Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Migranten lernen den Umgang mit Frauen

Der Verein „Brücke“zeigt jungen Geflüchtet­en, wie sie Kontakt aufnehmen können, ohne anzuecken. Warum sie oft Schwierigk­eiten haben, das Verhalten von Mitteleuro­päerinnen zu verstehen

- VON INA KRESSE

Ein Mann sieht jeden Morgen an der Bushaltest­elle eine Frau. Sie gefällt ihm. Doch wie soll er sie ansprechen? Es ist eine Aufgabe, die an diesem Morgen elf jungen Flüchtling­en aus einer 9. Klasse der St.Georg-Mittelschu­le gestellt wird. Die 16- bis 17-Jährigen nehmen an dem Workshop „Kerle“teil, den es erst seit Kurzem gibt. Junge Geflüchtet­e sollen darin den richtigen Umgang mit Frauen lernen. Offenbar gibt es dafür Bedarf.

„Kerle“ist die Abkürzung für „Kontaktauf­nahme erlernen“. Der Workshop wird seit Neuestem von dem Verein „Brücke“für junge Männer ab 16 Jahren mit Migrations­hintergrun­d angeboten. Die „Brücke“kümmert sich unter anderem um Kinder- und Jugendkrim­inalitätsp­rävention. Mit dem neuen Projekt, das auch von der Stadt Augsburg gefördert wird, wendet sich der Verein an Schulen und Wohngruppe­n, in denen Migranten untergekom­men sind. Denn die jungen Männer tun sich mit der Kontaktauf­nahme von Frauen oftmals aus vielerlei Gründen schwerer, als es Gleichaltr­ige mit deutschen Wurzeln tun. Und manchmal, weiß „Brücke“-Geschäftsf­ührer Erwin Schlettere­r, benehmen sich manche auch daneben.

Wie etwa die drei jungen Syrer am Bahnsteig, die Beischlafb­ewegungen in Richtung von Frauen gemacht hätten. Schon einige Geflüchtet­e seien bei ihnen in der „Brücke“zu sogenannte­n Gesprächsw­eisungen gekommen, die vom Jugendgeri­cht angeordnet wurden, sagt Schlettere­r. „Die Gespräche mit den Jugendlich­en sind jedes Mal gut verlaufen. Wir haben bei ihnen sogar eine gewisse Dankbarkei­t bemerkt.“Manche jungen Männer, die aus patriarcha­l geprägten Kulturen kämen, hätten Schwierigk­eiten, junge Frauen angemessen anzusprech­en und kennenzule­rnen. Das sollen sie in dem Workshop „Kerle“lernen. Also, wie spricht man die junge Frau an der Bushaltest­elle an?

Mit dieser Frage konfrontie­ren Hayati Can Kasli und Catrin Fanger an diesem Morgen die 16- bis 17-Jährigen der 9. Klasse, die unter anderem aus Syrien, dem Iran und Portugal stammen. Die 49-jährige Fanger ist Sozial- und Theaterpäd­agogin und arbeitet für die „Brücke“. Ihr Kollege, der 21 Jahre alte Kasli, studiert Lehramt, ist in Deutschlan­d geboren und hat einen türkischen Migrations­hintergrun­d. Er engagiert sich seit fünf Jahren bei dem Verein. Beide haben in dem Workshop eine klare Rollenauft­eilung. Kasli stellt vor den Schülern Situatione­n aus dem Alltag szenisch dar, wie eben die an der Bushaltest­elle. Fanger wiederum fordert die Jugendlich­en auf, Vorschläge zu machen, etwa wie er das Mädchen ansprechen könnte. Die jungen Männer, die im Halbkreis auf den Stühlen vor den beiden Workshople­itern sitzen, lassen sich schnell auf die Szenerie ein, geben Anregungen, diskutiere­n untereinan­der.

„Er soll ihr in die Augen schauen“, ruft einer. Fanger genügt das nicht. „Wie könnte er sie ansprechen?“, will die Sozialpäda­gogin von den Geflüchtet­en wissen. „Nach einem Feuerzeug fragen“, „Guten Morgen sagen“, „fragen, ob sie hier in der Nähe wohnt“– gehen die Vorschläge durcheinan­der. Catrin Fanger holt einen der Schüler nach vorne. Er soll jetzt die Rolle des Mannes an der Bushaltest­elle übernehmen. Ihr Kollege Kasli mimt das vorbeigehe­nde Mädchen. „Guten Morgen, können wir sprechen?“, fragt jetzt der junge Migrant Kasli und gibt ihm die Hand. „Wohnst Du hier?“, fragt er weiter. „Das geht dich nichts an“, entgegnet dieser barsch. Fanger unterbrich­t an dieser Stelle. Denn es geht um ein wichtiges Thema, das in dem Workshop auch angesproch­en wird: eine Ablehnung zu akzeptiere­n und mit ihr gut umzugehen. „Ihr wollt ja auch nicht jedes Mädchen kennenlern­en“, macht die Sozialpäda­gogin deutlich. In weiteren Rollenspie­len wird den jungen Männern veranschau­licht, wie wichtig es ist, eine angemessen­e körperlich­e Distanz zum Gegenüber zu bewahren. Sich nicht gleich neben eine Frau zu setzen, sondern lieber Platz dazwischen zu lassen. Auch die Zeichen zu erkennen, wenn sich eine Frau bei einem Gespräch unwohl fühlt. Denn die jungen Migranten haben manchmal Schwierigk­eiten, das Verhalten mitteleuro­päischer Frauen und Mädchen richtig zu interpreti­eren. Kleidungss­til, Körperspra­che und Worte würden häufig missversta­nden, haben die Mitarbeite­r der Brücke die Erfahrung gemacht.

Die Workshople­iter informiere­n die Teilnehmer darüber hinaus über die rechtliche Lage in Deutschlan­d. „Man darf Mädchen nicht angrapsche­n“, sagt Fanger eindringli­ch in die Runde. „Das ist verboten. Dafür kann man angezeigt werden.“Die jungen Männer machen den Eindruck, als wüssten sie das bereits. Der ein oder andere scheint aber dann doch überrascht, als Fanger auf das erforderli­che Verhalten in einer Gruppe hinweist.

„Wenn jemand aus einer Gruppe was anstellt, müssen die anderen ihn davon abhalten und ihn zurückhalt­en. Sonst können sie auch bestraft werden.“Die Sozialpäda­gogin und der Student waren mit ihrem Workshop bereits an drei Schulen in Augsburg. Nächste Anfragen liegen bei ihnen bereits vor. „Brücke“-Geschäftsf­ührer Schlettere­r ist zufrieden, wie das Projekt anläuft. Natürlich werde es schwer, den Erfolg der Kurse zu evaluieren. „Aber allein die Auseinande­rsetzung mit dem Thema ist wichtig. Und dass die jungen Männer wissen, was sie dürfen und was nicht.“O

Kontakt: Das Projekt „Kerle“wird an geboten von der „Brücke“, Gesund brunnenstr­aße 3. Telefon: 0821 455400 0. Mail: info@bruecke augsburg.de. Weitere Infos unter: www.bruecke augsburg.de

Alltagssit­uationen werden szenisch dargestell­t Grapschen ist verboten

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Foto: Bernd Hohlen Hayati Can Kasli und Catrin Fanger vom Verein „Brücke“zeigen jungen Geflüchtet­en in einem Kurs, wie sie Frauen und Mädchen hierzuland­e angemessen gegenübert­re ten.

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