Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Von Anfang an gut zu Fuß
Orthopädie Der Winter ist da. Und wie so oft brauchen die Kinder dann neue Schuhe. Was Eltern beachten sollten
Augsburg 26 Knochen, 33 Gelenke und weit über 100 Sehnen, Bänder und Muskeln bilden einen Fuß. An der Sohle befinden sich zudem jede Menge Sinneszellen. Wer jemals in einem Anatomiebuch die Seiten über den Fuß angesehen hat, ist beeindruckt, wie die komplexen Strukturen perfekt aufeinander abgestimmt sind. Schon bei der Geburt sind die Füße äußerlich komplett ausgebildet, zum Laufen sind sie aber noch nicht bestimmt. „Alle Weichteile sind angelegt und die späteren Knochen sind als Knochenkerne da“, erklärt Esther von Richthofen, Leitende Ärztin der Kinderorthopädie am Fußzentrum der Sana Klinik Bethesda in Stuttgart. Bis es denn ersten Schritt macht, braucht das Baby zehn bis 15 Monate. Beim Thema Kinderfüße gibt es viel zu beachten – genauso wie beim Kauf von Kinderschuhen.
„So zart sie auch aussehen mögen – Babyfüße sind stark genug, das Gewicht des Körpers zu tragen“, sagt Kinder- und Jugendarzt Berthold Koletzko von der Uniklinik München. Zunächst scheinen die Füßchen komplett flach zu sein, doch mit einem Plattfuß hat das nichts zu tun: Den Eindruck vermittelt nur ein dickes Fettpolster an der Sohle, das vor Auskühlung, aber auch vor Überbelastung schützt. Es dauert etwa bis zum sechsten Lebensjahr, bis das Fußgewölbe komplett ausgebildet ist.
Ein echter Plattfuß ist äußerst selten. Manche Kinder kommen mit einem oder zwei Sichelfüßen zur Welt, bei denen der vordere Teil des Fußes und die Zehen nach innen gerichtet sind. Eine andere Fehlstellung stellt der Hackenfuß dar, bei dem der Vorfuß steil nach oben zeigt. Esther von Richthofen empfiehlt, die betroffenen Kinder auf jeden Fall einem Arzt vorzustellen. „Je kleiner die Kinder sind, umso besser ist die Fehlstellung zu behandeln. Meist reicht eine Weichteilbehandlung mit einer speziellen Wickeltechnik aus.“Eine ernst zu nehmende Fußfehlform ist dagegen der Klumpfuß. Er kommt drei Mal unter tausend Babys vor, wobei doppelt so viele Jungen wie Mädchen betroffen sind. Es handelt sich dabei eine komplexe, dreidimensionale Fehlbildung des Fußes. Die Behandlung sollte kurz nach der Geburt einsetzen – dann bestehen die besten Chancen für eine vollständige Korrektur.
Für viele Eltern sind die ersten Schuhe und die vielen weiteren Paare, die im Laufe des Wachstums benötigt werden, ein großes Thema. „Für eine gesunde Entwicklung der Füße sind Schuhe nicht erforderlich“, meint Berthold Koletzko. „Eher im Gegenteil: Schuhe hindern die Füße am Tasten und Greifen. Dadurch bleiben dem Kind wichtige sensorische Empfindungen vorenthalten. Schuhe braucht der Mensch nur zum Schutz gegen Kälte, Hitze und Verletzungen.“
Glaubte man früher, die Füßchen bei den ersten Laufversuchen mit festen Schuhen unterstützen zu müssen, so ist die Zeit der Lauflernschuhe inzwischen vorbei. Kinderorthopäden plädieren dafür, das Kind auf eigenen Sohlen, also barfuß, durch die Wohnung laufen zu lassen. Bei kalten Fußböden bieten sich Socken mit Gumminoppen an, um das Rutschen zu verhindern. Hausschuhe seien hingegen nicht nötig.
98 Prozent aller Babys kommen mit gesunden Füßen auf die Welt. Später verschlechtert sich bei vielen Kindern der Zustand der Füße. Bis zum Erwachsenenalter haben sich bei rund 60 Prozent Fuß- und Haltungsschäden eingestellt, die nur mit erheblichem Aufwand korrigiert werden können. In einer österreichischen Studie wurde die Stellung der Großzehe bei Kindergartenkindern begutachtet. Die Forscher stellten dabei fest, dass nur noch 24 Prozent der untersuchten Kleinkinder gerade Großzehen hatten, beim größten Teil der Kinder waren die Großzehen bereits in Richtung der anderen Zehen abgeknickt. Im fortgeschrittenen Stadium kann dies zu einem schmerzhaften Hallux valgus (Schiefstand der Großzehe) führen, der oft nur noch operativ korrigiert werden kann. Die Autoren der Studie fanden einen eindeutigen Zusammenhang zwischen zu kleinen Schuhen und schrägen Großzehen.
Für die Eltern ist der Schuhkauf keine leichte Aufgabe, denn auf die Angaben des Kindes ist kein Verum lass: Kinderfüße sind noch sehr flexibel und lassen sich auch in Schuhe zwängen, die im Extremfall fünf Nummern zu klein sind. Kinder merken auch häufig nicht, wenn sie den rechten Schuh am linken Fuß tragen und umgekehrt. Das tut ihnen nicht weh, weil die Nerven im Fuß noch nicht so entwickelt sind wie im Erwachsenenalter.
Die langjährige Diskussion um zu kleine Kinderschuhe hat in den letzten Jahren zu einer gegenläufigen Entwicklung geführt, vermehrt tragen Kinder zu große Schuhe. „Die Kinder krallen dann mit den Zehen, um die Schuhe festzuhalten“, beschreibt Esther von Richthofen die Folgen. „Sie haben dann keinen entspannten Gang. Es entwickelt sich ein falsches Gangbild.“
Die Sorge, die passenden Schuhe zu finden, begleitet die Eltern etliche Jahre lang: Bei Mädchen wachsen die Füße im Allgemeinen bis zum Beginn der Regelblutung: Bei den Füßen der Jungen gibt es in der Pubertät noch einmal einen ordentlichen Wachstumsschub. Erst mit 18 oder 19 Jahren haben ihre Füße die endgültige Größe erreicht.