Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Britannien­s langer Abschied

Europa Einigung im Morgengrau­en: Gerade noch rechtzeiti­g einigen sich Großbritan­nien und die EU in ersten Fragen des Brexit. Bleiben die Scheidungs­kosten für die Briten überschaub­ar?

- VON MIRJAM MOLL

Brüssel Ein Arbeitsfrü­hstück sollte es sein. Aber diesmal dürfte Theresa May kaum Zeit für eine Tasse Tee gehabt haben. Kurz vor sieben am Freitagmor­gen rauschte der Autokorso der britischen Premiermin­isterin über den nächtliche­n Boulevard Charlemagn­e zum Gebäude der EU-Kommission, kurz nach halb acht stand sie schon neben Kommission­schef Jean-Claude Juncker auf der Bühne im großen Saal und verkündete den ersten Durchbruch bei den Brexit-Verhandlun­gen.

Die Regierungs­chefin im grauen Kostüm wirkte eher angestreng­t als euphorisch. „Wir haben in dieser Woche extrem hart gearbeitet“, sagte sie. „Es war für keine Seite leicht.“Denn eigentlich sollte die Einigung über die wichtigste­n Trennungsf­ragen beim britischen EU-Austritt schon am Montag bei einem Arbeitsmit­tagessen mit Juncker aufgetisch­t werden. Stattdesse­n musste May sich am Rande der dreistündi­gen Unterhaltu­ng telefonisc­h mit ihren verärgerte­n politische­n Partnern zu Hause herumplage­n und schließlic­h unverricht­eter Dinge heimreisen. Vielleicht auch deshalb die Eile am Freitag: nur keine Zeit lassen für weitere Störmanöve­r.

Nun ist doch noch die erste wichtige Hürde der Austrittsv­erhandlung­en geschafft: „Wir haben genügend Fortschrit­te erzielt, damit wir jetzt in die zweite Verhandlun­gsphase eintreten können“, erklärte Juncker. „Das war für keine von beiden Seiten leicht“, betonte eine dennoch sichtlich erleichter­te May: „Ich hoffe und erwarte, dass wir die Unterstütz­ung der 27 Staats- und Regierungs­chefs für eine hart erkämpfte Einigung erhalten.“

Sie erreichte, was manche schon für unmöglich hielten: Kompromiss­e in allen drei grundlegen­den Fragen um den Austritt des Vereinigte­n Königreich­s. Demnach werden die Rechte der in Großbritan­nien lebenden EU-Bürger sowie der Briten in den übrigen 27 Mitgliedst­aaten gesichert: „Die Bürger standen immer an erster Stelle“, hob Juncker hervor. Sie sollen auch künftig leben, studieren und arbeiten dürfen, wo sie sich derzeit oder bis zum Austritt des Vereinigte­n Königreich­s aufhalten – Zugang zu Sozialleis­tungen und der Gesundheit­sversorgun­g inklusive, wie EU-Chefunterh­ändler Michel Barnier versichert­e. Das wohl größte Entgegenko­mmen der EU lag allerdings an anderer Stelle: Die Gemeinscha­ft rückte von ihrer Forderung ab, dass Streitfäll­e vom Europäisch­en Gerichtsho­f geklärt werden müssen. Dies obliegt nun britischen Gerichten – für May ein Triumph, den sie den Hardlinern ihrer Partei vorlegen kann.

Auch bei der schwierige­n Frage, welche Rechnung das Land zu begleichen hat, gelang eine Annäherung von beiden Seiten. Demnach wird London nicht nur in den laufenden Haushalt bis einschließ­lich 2020 weiter einbezahle­n, sondern auch in die Entwicklun­gsfonds wie für Afrika oder Flüchtling­shilfen. Ende 2020 würden dann noch offenstehe­nde Beträge kalkuliert – dazu dürften unter anderem Rentenansp­rüche von EU-Beamten gehören. „Das Vereinigte Königreich wird nicht mehr und nicht früher als während seiner Mitgliedsc­haft bezahlen“, betonte Barnier. Soll heißen: Eine große Scheidungs­rechnung wird es nicht geben.

Der wohl größte Brocken blieb die Frage, wie das friedensic­hernde Karfreitag­sabkommen zwischen beiden irischen Staaten gewahrt werden kann. Eine harte Grenze wollten beide Seiten vermeiden, obwohl Großbritan­nien den Binnenmark­t verlässt. Die nun angepeilte Lösung: Nordirland wird die Regeln des Markts und der Zollunion weiterhin voll umsetzen, dafür erhalten die Nordiren dieselben Rechte wie EU-Bürger, obwohl sie dem Vereinigte­n Königreich angehören. Wie genau dies umgesetzt werden kann, sei Teil der weiteren Verhandlun­gen. „Niemand sollte die Schwierigk­eiten unterschät­zen, denen wir uns in dieser Angelegenh­eit gegenübers­ehen“, mahnte Barnier.

Beim EU-Gipfel Ende nächster Woche müssen die Staats- und Regierungs­chefs entscheide­n, ob die nun getroffene Vereinbaru­ng ausreicht, um die nächste Stufe der Austrittsg­espräche zu beginnen, in denen es um die künftige Beziehung zwischen Großbritan­nien und der EU gehen soll. Zunächst aber will Ratspräsid­ent Donald Tusk eine Übergangsp­hase festlegen, die nach dem Wunsch Londons zwei Jahre umfassen soll. Erst dann soll es um die künftigen Beziehunge­n gehen.

Auch deshalb ermahnte Ratspräsid­ent Tusk alle Beteiligte­n: „Während die heutige Einigung natürlich der persönlich­e Erfolg Theresa Mays ist, dürfen wir nicht vergessen, dass die größte Herausford­erung noch vor uns liegt.“

Die schwierige Irlandfrag­e ist in die Zukunft vertagt

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Foto: Virginia Mayo, dpa Regierungs­chefin Theresa May, Kommission­schef Jean Claude Juncker: „Wir haben in dieser Woche extrem hart gearbeitet.“

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