Augsburger Allgemeine (Land Nord)
„Noch ein Entwicklungsland“
Schule & Familie Die SPD-Bildungspolitikerin Simone Strohmayr kritisiert die Ganztagsangebote an Realschulen und Gymnasien im Kreis als absolut unzureichend
Landkreis Augsburg An ihrem neuen Wohnort fühlte sich die junge, alleinerziehende Mutter gut aufgehoben. In einem Büro in der Gemeindeverwaltung wurde ihr erklärt, wo und wie ihr Kind am besten betreut werden könnte. Das war vor 25 Jahren in Frankreich. Heute ist die junge Mutter von einst eine gestandene Familien- und Bildungspolitikerin in Bayern und sagt, so ein Angebot wie damals in Frankreich gebe es in den meisten bayerischen Gemeinden heute noch nicht. „Da sind wir schon noch ein Entwicklungsland.“
Ihre Kritik macht die Stadtberger SPD-Landtagsabgeordnete und Kreisrätin Simone Strohmayr unter anderem an der Betreuungssituation für Schüler fest. Zwar mache der Landkreis hervorragende Erhebungen, um die Bedürfnisse der Familien im Augsburger Land abzufragen, doch der Freistaat tue dann viel zu wenig.
Gerade an Gymnasien und Realschulen gebe es zu wenige Ganztagsangebote, und berufstätige Eltern müssten ihre Sprösslinge sich selbst überlassen. Strohmayr: „Die Kinder werden genau dann allein gelassen, wenn sie die meiste Unterstützung bräuchten.“Ihre Kritik untermauert die Bildungspolitikerin mit Zahlen aus dem Kultusministerium be- ziehungsweise mit Daten aus Erhebungen des Landratsamtes. Die Zahlen ähneln meist denen aus der Stadt Augsburg beziehungsweise dem Landkreis Aichach-Friedberg. ● Grundschulen Hier ist fast die Hälfte der Kinder nach regulärem Unterrichtsende betreut. Knapp vier Prozent gehen in gebundene Ganztagsklassen, sieben Prozent haben offene Ganztagsklassen, mehr als 20 Prozent sind in verschieden langen Mittagsbetreuungen. Hinzu kommen noch die Horte, welche rund 14 Prozent der Grundschüler die umfassendste Betreuung bieten – auch an Freitagnachmittagen und in den Ferien. Die einzelnen Angebote seien von sehr unterschiedlicher Qualität und Verfügbarkeit. Strohmayr: „Die Unterschiede sind den Eltern oft gar nicht bewusst.“Hier fehlten die Informationen.
Auch die Angebote in den Ferien hält die Abgeordnete für unzureichend. Zwar gebe es inzwischen in 43 von 46 Städten und Gemeinden im Kreis Ferienprogramme – aber eben nicht die ganzen Ferien lang und nicht in allen Ferien. Strohmayr: „Das ist ein Anfang. Aber es ist nicht das verlässliche Angebot, das berufstätige Eltern für ihre Kinder brauchen.“
● Mittel und Realschule, Gymna sien Dünn gesät sind die Angebote ab der fünften Klasse aufwärts, besonders in den beiden besonders begehrten Schularten Gymnasium und Realschule (siehe Daten & Fakten). Während es an den Mittelschulen im Kreis für ein knappes Drittel der Schüler offene oder gebundene Ganztagsangebote gibt, liegen die Zahlen in den Realschulen bei rund sechs Prozent beziehungsweise bei acht Prozent am Gymnasium. Hinzu kommt: Die Angebote konzentrieren sich überwiegend auf die unteren Klassen. Unterm Strich sei das „vernichtend wenig“, sagt Strohmayr. Das Argument, dass die Schüler nicht so lange in der Schule bleiben wollen, will sie nicht gelten lassen. „Das liegt am jetzigen Angebot.“Auch der bauliche Zustand vieler Schulen sei nicht für Ganztag ausgelegt. Seit Jahren habe es der Freistaat versäumt, die entsprechende Bauverordnung den neuen Erfordernissen anzupassen.
In der Staatsregierung in München sieht die SPD-Politikerin den Hauptadressaten ihrer Kritik. Der Freistaat müsse mehr tun – auch finanziell. „Man kann das nicht alles den Kommunen und den Eltern aufbürden.“Für das Augsburger Land sei ein Ausbau der Angebote besonders wichtig, sagt Strohmayr unter Verweis auf die steigende Zahl der Pendler. Wer auswärts arbeite, wolle seine Kinder daheim gut versorgt wissen.
Um welche Größenordnungen es dabei geht, zeigt das Beispiel der inzwischen mehr als 200 Kitas im Kreis. Dort gibt es mehr als 11000 Plätze für Krippen- und Kindergartenkinder sowie Grundschüler. Das reicht aber nicht. Die Angebote sind so gut wie ausgebucht, und in einer Umfrage des Landratsamtes beklagte rund ein Viertel der Familien, dass das Fehlen eines passenden Platzes fürs Kind dem Job eines Elternteils im Weg stand.