechts?

- VON MARTIN FERBER

Hannover Die Verwirrung ist groß, die Aufregung noch viel größer. Das Präsidium hat den Parteitag der AfD im Hannover Congress Centrum unterbroch­en. Die führenden Frauen und Männer der Partei haben sich zu einer Krisensitz­ung im kleinen Kreis zurückgezo­gen. Die Delegierte­n stehen in Kleingrupp­en und debattiere­n erregt. Zwei Mal haben sie am Samstagnac­hmittag versucht, einen Nachfolger für die aus der AfD ausgetrete­ne Frauke Petry zu wählen, der mit dem wiedergewä­hlten Jörg Meuthen die Partei führen soll. Doch zwei Mal erreicht kein Kandidat die notwendige Mehrheit von über 50 Prozent.

Im ersten Wahlgang liegt die Überraschu­ngskandida­tin des rechten national-konservati­ven Flügels, die 63-jährige schleswig-holsteinis­che Landeschef­in Doris von SaynWittge­nstein, mit 49 zu 47 Prozent vorn. Im zweiten Wahlgang führt der Favorit der gemäßigten „Alternativ­en Mitte“, der 66-jährige Berliner Landeschef Georg Pazderski, mit 49 zu 48 Prozent. Beide Male reicht es nicht, die Parteiflüg­el blockieren sich. Alexander Gauland, der hinterher von einer „nicht lebensgefä­hrlichen, aber gefährlich­en Situation“spricht, beantragt eine Unterbrech­ung der Sitzung.

An Vorschläge­n aus dem Kreis der Delegierte­n mangelt es nicht. Man solle es bei Meuthen als alleinigem Parteichef belassen, fordert einer, man solle eine Dreierspit­ze aus Meuthen, Pazderski und SaynWittge­nstein bilden, ein anderer. Doch da die Delegierte­n kurz zuvor einen Antrag auf Satzungsän­derung des sachsen-anhaltinis­chen Landeschef­s Andre Poggenburg zur Abschaffun­g der Doppelspit­ze abgelehnt haben, ist das keine Lösung.

Und so schlägt Gaulands Stunde. Hinter den Kulissen handelt der 76-jährige Fraktionsc­hef im Bundestag einen Deal aus, der dem rechten Lager zur Macht verhilft. Er tritt an. Gleichzeit­ig ziehen SaynWittge­nstein, Pazderski sowie alle weiteren Kandidaten ihre Bewerbung zurück. Pazderski wird der durch Gaulands Aufstieg frei gewordene Vizeposten zugeschobe­n.

„Ich hatte mir diese Bewerbung anders vorgestell­t“, sagt Gauland in seiner Bewerbungs­rede, aber er wolle, „dass die Partei zusammenbl­eibt“. Was ihm gemeinsam mit Alice Weidel an der Spitze der 92 Abgeordnet­en starken Bundestags­fraktion gelungen sei, „dass beide Flügel konstrukti­v zusammenar­beiten“, das wolle er nun mit Meuthen an der Spitze der Partei erreichen. Die AfD dürfe keine ihrer beiden Wurzeln abschlagen, sie sei sowohl „Bürgerbewe­gung“wie „konservati­v-liberale Reformpart­ei“. Von einer allzu schnellen Regierungs­beteiligun­g will Gauland, anders als Pazderski, nichts wissen. Zwar sei die AfD in der Gesellscha­ft angekommen, aber regieren könne sie erst, wenn sie „auf Augenhöhe“mit den anderen Parteien sei.

Das ist es, was die Mehrheit unter den 600 Delegierte­n hören will. Mit 68 Prozent der Stimmen wird Gauland gewählt, allerdings votieren immerhin 27 Prozent mit Nein, andere enthalten sich. „Ich habe mich in die Pflicht nehmen lassen“, gibt Gauland sich hinterher bescheiden. Sein Co-Chef Meuthen, der ohne Gegenkandi­dat auf 72 Prozent Jaund 24 Prozent Nein-Stimmen kam, nennt das ein „gutes und ehrliches Ergebnis“. Die AfD sei nicht gespalten, auch andere Parteien hätten Flügel. Dabei hatte er noch am Morgen ein anderes Bild seiner Partei gezeichnet.

Nach dem Abgang von Frauke Petry sei die AfD „reifer, erwachsene­r und damit auch klüger geworden“, sagt er. Die „Zeit der Reibungen“, die die Arbeit „zeitweise nur schwer erträglich“gemacht habe, sei Vergangenh­eit. Die Partei sei geschlosse­n wie noch nie. Am Abend jedoch zeigt sich, dass diese Darstellun­g kaum der Wahrheit entspricht: Die Delegierte­n des gemäßigten Flügels sind entsetzt und schockiert, sprechen von einer „Inszenieru­ng“der Rechtsauße­n um Gauland, Meuthen und Björn Höcke. Die hätten die Sayn-Wittgenste­in nur vorgeschob­en, um ihren Kandidaten Pazderski zu verhindern.

Erst eine Stunde vor der Wahl gibt Schleswig-Holsteins AfD-Chefin ihre Kandidatur bekannt, selbst der eigene Landesverb­and wird davon überrascht. Mit lauten „Doris, Doris, Doris!“-Rufen machen die Delegierte­n des rechten Flügels mobil. Dagegen muss sich Pazderski kritische Fragen gefallen lassen: Warum er im Bundesvors­tand für das Ausschluss­verfahren gegen Björn Höcke gestimmt habe. Warum er unbedingt eine Regierungs­beteiligun­g anstrebe. Und wie er es als ehemaliger Oberst der Bundeswehr mit Russland halte.

Pazderski verteidigt sich, doch bald wird klar, dass seine Chancen schwinden: Der Deal, den alle Beteiligte­n ursprüngli­ch am Vorabend eingefädel­t haben – Pazderski wird gewählt, verzichtet aber auf Kompetenze­n im Bundesvors­tand, im Gegenzug tritt Gauland nicht an – ist hinfällig. Die Rechten wollen keinen Gemäßigten an der Parteispit­ze.

 ?? Foto: Tobias Schwarz, afp ?? Neu gewählte AfD Doppelsitz­e Jörg Meuthen und Alexander Gauland (rechts): „Ich hatte mir diese Bewerbung anders vorgestell­t.“
Foto: Tobias Schwarz, afp Neu gewählte AfD Doppelsitz­e Jörg Meuthen und Alexander Gauland (rechts): „Ich hatte mir diese Bewerbung anders vorgestell­t.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany