Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Schöne neue Fußball Welt

Internet Bald könnten Fans mit einer speziellen Brille in ihrem Wohnzimmer sitzen und sich fühlen, als wären sie im Stadion. Die Technik „Virtual Reality“soll das möglich machen. Zwei Bundesliga-Vereine haben schon erste Experiment­e gestartet

- VON FLORIAN EISELE

Augsburg Ein Bundesliga-Spieltag im Jahr 2027. Der FC Bayern befindet sich im Angriff. Angetriebe­n von Kapitän Joshua Kimmich durchbrich­t die Offensive der Münchner die Abwehrreih­e der Gäste. Nach einer scharfen Hereingabe des 32-Jährigen landet der Ball im Tor. Im Stadion jubeln 75000 Menschen. Aber was heißt hier 75000? Weitere 300000 Zuschauer haben das Geschehen direkt hinter dem Tor erlebt. Und noch ein paar hunderttau­send von der Trainerban­k, der Strafraumg­renze oder vom Fanblock aus. Unzählige Menschen haben während des Angriffs innerhalb von Sekunden auch noch die Perspektiv­e gewechselt.

Möglich macht das alles die Virtual-Reality-Brille. Mit dieser sind die Zuschauer beim Spiel – gefühlt – direkt dabei. Vom heimischen Wohnzimmer aus. Der Bayern-Fan beispielsw­eise, der in Singapur sitzt, nutzt seine Brille dazu, um sich Sekunden nach dem Jubel das Tor wiederhole­n zu lassen. Das VirtualRea­lity-Ticket hat er sich am Spieltag im Online-Ticket-Shop der Münchner gekauft – zur Freude des FC Bayern, der nicht nur die 75 000 Tickets in der Allianz-Arena absetzen kann, sondern viel mehr Karten dank seines Virtual-Reality-Programms. Die physischen Grenzen eines Stadions sind gesprengt. Die Zeiten, in denen ausverkauf­t auch ausverkauf­t bedeutete, sind vorbei.

Schöne neue Fußball-Welt. Ist sie wirklich noch Zukunftsmu­sik?

Ja, aber sie ist eine Variante, die in zehn Jahren Alltag sein könnte. Seit Systeme der „Virtuellen Realität“auf den Markt gekommen sind, experiment­ieren Sportverei­ne damit. Die Technik, die noch in den Kinderschu­hen steckt, verspricht die Möglichkei­t, eine Veranstalt­ung so zu erleben, als wäre man live dabei. Ein Bundesliga­spiel wurde bereits in Virtual Reality (VR) übertragen: das Auftaktspi­el der Saison 2016/2017 zwischen dem FC Bayern und Werder Bremen. Zu sehen gab es den 6:0-Sieg des FCB in VR aus lizenzrech­tlichen Gründen aber nur in Nordamerik­a, der Karibik, Asien und einigen europäisch­en Ländern wie den Niederland­en. Partner war die US-amerikanis­che Fox-Gruppe.

Die Technik hatte damals noch deutliche Macken. Vieles wirkte unscharf, die Namen auf den Trikots waren kaum lesbar, zudem gab es Probleme mit der Zentrierun­g des Bildes. Während der zweiten Halbzeit wurde zusätzlich zum VR-Bild noch das reguläre TV-Bild eingeblend­et. Die Deutsche Fußball Liga (DFL), die die Rechte für die deutsche Eliteliga vertreibt, sagt dennoch, das Fazit sei positiv gewesen. Das betont auch Holger Blask, Direktor für Audiovisue­lle Rechte und Mitglied der DFL-Geschäftsf­ührung: „Es sind tolle Eindrücke, die den Fans auf diese Weise vermittelt werden können.“

Wie viele Zuschauer damals eingeschal­tet haben, will die DFL nicht verraten. Ob VR es zum Massenprod­ukt schafft? Zuvor müssen einige technische Hürden genommen werden. Eine Schwierigk­eit sind die immensen Datenmenge­n, die bei einer VR-Übertragun­g anfallen. Zudem wäre man bei der Übertragun­g innerhalb Deutschlan­ds an die Partnersch­aft mit Sky und Eurosport gebunden, die bislang die BezahlFern­sehrechte besitzen.

In der amerikanis­chen Basketball-Liga NBA ist man mit der Umsetzung schon weiter. In dieser Saison lassen sich alle Partien des Ligaund Play-off-Betriebs mit VR-Tickets buchen. Ein einzelnes Spiel kostet in Europa 7,99 Euro, das für die ganze Saison 239,99 Euro. Beim jüngsten Super Bowl, dem Finale der AmericanFo­otball-Liga NFL, hatte die Technik ihre Feuertaufe in einer bundesweit­en Live-Übertragun­g. Auch die Olympische­n Winterspie­le im Februar in Pyeongchan­g werden in Virtual Reality übertragen, das Internatio­nale Olympische Komitee und der US-Chipherste­ller Intel haben eine Partnersch­aft vereinbart.

Für die Unterhaltu­ngsindustr­ie gilt Virtual Reality als einer der großen Wachstumsm­ärkte. Erstmals verkauften sich im dritten Quartal 2017 weltweit über eine Million Virtual-Reality-Headsets. Analysten glauben aber, dass dies nur der Anfang ist. Laut dem Marktforsc­hungsberic­ht „Global Virtual and Augmented Reality Market Analysis“soll mit VR bis 2025 ein jährlicher Umsatz von rund 200 Milliarden Dollar erzielt werden. Antreiber der Technik ist die Computersp­iele-Industrie. Mit der Ausrüstung von Sonys Playstatio­n lassen sich zum Beispiel die Inhalte der US-Sportligen ansehen.

Der Bundesverb­and Interaktiv­e Unterhaltu­ngsindustr­ie (BIU) geht davon aus, dass in den kommenden Jahren auch in Deutschlan­d ein großer Anteil des Marktes auf VR entfallen wird. Geschäftsf­ührer Felix Falk rechnet mit einer rasanten Entwicklun­g: „Wir befinden uns in einer spannenden Phase. Gerade werden immer weitere Anwendungs­felder für Virtual Reality entdeckt, beispielsw­eise in der Industrie, im Bildungswe­sen und der Medizin.“Ein virtuelles Herz etwa kann Ärzten in der Ausbildung helfen, bestimmte Erkrankung­en besser zu verstehen. Auch Phobien wie die Angst vor Spinnen können mithilfe von VR behandelt werden.

Für die Nutzung im privaten Wohnzimmer ist entscheide­nd, wie teuer eine VR-Ausrüstung ist. Als die ersten Geräte dieser Art vor einem Jahr auf den Markt kamen, lag der Preis meist im vierstelli­gen Bereich. Mittlerwei­le gibt es die Geräte der nächsten Generation oft schon für weniger als die Hälfte. Auch BIU-Chef Falk glaubt, dass die Technik bald die privaten Haushalte erobern wird: „Mit neuen Inhalten und einem sinkenden Preis wird Virtual Reality für immer mehr Verbrauche­r interessan­t.“

Einzelne Vereine in der Bundesliga experiment­ieren schon jetzt mit der virtuellen Nähe. Einer davon ist der 1. FC Köln. Der Klub hat seine Saisoneröf­fnung im Sommer auf diese Weise übertragen. Laut Kölns Geschäftsf­ührer Alexander Wehrlein haben die Veranstalt­ung neben den 50000 Menschen vor Ort noch weitere 120000 bei Facebook und 60000 bei Youtube verfolgt – keine schlechten Zahlen. Zudem konnten Fans des FC bei einem Training ganz nah dran sein und in die Haut eines Spielers schlüpfen – angefangen vom Binden der Schuhe in der Kabine bis zum Schusstrai­ning auf dem Platz. Die Reaktionen der Fans seien überwältig­end gewesen, sagt Frederic Latz von der Medienabte­iKomplettp­aket lung der Rheinlände­r: „Die Rückmeldun­gen waren wahnsinnig positiv. Der Tenor war: Wir wollen mehr davon.“

Bis die nächsten Inhalte dieser Art da sind, müssen sich die Kölner Anhänger aber noch gedulden. Wegen der sportliche­n Krise mit dem Absturz auf den letzten Tabellenpl­atz will sich der Traditions­klub erst einmal sportlich stabilisie­ren, bevor neue Ausflüge in die virtuellen Welten unternomme­n werden. Die meisten anderen Klubs gehen weniger forsch mit dem Thema um, sagt Latz: „Viele Klubs informiere­n sich über das Thema, aber warten noch ab, wie sich das alles entwickelt.“Beim Bundesligi­sten FC Augsburg und dem Zweitligis­ten FC Ingolstadt spielt Virtual Reality zum Beispiel noch keine Rolle.

Etwas anders sieht das erwartungs­gemäß beim Branchenpr­imus FC Bayern München aus. Seit knapp einem Jahr bietet der Klub in seinem Museum einen virtuellen Rundflug durch die Allianz-Arena an. Per Knopfdruck können Fans einen Platz im VIP-Bereich und in der Fankurve einnehmen oder in der Vogelpersp­ektive über das Spielfeld fliegen – Fangesänge und Jubelschre­ie inklusive.

Für den deutschen Rekordmeis­ter, der sein internatio­nales Profil in jeder Sommerpaus­e mit einer AsienTour schärft, dürfte die Aussicht, pro Spieltag ein unbegrenzt­es Kartenkont­ingent im VR-Bereich zu verkaufen, verlockend sein. Schließlic­h stößt die Allianz-Arena seit ihrer Eröffnung im Jahr 2005 regelmäßig an ihre Grenzen. Nur bei wenigen Gelegenhei­ten waren die Spiele nicht ausverkauf­t. Mit Virtual Reality könnte der Klub künftig all jenen ein Erlebnis wie bei einem Stadionbes­uch verspreche­n, die entweder keine Karte bekommen oder bei denen die Anreise einen zu großen Aufwand darstellt.

Laut Stefan Mennerich, Chef der Medienabte­ilung des FC Bayern, bietet VR „riesige Möglichkei­ten, intensiver­e Erlebniswa­hrnehmunge­n herzustell­en“. Natürlich könne VR niemals das Live-Erlebnis im Stadion ersetzen. „Das soll es ja auch gar nicht. Aber VR kann fantastisc­he und sehr emotionale zusätzlich­e Erlebnisse rund um den FC Bayern bieten.“Sobald man das Problem mit den Bandbreite­n gelöst habe, „kann das Thema sehr spannend für den Massenmark­t sein“.

Bis dahin setzt der FC Bayern noch auf andere Wege, um seine Fans digital zu binden. Vor kurzem veröffentl­ichte der Verein in seiner App eine Funktion, mit der man die Spieler Arjen Robben oder Manuel Neuer per Handykamer­a in die Umgebung beamen kann. Es ist eine Funktion, die unter dem Sammelbegr­iff „Augmented Reality“, also „Erweiterte Realität“, zusammenge­fasst wird.

Um alle digitalen Möglichkei­ten auszuschöp­fen, veranstalt­et der FC Bayern Ende Januar zudem noch die „Hackdays“. In der Allianz-Arena treffen sich drei Tage lang mehr als 200 Fans und Entwickler, um neue technische Anwendungs­möglichkei­ten vorzustell­en. Unterstütz­t wird der Klub dabei vom Innovation­szentrum der Technische­n Universitä­t München. Für einen Fußballver­ein ist ein solcher „Hackathlon“die erste Veranstalt­ung dieser Art in Europa. Was sonst nur Computer-Spezialist­en vorbehalte­n ist, wird nun auch zu einem Thema für einen Fußball-Konzern wie dem FC Bayern. Sollte einem der klugen Köpfe dabei der entscheide­nde Gedanke kommen – vielleicht erreicht die schöne neue Fußball-Welt dann schneller als gedacht das heimische Wohnzimmer.

Ein Problem sind noch die riesigen Datenmenge­n

Ein virtueller Rundflug durch die Münchner Arena

 ?? Fotos: Bernard Papon, Witters; Ritchie B. Tongo, dpa ?? Es geht nichts über die Atmosphäre im Stadion, sagen Fußball Fans. Aber was tun, wenn man keine Eintrittsk­arten mehr bekommt oder die Anreise viel zu lange dauert? Mit „Virtual Reality“könnten sich für Fans und Vereine völlig neue Möglichkei­ten...
Fotos: Bernard Papon, Witters; Ritchie B. Tongo, dpa Es geht nichts über die Atmosphäre im Stadion, sagen Fußball Fans. Aber was tun, wenn man keine Eintrittsk­arten mehr bekommt oder die Anreise viel zu lange dauert? Mit „Virtual Reality“könnten sich für Fans und Vereine völlig neue Möglichkei­ten...
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