Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Ein verkorkstes Leben
Justiz Ein 57-Jähriger soll eine Frau vergewaltigt haben. Sie verblutete. Im Prozess wurde nun das Umfeld des Angeklagten näher beleuchtet
Es muss eine Zeit gegeben haben, da führte Rainer M.* ein geregeltes Leben, er wohnte zusammen mit seiner Familie und arbeitete als Lkw-Fahrer. Seine heute erwachsene Tochter beschreibt ihn als Zeugin im Gerichtssaal als Mann, der früher auch ein liebevoller und fürsorglicher Vater sein konnte. Schwer zu sagen, wann diese Zeit genau vorbei war. Vielleicht 2004, als seine Ehe in die Brüche ging. Seine Ehefrau, von der er seitdem getrennt lebt, berichtet davon, dass er damals auch wegen einer schweren Psychose im Krankenhaus behandelt wurde. Vielleicht begann sein Leben auch schon früher, aus den Fugen zu geraten. So genau weiß man es nicht.
Die Beschreibungen dieser früheren Jahrzehnte stehen jedenfalls in einem deutlichen Kontrast zu dem, was im Schwurgerichtssaal des Augsburger Landgerichtes sonst über Rainer M. zu hören ist. Der 57-Jährige sitzt seit Februar in Untersuchungshaft und ist angeklagt, weil er eine 46-Jährige in seiner Wohnung mit mehreren Gegenständen brutal vergewaltigt und ihr dabei so schwere Verletzungen zugefügt haben soll, dass die Frau daran starb. Er rief keinen Notarzt, als die Frau in der Nacht auf den 15. Februar immer schwächer wurde und verblutete. Die Staatsanwaltschaft wirft Rainer M. Vergewaltigung mit Todesfolge vor. Sollte er deswegen verurteilt werden, droht ihm eine lange Haftstrafe.
Am ersten Prozesstag in der vergangenen Woche hatte Rainer M. eine Verantwortung für den Tod der Frau eingeräumt, aber bestritten, sie vergewaltigt zu haben. Die SexPraktiken seien einvernehmlich gewesen, sagte er. Am zweiten Prozesstag am Montag hört die 8. Strafkammer unter Vorsitz von Susanne Riedel-Mitterwieser diverse Zeugen an, die das Umfeld des Angeklagten und des Opfers sowie ihre Beziehung beleuchten.
Die 46-Jährige, eine gebürtige Kenianerin, führte früher eine Beziehung mit dem Bruder des Angeklagten. „Er hat immer gesagt, dass sie seine Schwägerin ist“, sagte ein gemeinsamer Bekannter. Als der Bruder starb, so erzählte es Rainer M. am Verhandlungsbeginn, hätten er und die 46-Jährige sich „zunächst aus den Augen verloren“. Im Sommer 2016 sei sie dann zu ihm gezogen, regelmäßig habe man sexuellen Kontakt gehabt. Beide, Angeklagter und Opfer, waren offenbar schwer alkoholabhängig. Die Wohnung des Mannes in der Jakobervorstadt wird nahezu von allen Zeugen, die sie mal betraten, als verschmutzt, teils auch als verwahrlost beschrieben.
Als am Morgen nach der angeklagten Tat eine Gerichtsvollzieherin mit zwei Polizisten wegen einer Zwangsräumung anrückte und sie die Leiche der 46-Jährigen entdeckten, hatte Rainer M. 1,6 Promille Alkohol im Blut – entweder noch oder schon wieder. Der Geschäftsführer eines Maschinenbau-Unternehmens sagt aus, der Alkohol habe Rainer M. in den vergangenen Jahren „dominiert“. Der 57-Jährige, ein Frührentner, übte bis Februar 2017 gelegentlich einen Minijob für die Firma aus. Im Februar habe er ihm kündigen müssen, sagt der Geschäftsführer. Es sei nicht mehr gegangen. Eine Sozialpädagogin einer Tagesstätte für psychische Gesundheit sagt, dass Rainer M. den Treff seit etwa 2005 besucht habe. Regelmäßig sei er ins Café gekommen. Zuletzt habe er durch seinen Alkoholismus „schwer abgebaut“.
Die Zeugin berichtet auch davon, dass Rainer M. wohl eine Geschlechtsumwandlung ins Auge fasste und dafür Hormone nahm. Ähnliches sagte der amtliche Betreuer des Angeklagten bereits am ersten Verhandlungstag aus. Auch die getrennt lebende Ehefrau des Angeklagten berichtet davon. Deswegen, sagt sie, sei es auch zur Trennung gekommen. Der Prozess wird am kommenden Montag fortgesetzt. * Name geändert