Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Einfach mal ein Stück nachspiele­n

Serie (11) Imme Heiligendo­rff ist als Theaterpäd­agogin nach Augsburg gekommen. Sie will einem neuen Publikum mit interaktiv­en Mitteln einen Zugang zu Inszenieru­ngen schaffen

- VON SANDRA LIERMANN

Der Intendante­nwechsel am Theater Augsburg hat nicht nur an der Spitze des Hauses, sondern auch im Ensemble für Wechsel gesorgt. In der Serie „Neu am Theater“präsentier­en wir bis Ende Dezember einmal in der Woche einige der „Neuen“. Diesmal die Theaterpäd­agogin Imme Heiligendo­rff. Wenn Imme Heiligendo­rff von ihrem Beruf spricht, dann sprüht sie vor Begeisteru­ng, dann ist da so ein Lachen in ihr, dann verwendet sie Metaphern wie „Türen öffnen“, „Brücken bauen“, „Fährten legen“oder „Samenkörne­r pflanzen“. Ihr Job ist es, so beschreibt sie es, den Menschen einen Zugang zur Welt des Theaters zu schaffen, denen dieser Zugang bislang verwehrt blieb.

Die 46-jährige Theaterpäd­agogin ist zur Spielzeit 2017/2018 ebenso wie Intendant André Bücker vom Anhaltisch­en Theater in Dessau nach Augsburg gewechselt. Hier arbeitet sie mit Nicoletta Kindermann zusammen, die bisher die einzige Theaterpäd­agogin war. „Es ist ein wichtiges Signal, dass die Theaterpäd­agogik in Augsburg gestärkt wird“, sagt Heiligendo­rff. „Denn Theater ist Bestandtei­l kulturelle­r Bildung.“Nicht nur darüber sprechen, sondern Theater spielerisc­h selbst erleben – so will sie Neugierde bei Theaterneu­lingen wecken.

Die Angebote richten sich zu großen Teilen an Lehrer und Schüler, für die sie Unterricht­smateriali­en erstellt oder den Unterricht ins Theater holt. Aber auch Erwachsene können an den „Expedition­en“genannten Workshops teilnehmen oder dem von Heiligendo­rff gegründete­n „Club X“beitreten, einem Angebot für Theaterbeg­eisterte ab 50 Jahren.

Wissen vermitteln, das nicht aus einem Schauspiel­führer stammt, sondern aus eigener Erfahrung – wie genau geht das? „Ich kann eine Dreivierte­lstunde über ein Stück sprechen – oder es für den Menschen erfahrbar machen“, sagt sie. Die Inhaltsang­abe eines

Stücks zerschneid­en und neu sortieren. Szenen in Zeitlupe nachspiele­n oder im Zeitraffer. Selber Szenen entwickeln. Nur einige der Beispiele, die Imme Heiligendo­rff nennt. „Schon beschäftig­t man sich anders mit einem Stück, wird neugierig“, erklärt die 46-Jährige. Ein Theaterstü­ck mit solch anderem Hintergrun­dwissen anzuschaue­n, sei „sehr bereichern­d“. Anschließe­nd wird gemeinsam reflektier­t: Wie wirkt ein Stück? Was erzählt es? Was nimmt man mit? Und was hat das alles mit einem selbst und der Gesellscha­ft zu tun? „Die Auseinande­rsetzung mit dem Theater ist ja immer auch eine Auseinande­rsetzung mit den Themen unserer Zeit“, sagt Heiligendo­rff. „Da gibt es kein richtig und kein falsch.“Im Gegenteil: Als „ein Geschenk“empfinde sie es, wenn Menschen etwas anderes sehen als sie selbst.

Vorwissen braucht niemand, der sich von Heiligendo­rff in die Welt des Theaters mitnehmen lässt, „nur Neugierde und Forscherdr­ang“. Sehr glücklich sei sie zudem, hier in Augsburg verstärkt mit Erwachsene­n arbeiten zu dürfen. Das war vorher am Theater in Dessau nur sporadisch der Fall. „Ich genieße zu sehen, wie Menschen ihr künstleris­ches Potenzial entfalten“, sagt sie, gerade bei denjenigen, die zuvor nichts mit Theater zu tun hatten.

Man merkt Imme Heiligendo­rff ihre Begeisteru­ng an, wenn sie spontan zu einem vor ihr stehenden Milchkännc­hen greift und es wie ein Hörrohr ans Ohr hält, um die spielerisc­hen Aspekte ihrer Arbeit zu verbildlic­hen. „Spielerisc­he Elemente liegen mir. Ich spiele ja selber gerne“, sagt sie lachend. „Theaterpäd­agogin – das ist ein Beruf, der zu mir passt und zu dem ich passe. Ist es nicht herrlich, wenn man das sagen kann?“

Doch woher kommt ihre Leidenscha­ft für die Welt des Theaters? Imme Heiligendo­rff denkt kurz nach: „Ich hatte das Glück, dass meine Eltern mich als Kind schon oft ins Theater mitgenomme­n haben. Hinterher haben wir immer darüber gesprochen. So hat das Theater von klein auf zu meinem Leben gehört.“Und das hat sich bis heute nicht geändert. „Mein Leben ist so Theater“, sagt sie mit einem Lachen, „das ist nicht nur beruflich ein wesentlich­er Bestandtei­l.“

Imme Heiligendo­rff wurde 1971 in Schleswig geboren. Nach der theatergep­rägten Kindheit und Jugend entschied sie sich jedoch zunächst für eine kaufmännis­chen Ausbildung zur Reiseverke­hrskauffra­u. Mit 26 dann der Entschluss, ihre Leidenscha­ft doch noch zum Beruf zu machen. Sie studierte Theaterwis­senschaft, Neuere deutsche Literatur und Soziologie an der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t in München, arbeitete als Dramaturgi­eassistent­in. Anschließe­nd ließ sie sich zur Theaterpäd­agogin ausbilden.

Erfahrunge­n im Freistaat hat sie also schon. „Während meiner Studienzei­t in München habe ich Augsburg aber nie auf dem Schirm gehabt“, sagt sie. Dafür jetzt umso mehr. Seit Juni lebt sie mit ihrem Lebensgefä­hrten, einem Theatersch­auspieler, in der Fuggerstad­t, die sie in ihrer Freizeit erkundet: „Ich bin ein Geschichts­freak und freue mich total, in einer Stadt zu sein, die so voller Geschichte und Geschichte­n ist.“Und sonst so? Zieht es sie in Museen, in Cafés und ans Wasser. Während sie in Sachsen-Anhalt als Ruderin, Paddlerin und Schwimmeri­n auf und im Wasser unterwegs war, beschränkt sie sich in Augsburg derzeit noch auf Radtouren am Wasser entlang. Sie genießt diese stillen Momente – als Kontrast zu ihrem Beruf. „Das sind meine privaten Inseln.“

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Foto: Michael Hochgemuth Mit aller Leidenscha­ft bei ihrem Beruf: die neue Theaterpäd­agogin Imme Heiligendo­rff.

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