Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Vom großen Glück des Carlo Ancelotti
Da wird Carlo Ancelotti niemand widersprechen. Er bevorzuge Quantität vor Qualität, sagte der ehemalige Trainer des FC Bayern im italienischen Fernsehen. Klingt gut. Die Methode „viel hilft viel“mag im Zweifelsfall – und auch nur kurzfristig – auf Alkoholabusus in Zeiten massiven Liebeskummers zutreffen. Für die Trainingsarbeit gilt das nicht. Das Problem ist nur: Von vielen Spielern der Münchner ist zu hören, dass es auch mit der Qualität der Übungseinheiten nicht sonderlich weit her war unter ihrem italienischen Coach.
Sie rühmen die Disziplin, die bei Jupp Heynckes herrsche. Bekannt ist aber auch, dass sich die Ansichten zur Disziplin zwischen Italienern und Deutschen in Nuancen unterscheiden. Ancelotti jedenfalls ist sich keiner Schuld bewusst, warum die Mannschaft in der Endphase seiner Regentschaft fahrig über den Platz schlurfte. Er denke nicht daran, an seiner Arbeitsweise etwas zu ändern. Der Mann hat drei Mal die Champions League gewonnen. Ihm argumentativ entgegenzutreten, ist schwierig.
Es verwundert allerdings, dass er ein Jobangebot des italienischen Fußballverbands abgelehnt hat. Nachdem die Qualifikation zur WM in Russland misslang, hätte Ancelotti die Squadra Azzurra zu alten Höhen führen sollen. Er aber sagte: No. Dabei ist die Quantität der Trainingseinheiten übersichtlich. Sich alle paar Wochen ein wenig zu bewegen, ist doch auch gut für die Gesundheit. Dazu hat er in der Nationalmannschaft die besten Spieler Italiens zur Verfügung. Die Qualität passt also auch. Ancelotti aber mag lieber noch als Vereinstrainer arbeiten. Wohl dem, der sich sein Wirkungsfeld selbst aussuchen kann.
Auf die meisten Trainer trifft das nicht zu. Sie müssen nehmen, was übrig ist. Und so geht es ihnen wie jenen armen Seelen, die am 24. Dezember nach einem Weihnachtsbaum suchen. Schön ist das nicht. Peter Stöger zog in Köln das verkümmerte Pflänzchen bedächtig in die Höhe – um dann beim ersten Sturm entlassen zu werden. Ähnlich erging es nun Jens Keller beim Zweitligisten Union Berlin. Platz vier, aber nur ein Punkt aus den vergangenen drei Spielen. Und tschüss! Das hat dann auch etwas mit Qualität zu tun. Und zwar fehlender menschlicher in den Führungspositionen.