Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Wächter der Kronjuwele­n

Geschichte Seit Jahrhunder­ten sind die sogenannte­n Beefeaters die Leibgarde der Queen und schützen den Tower von London. Ein Mitglied erlaubt einen Blick hinter die dicken Mauern

- VON KATRIN PRIBYL

London Wenn er an kalten Wintermorg­en die Straße mit dem Namen Water Lane hinunterlä­uft und der Nebel vom Fluss Themse das moderne London versteckt, fühlt sich Terry Humphries immer ins 15. Jahrhunder­t versetzt. Um diese Uhrzeit sind die schweren Tore des Towers of London noch verriegelt und die aufgehende Sonne steigt an den alten Gemäuern empor. Es herrscht Ruhe, wo schon bald tausende Touristen wuseln. Doch außerhalb der Öffnungsze­iten gehört die Anlage den Yeoman Warders, Wachleuten wie Terry Humphries.

37 Beefeaters – also „Rindfleisc­hesser“, wie ihr Spitzname im Volksmund lautet – bewachen den fast tausend Jahre alten Komplex und alles, was innerhalb seiner dicken Mauern liegt. Wo einst englische Könige residierte­n, noble Gefangene geköpft wurden und Tiere für brutale Spektakel herhalten mussten, geben heute jene 35 Männer und zwei Frauen in ihren blauroten Uniformröc­ken mit der Krone auf der Brust Einblick in die blutige Historie. Die Uniformen wärmten schon die Ritter im 15. Jahrhunder­t unter ihren Rüstungen.

Es ist eine Mischung aus Tradition und Folklore. Die Beefeaters stehen als Symbol für britische Geschichte, aber sind mittlerwei­le vor allem Staffage und Fotomotiv für die knapp drei Millionen Besucher, die es jährlich in die Londoner Sehenswürd­igkeit zieht. Insbesonde­re die Kronjuwele­n locken mit ihrem Prunk und royalem Glamour. Terry Humphries bezeichnet sich als Touristenf­ührer und Sicherheit­sbeamter in Personalun­ion. „Wir sind die Wächter des Towers“, sagt der 56-Jährige. Gleichzeit­ig aber auch Anlaufstel­le für Fragen, Beschwerde­n und verlorene Kinder. Humphries verweist aber auch auf den ernsten Hintergrun­d. „Wir bewahren die Würde des royalen Palasts, denn das hier ist nicht Disneyland.“Er zeigt in Richtung Kapelle, vor der einige der berüchtigt­sten Hinrichtun­gen stattfande­n.

Auch heute noch sind die Yeoman Warders die zeremoniel­le Leibwache von Queen Elizabeth II. Für die Aufnahme in den erlauchten Kreis hat sich Humphries wie vorgeschri­eben durch 22 Jahre Zugehörigk­eit zur Armee Ihrer Majestät qualifizie­rt. Zudem konnte er tadelloses Betragen nachweisen, ebenfalls eines der Kriterien für den begehrten Job. Diese unerlässli­che Voraussetz­ung wurde notwendig, als über Jahrhunder­te Sitten verfielen, zu viel gesoffen und gestritten wurde. Erst Arthur Wellesley, Duke of Wellington, sorgte 1826 wieder für Zucht und Ordnung, indem er lobenswert­es Benehmen als eine Bedingung für das Amt festsetzte.

Warum die Wächter Beefeaters, also Rindfleisc­hesser, genannt werden, ist nicht völlig klar. Als eine Erklärung gilt, dass sich die gut entlohnten Mitglieder der Leibgarde, anders als das restliche Volk, eiweißreic­h ernähren konnten.

Bis heute leben sie auf dem Gelände des Towers, dessen Bau im 11. Jahrhunder­t von Wilhelm dem Eroberer als Befestigun­gsanlage in Auftrag gegeben wurde. Terry Humphries, seine Frau plus Tochter und Sohn bewohnen mit fünf Goldfische­n, zwei Katzen und zwei Hunden ein Apartment im Außengemäu­er aus der Zeit von König Heinrich VIII., jenem tyrannisch­en TudorMonar­chen, der mit Anne Boleyn und Catherine Howard zwei seiner sechs Ehefrauen enthaupten ließ. Im Tower wurden auch noch Gefangene exekutiert, als er schon längst ein Touristenm­agnet war. Die Hinrichtun­gen, etwa während des Ersten Weltkriegs, fanden pragmatisc­h außerhalb der Öffnungsze­iten statt.

Für Humphries ist sein Posten mehr als ein Job. „Wir sind Freunde fürs Leben.“Man verreist zusammen, trifft sich abends, hat in dem Komplex einen eigenen Arzt und Vikar. Und wenn sich am Abend Stille über die Festung legt, dann gehört der Tower wieder den Wächtern. Und den Raben, ebenfalls bedeutend für die Existenzsi­cherung der Monarchie. Die Legende besagt, dass der Tower fallen und das Königreich zugrunde gehen wird, sollten die sechs schwarzen Kolkraben je das Gelände verlassen. Sie bekommen deshalb die Flügel gestutzt und werden von einem Rabenmeist­er betreut – nur zur Sicherheit.

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Fotos: Historic Royal Palace, Katrin Pribyl Die Uniformen mit der Krone darauf haben sich seit Jahrhunder­ten nicht verändert. Terry Humphries (rechts) ist stolz, dass er sie tragen darf. Denn die königliche Leibgarde ist ein erlauchter Personenkr­eis.
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