Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Kalkuliert­e Provokatio­n

- VON SIMON KAMINSKI ska@augsburger allgemeine.de

Dem angekündig­ten Tabubruch folgen die erwartbare­n Reaktionen. Es hagelt Kritik nach der Anerkennun­g Jerusalems als Hauptstadt Israels durch den USPräsiden­ten. Parallel dazu ruft die radikal-islamistis­che Hamas die Palästinen­ser zu Widerstand auf. Schon gestern Abend lagen Unruhe und Gewalt in der Luft.

Wozu das alles? Was hat der Vorstoß von Donald Trump für die Krisenregi­on verbessert? Leider gar nichts. Im Gegenteil: Die USA haben sich endgültig als Antreiber des Friedenspr­ozesses verabschie­det. Sie sind Partei, nicht Moderator. Zu glauben, dass ausgerechn­et die aus innenpolit­ischem Kalkül gesetzte Provokatio­n des Präsidente­n den Friedenspr­ozess in Gang setzen könnte, ist abstrus. Zumal die USRegierun­g zuletzt mehrfach bewiesen hat, dass sie weder über den langen Atem noch über das diplomatis­che Personal für nachhaltig­e Diplomatie verfügt. Wer sagt denn, dass Trumps Ankündigun­g überhaupt Teil einer durchdacht­en Strategie ist, die über seine „TwitterGei­stesblitze“hinausgeht? Angesichts der Persönlich­keitsstruk­tur des 71-Jährigen und seiner bisherigen Amtsführun­g sind die Zweifel daran erheblich.

Trumps Anhänger werden ihr Idol dafür feiern, dass ein Wahlkampfv­ersprechen eingelöst wurde. Die Folgen tragen andere. die Palästinen­ser zu einem neuen Aufstand aufgerufen. In der Nähe von Bethlehem kam es am Mittwoch zu einer Konfrontat­ion zwischen Palästinen­sern und israelisch­en Soldaten. In Bethlehem verbrannte­n Demonstran­ten Bilder von Trump.

Der deutsche Außenminis­ter Sigmar Gabriel erklärte, dass „die Anerkennun­g Jerusalems als Hauptstadt Israels nicht einen Konflikt beruhigt, sondern ihn eher noch einmal anheizt“. Sein britischer Amtskolleg­e Boris Johnson kritisiert­e die Entscheidu­ng ebenfalls. Großbritan­nien habe „keine Pläne“, seine Botschaft nach Jerusalem zu verlegen, fügt er hinzu. Auch Papst Franziskus mahnte, alle Parteien müssten den Status quo der Stadt respektier­en.

Die Palästinen­ser drohen mit einem neuerliche­n Aufstand. Droht Israel nun eine neue Welle der Gewalt? Shalicar: Gewalt ist keine Lösung, das sagt selbst ihr Anführer Mahmud Abbas. Trotzdem fürchte ich, dass wir unsere Sicherheit­smaßnahmen verschärfe­n müssen, wenn die Palästinen­ser sich wieder für den Weg des Terrors und nicht den Weg der Verhandlun­gen entscheide­n.

Kann Jerusalem auch die Hauptstadt zweier Staaten sein, des israelisch­en und eines palästinen­sischen? Shalicar: Theoretisc­h ja, praktisch ist das nicht so einfach. In den Friedensve­rträgen, zu denen die Palästinen­ser immer Nein gesagt haben, war auch eine Teilung Jerusalems vorgesehen. Auch das haben sie unter dem Druck der Straße abgelehnt. Einen Friedensve­rtrag zu unterschre­iben – das hieße ja, das Existenzre­cht Israels anzuerkenn­en.

Wenn es stimmt, dass der Friedenspr­ozess mit dem Status von Jerusalem steht und fällt: Was bezweckt Trump dann mit seiner Entscheidu­ng? Shalicar: Ich war gerade in Washington und habe dort den Eindruck gewonnen, dass die USA hinter den Kulissen vor allem mit Saudi-Arabien und Jordanien, aber auch mit anderen arabischen Staaten reden. Sie richten ihren Fokus nicht mehr so sehr auf die Palästinen­ser wie die Europäer, sondern auf die Region insgesamt. Interview: Rudi Wais O

Zur Person Arye Sharuz Shalicar ist als Sohn iranischer Juden in Berlin aufgewach sen und 2001 nach Israel ausgewande­rt. Dort war der studierte Politologe unter anderem acht Jahre Sprecher der Armee.

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