Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Lass dich überraschen
Der Mensch hält sich für furchtbar clever. Im Zweifelsfall für cleverer als Computer, schließlich wurden die ja auch erst durch Menschenhand geschaffen. Von diesem Irrglauben lebt ein gesamter Wirtschaftszweig: die Wettanbieter. Dass neben den omnipräsenten Online-Anbietern auch die lokalen Filialen florieren, beweist das Funktionieren des Geschäftsmodells. Mag es in manch Innenstadt keine Semmel mehr zu kaufen geben, auf ein Spiel der dritten bulgarischen Liga lässt sich an jeder Straßenecke setzen.
Die Quoten sind derart berechnet, dass am Ende doch immer noch etwas für die Anbieter abfällt. Es irrt der Mensch, so lang er strebt – und sei es nur nach Reichtum. Dabei reicht eine kurze Erinnerung an die Weisheiten Herbergers, um sein Geld bei sich zu behalten. Die Leute gingen ja deshalb ins Stadion, weil sie nicht wissen, wie das Spiel ausgeht, scharfsinnte der Bundestrainer. Abgesehen von Spielen des FC Bayern trifft das auch heute noch zu.
Wer hätte schon Geld darauf gesetzt, dass der FC Augsburg nach 14 Spieltagen ebenso viele Punkte gesammelt hat wie Borussia Dortmund? Von dem Erklären derartiger Phänomene lebt ein anderer Berufszweig: die Sportjournalisten. Die wissen wenig im Voraus. Ihre Prognosen liegen meist weit daneben, was sie zu beliebten Teilnehmern in Tippspielen macht. Im Nachhinein aber können sie alles begründen. Der Augsburger Aufschwung: verschworener Haufen, funktionierende Taktik, Finnbogason und Gregoritsch. Die Dortmunder Mannschaft: Erst überfordernde Taktik, dann ein fehlendes Gerüst, schließlich Verunsicherung.
Ein Sonderfall stellt die Situation beim 1. FC Köln dar. Hier lassen sich zahlreiche Gründe finden, warum der Verein schon vor der Winterpause kaum Chancen auf den Klassenerhalt hat. Genauso schlüssig war es, trotzdem an Trainer Peter Stöger festzuhalten. Mit diesem Rumpfteam hätte es auch jeder andere Coach schwer gehabt. Natürlich hätte man trotzdem früher in der Saison versuchen können, mit einem Wechsel auf der Trainerbank einen Impuls zu erzwingen. Zum jetzigen Zeitpunkt aber die Trennung zu forcieren, ist bar jeglicher vernünftigen Vereinsführung. Die Entscheidung zu begründen, gelingt nicht mal Sportjournalisten.