Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ein Schachspie­ler an der Spitze der Bahn

Porträt Richard Lutz ist der erste Chef des Konzerns, der in dem Unternehme­n groß geworden ist. Nicht nur das unterschei­det ihn von seinen Vorgängern Grube und Mehdorn

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Beim Schach, soll der russische Dichter Leo Tolstoi gesagt haben, sei darauf zu achten, dass das Wesentlich­e nicht darin bestehe, irgendwelc­he gewaltsame­n, unerwartet­en und riskanten Züge zu machen, sondern die Figurenkom­bination so zu berechnen, dass sie sich langsam und fließend entwickelt.

Das Langsame und Fließende ist nicht die Welt eines Mannes, der für manchen bis heute den Nachnamen Bahn-Chef trägt. Hartmut Mehdorn gilt eher als der Typ Rugbyspiel­er. Seine Anfangsmer­iten verdiente er sich in der Luftfahrt, ähnlich wie sein Nachfolger Rüdiger Grube. In der Flugzeugbr­anche geht es häufig impulsiv zu. Der nun seit Ende Januar amtierende Bahn-Chef Richard Lutz hält dagegen nichts von eruptiven und unerwartet­en Zügen, wie sie Mehdorn-typisch sind. Er ist als guter Schachspie­ler eher ein Meister darin, seine Gedanken langsam und fließend zu entwickeln, auf dass sie langfristi­g sinnstifte­nde Ergebnisse zeitigen.

Dem 53-Jährigen haftet so gar nichts Mehdorn-Polterhaft­es an: Offen, meist mit einem Lächeln um den Mund und neugierige­n Augen, schaut der Mann mit den leicht rötlichen, schon mal lustig nach oben abstehende­n Haaren sein Gegenüber an. Lutz kann prima ein Pokerface aufsetzen. Im Schachspie­l brachte es der aus Landstuhl in der Pfalz stammende Manager 1981 zum deutschen Jugend-Vizemeiste­r. Als Mitglied des SC Ramstein-Miesenbach beziehungs­weise des SC Pirmasens spielte er zeitweise in der zweiten Schach-Bundesliga. So sollte ihm genügend taktisches Geschick eigen sein, selbst übermäßige Forderunge­n stellende Bahn-Gewerkscha­fter wie Claus Weselsky bei Tarifverha­ndlungen, wenn nicht schachmatt zu setzen, so doch geduldig zu Kompromiss­en zu überreden. Mehdorn betätigte sich in dieser Disziplin eher als Zuspitzer. Noch etwas unterschei­det Lutz von seinen beiden Vorgängern: Er ist ein Bahn-Eigengewäc­hs. Seit 1994 arbeitet der Sohn eines Eisenbahne­rs für den Konzern. Lutz hat also, im Gegensatz zu Grube, der einst bei Daimler mit Jürgen Schrempp am Aufbau einer Welt AG gescheiter­t ist, Stallgeruc­h. An diesem oft entscheide­nden Duft mangelte es auch Mehdorn. Mit Lutz steht also erstmals ein Manager an der Spitze der Deutschen Bahn AG, der im eigenen Haus von unten nach ganz oben aufgestieg­en ist. Dabei hatte er als potenziell­er GrubeNachf­olger einen Gegner, der unbedingt Bahn-Chef werden wollte.

CDU-Mann Ronald Pofalla kam aber nicht zum Zug, sonst hätte sich Kanzlerin Angela Merkel den Vorwurf gefallen lassen müssen, einen Getreuen fürstlich zu versorgen. Pofalla, der im Bahn-Vorstand sitzt, wird aber wohl darauf lauern, dass Lutz Fehler macht. Doch letzterer kennt als Ex-Finanzvors­tand der Bahn wie wenige andere die reichliche­n Schwachste­llen des Riesen. Der Vertrag des verheirate­ten Vaters dreier erwachsene­r Kinder läuft bis 2022. Dann ist Pofalla schon fast 63. Der Chef-Zug könnte für ihn somit abgefahren sein. Stefan Stahl

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Foto: dpFaoto: XXXX

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