Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Das Bröckeln der Ikonen

U2 Erst der Sturz in die Irrelevanz, jetzt Bonos Steuerfluc­ht. Kann das neue Album die größte Pop-Band der Welt retten?

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Wo demnächst ja auch der 40. Geburtstag dieser wohl noch immer größten Pop-Band der Welt ansteht: Es hätte das Jahr der Trendumkeh­r werden sollen. Nach dem Desaster mit ihrem letzten Album „Songs of Innocence“2014, dessen Misserfolg selbst Sänger Bono sagen ließ, die Band befinde sich musikalisc­h „am Rande der Irrelevanz“(während etwa Coldplay nur immer noch weiter wuchsen); nach dem Knacks im Image, seit 2011 bekannt geworden war, dass die Weltstars mit dem doch unverbrüch­lich scheinende­n Bekenntnis zu ihrem irischen Herz alle Geschäfte über ein eigenes Unternehme­n in den Niederland­en abwickelte­n, um Steuern zu sparen …

2017 also: Eine Legenden-Tour zum 30-jährigen Jubiläum ihres globalen Durchbruch­salbums „The Joshua Tree“– und ein neues Album. Wie bedeutend das werden sollte, lässt sich schon daran ablesen, dass die Band ein wohl praktisch fertiges Werk noch mal einstampft­e, weil es nach Trump-Wahl und Brexit-Votum nicht mehr in die Welt passte. Doch jetzt, wo das neue Album endlich auf dem Markt ist, muss es aktuell nur noch mehr Fan-Wut besänftige­n, noch mehr Risse im Ikonen-Sockel kitten.

Stichwort „Paradise Papers“: Die Enthüllung über weltweite Steuerfluc­ht hat auch dokumentie­rt, wie Bono, der ja gerne als der engagierte Weltenrett­er unter den Promis auftritt und ganz öffentlich gegen Ungerechti­gkeit predigt, mit seinem (vor allem durch ein frühes Investment in Facebook enorm angewachse­nen) Vermögen so gar nicht öffentlich über Briefkaste­nfirmen auf den Steueroase­n Malta und Guernsey investiert. Bonos 2015 in einem Interview geäußertes Motto heißt: „Nur weil du ein Philantrop und Aktivist bist, musst du kein dummer Geschäftsm­ann sein.“Kann man ja so sehen – aber würde dies Robin Hood auch so sagen?

Gut jedenfalls, dass das vorige Album den Titel „Unschuldsl­ieder“trug – nicht schwer ist sich vorzustell­en, was die bei U2 seit langem in Millionens­tärke formierte SpötterFra­ktion jetzt daraus gemacht hätte ... Das neue Werk, das der Band wieder Relevanz sichern und eine Tür in die Zukunft öffnen soll, versammelt in Songs Erfahrunge­n, heißt also „Songs of Experience“– und ist ganz schön gut geworden.

Denn es ist eine Besinnung auf die klassische­n Stärken der Band. Dass sich die zahlreiche­n mitreißend­en Stücke wie die hittauglic­hen „Get Out Of Your Own Way“und „Blackout“und die stadiontau­glichenen „You’re The Best Thing About Me“und „Red Flag Day“anhören, als wären sie von Coldplay, liegt schlicht daran, dass sie genau den lebensermu­tigenden Hymnenteil an U2 wiederbele­ben, in dessen Epigonentu­m Chris Martin und Co. erst zu Stars geworden sind.

Programmat­isch gibt es zwei Bono-typische Antworten auf den Zustand der Welt. Die eine scheint gleich im Opener „Love Is All We Have Left“auf und beschwört rührend, doch leider mit Auto-TuneEffekt über der Stimme, dass die Liebe allein Heilung verspricht – eine offene Liebe, keine, die sich vor der Welt verschließ­t.

Den anderen Pol markiert der rockigste (und musikalisc­h wohl am ehesten missglückt­e) Song des 13-Stücke-Albums. In „American Soul“setzt Bono im Anschluss an ein starkes Intro von Rap-Star Kendrik Lamar knackig zum Protest gegen Trump und die Übel der Welt an. (Danach, in „Summer of Love“, taucht übrigens auch Lady Gaga auf.)

Klar: Unter anderen mit „The Little Things That Give You Away“gibt’s auch feine Balladen. Überrasche­nd: Im gitarrenfr­eudigen „Lights of Home“steckt eine Zeile, in der Bono offenbar auf eine Nahtod-Erfahrung im vergangene­n Jahr anspielt („Ich dürfte nicht hier sein, weil ich tot sein müsste“) – und natürlich wird auch daraus eine lebensbeja­hende Hymne. Vor allem forciert das bei allen Problemen die Erkenntnis: „Songs of Experience“zeigt, dass es doch gut ist, dass es U2 noch gibt. Und: Dass diese Band der bald 60-Jährigen durchaus noch eine Zukunft hat.

Ein bisschen Trendumkeh­r also doch noch 2017.

Jede Menge Coldplay und auch eine Nahtod Erfahrung

 ?? Foto: Anton Corbijn, Universal ?? Seit bald 40 Jahren sind sie unveränder­t U2 (von links): Adam Clayton (E Bass), Bono (Gesang), Larry Mullen jr. (drums) und The Edge (Gitarre).
Foto: Anton Corbijn, Universal Seit bald 40 Jahren sind sie unveränder­t U2 (von links): Adam Clayton (E Bass), Bono (Gesang), Larry Mullen jr. (drums) und The Edge (Gitarre).

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