Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Kalkulierte Provokation
Dem angekündigten Tabubruch folgen die erwartbaren Reaktionen. Es hagelt Kritik nach der Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels durch den USPräsidenten. Parallel dazu ruft die radikal-islamistische Hamas die Palästinenser zu Widerstand auf. Schon gestern Abend lagen Unruhe und Gewalt in der Luft.
Wozu das alles? Was hat der Vorstoß von Donald Trump für die Krisenregion verbessert? Leider gar nichts. Im Gegenteil: Die USA haben sich endgültig als Antreiber des Friedensprozesses verabschiedet. Sie sind Partei, nicht Moderator. Zu glauben, dass ausgerechnet die aus innenpolitischem Kalkül gesetzte Provokation des Präsidenten den Friedensprozess in Gang setzen könnte, ist abstrus. Zumal die USRegierung zuletzt mehrfach bewiesen hat, dass sie weder über den langen Atem noch über das diplomatische Personal für nachhaltige Diplomatie verfügt. Wer sagt denn, dass Trumps Ankündigung überhaupt Teil einer durchdachten Strategie ist, die über seine „TwitterGeistesblitze“hinausgeht? Angesichts der Persönlichkeitsstruktur des 71-Jährigen und seiner bisherigen Amtsführung sind die Zweifel daran erheblich.
Trumps Anhänger werden ihr Idol dafür feiern, dass ein Wahlkampfversprechen eingelöst wurde. Die Folgen tragen andere. die Palästinenser zu einem neuen Aufstand aufgerufen. In der Nähe von Bethlehem kam es am Mittwoch zu einer Konfrontation zwischen Palästinensern und israelischen Soldaten. In Bethlehem verbrannten Demonstranten Bilder von Trump.
Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel erklärte, dass „die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels nicht einen Konflikt beruhigt, sondern ihn eher noch einmal anheizt“. Sein britischer Amtskollege Boris Johnson kritisierte die Entscheidung ebenfalls. Großbritannien habe „keine Pläne“, seine Botschaft nach Jerusalem zu verlegen, fügt er hinzu. Auch Papst Franziskus mahnte, alle Parteien müssten den Status quo der Stadt respektieren.
Die Palästinenser drohen mit einem neuerlichen Aufstand. Droht Israel nun eine neue Welle der Gewalt? Shalicar: Gewalt ist keine Lösung, das sagt selbst ihr Anführer Mahmud Abbas. Trotzdem fürchte ich, dass wir unsere Sicherheitsmaßnahmen verschärfen müssen, wenn die Palästinenser sich wieder für den Weg des Terrors und nicht den Weg der Verhandlungen entscheiden.
Kann Jerusalem auch die Hauptstadt zweier Staaten sein, des israelischen und eines palästinensischen? Shalicar: Theoretisch ja, praktisch ist das nicht so einfach. In den Friedensverträgen, zu denen die Palästinenser immer Nein gesagt haben, war auch eine Teilung Jerusalems vorgesehen. Auch das haben sie unter dem Druck der Straße abgelehnt. Einen Friedensvertrag zu unterschreiben – das hieße ja, das Existenzrecht Israels anzuerkennen.
Wenn es stimmt, dass der Friedensprozess mit dem Status von Jerusalem steht und fällt: Was bezweckt Trump dann mit seiner Entscheidung? Shalicar: Ich war gerade in Washington und habe dort den Eindruck gewonnen, dass die USA hinter den Kulissen vor allem mit Saudi-Arabien und Jordanien, aber auch mit anderen arabischen Staaten reden. Sie richten ihren Fokus nicht mehr so sehr auf die Palästinenser wie die Europäer, sondern auf die Region insgesamt. Interview: Rudi Wais O
Zur Person Arye Sharuz Shalicar ist als Sohn iranischer Juden in Berlin aufgewach sen und 2001 nach Israel ausgewandert. Dort war der studierte Politologe unter anderem acht Jahre Sprecher der Armee.