Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Welche Bedingunge­n stellt die SPD?

Interview Bayerns SPD-Chefin Natascha Kohnen ist jetzt auch stellvertr­etende Bundesvors­itzende der Sozialdemo­kraten. Die Münchnerin erklärt, wo für ihre Partei die Knackpunkt­e für eine Neuauflage der Großen Koalition liegen werden

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Frau Kohnen, eigentlich will die SPD keine Neuauflage der Großen Koalition mehr. Kann sie sie noch verhindern? Kohnen: Wir gehen schrittwei­se vor. Der erste Schritt ist ein Gespräch, bei dem wir unsere Vorstellun­gen auf den Tisch legen und unsere Gegenüber bitten, das ebenfalls zu tun. Dann wird man sehen, ob es überhaupt Punkte gibt, auf die man sich verständig­en kann. Wichtig ist mir dabei, dass die Menschen sehen, wofür die SPD steht. Dass es sachlich zugeht, ernsthaft und ruhig.

Wo muss die Union sich denn bewegen, damit Sie einschlage­n?

Kohnen: Ein Punkt ist das Rückkehrre­cht von einer Teilzeit- auf eine Vollzeitst­elle. Das haben wir schon in der letzten Großen Koalition vereinbart, aber immer noch nicht eingeführt. Wir wollen die Abgeltungs­teuer wieder abschaffen, damit Arbeit nicht höher besteuert wird als Kapital. Wir brauchen eine Transaktio­nssteuer auf Finanzgesc­häfte und wir können uns auch eine Wiedereinf­ührung der Vermögenst­euer vorstellen, wenn die Gerichte entschiede­n haben. Wir müssen das Rentennive­au sichern und dafür sorgen, dass die Beiträge nicht weiter steigen – hier meint die Union ja, es gebe nichts zu tun. Und wir wollen ein Einwanderu­ngsgesetz und ein Ende der Zwei-Klassen-Gesellscha­ft in der Medizin mit der Bürgervers­icherung für alle als Ziel.

Den Familienna­chzug hat die SPD gemeinsam mit der Union für einen großen Teil der Flüchtling­e bis Februar 2018 ausgesetzt. Warum wollen Sie diese Regelung nicht mehr verlängern? Kohnen: Das war ein Kompromiss, den wir in der letzten Großen Koalition geschlosse­n haben. Familie ist ein hohes Gut. Familie heißt Geborgenhe­it, Unterstütz­ung und Liebe. Deswegen sollten wir zur Normalität zurückkehr­en und den Geflüchtet­en erlauben, ihre Ehepartner und Kinder nachzuhole­n. Es geht dabei um maximal 60000 Menschen. Gerade bei diesem Thema ist Sachlichke­it wichtig.

Die CSU spricht von bis zu 750000. Rechnen Sie die Lage nicht schön? Kohnen: Es gibt eine einzige wissen- schaftlich­e Untersuchu­ng darüber, wie viele Menschen über den Familienna­chzug nach Deutschlan­d kommen könnten. Diese Untersuchu­ng kommt vom Institut für Arbeitsmar­ktforschun­g. Demnach sind es maximal 60000 Ehepartner und Kinder. Diese Zahlen sollten wir verwenden, wenn wir über das Thema reden. Alles andere ist unseriös.

Sie sind jetzt stellvertr­etende Parteivors­itzende. Sondieren Sie eigentlich mit?

Kohnen: (lacht) Ich bin ja gerade erst gewählt worden. Lassen Sie mir doch ein paar Tage Zeit, dann sehen wir klarer.

Hamburgs Bürgermeis­ter Olaf Scholz wurde von den Delegierte­n mit einem Ergebnis von nicht einmal 60 Prozent abgewatsch­t. Was sagt das eigentlich über eine Partei aus, wenn sie den einzigen Spitzengen­ossen, der regelmäßig Wahlen gewinnt, so demütigt? Kohnen: Ich schätze Olaf Scholz sehr und ich habe kein Verständni­s dafür, dass man einen erfolgreic­hen Ministerpr­äsidenten mit einem solchen Ergebnis bestraft.

Ist er der Partei zu konservati­v? Hat er im Hintergrun­d gegen Schulz gearbeitet? Haben Sie eine Erklärung? Kohnen: Nein, die habe ich nicht, und darüber möchte ich auch nicht spekuliere­n, solange ich nicht mit Olaf Scholz selbst gesprochen habe.

Martin Schulz blieb ein größerer Denkzettel erspart, obwohl er als Kanzlerkan­didat das schlechtes­te Wahlergebn­is aller Zeiten eingefahre­n hat. Wie fest sitzt er als Parteichef noch im Sattel?

Kohnen: Er hat klipp und klar gesagt, dass er das Ergebnis vom 24. September mit zu verantwort­en hat. So gesehen ist sein Wahlergebn­is von 81,9 Prozent ein ehrliches und ein realistisc­hes Ergebnis – und so sieht das auch Martin Schulz selbst.

Die Niederlage bei der Bundestags­wahl war bitter. Was lernen Sie daraus für den bayerische­n Landtagswa­hlkampf?

Kohnen: Nicht nur die SPD, die Politik insgesamt muss einen neuen Stil finden. Die Menschen haben immer mehr das Gefühl, dass wir ihnen nicht mehr zuhören, dass wir uns nicht mehr um ihre Sorgen und Nöte kümmern. Für uns als SPD heißt das: Auf die Menschen hören, eine Sprache sprechen, die jeder versteht, und die Themen annehmen, die den Leuten auf den Nägeln brennen. In Bayern ist das zum Beispiel das Thema bezahlbare­r Wohnraum, damit wiederum hängt ganz stark die Vereinbark­eit von Familie und Beruf zusammen, weil viele Familien schon durch die hohen Lebenskost­en dazu gezwungen werden, dass auch in der Rushhour des Lebens beide Elternteil­e arbeiten.

Was heißt das konkret?

Kohnen: Ich denke dabei zum Beispiel an den weiteren Ausbau der Kinderbetr­euung und eine Familienar­beitszeit, bei der sich beide Elternteil­e ihre Arbeitszei­t weitgehend

Wie sehr verändern eigentlich die Personalen­tscheidung­en bei der CSU die Ausgangsla­ge für die Landtagswa­hl? Ist Markus Söder für Sie ein härterer Gegner, als es Horst Seehofer gewesen wäre, ein Ministerpr­äsident in der Schlusskur­ve seiner Karriere? Kohnen: Dass es wieder ein Mann wird, war absehbar. Ich werde diese Auseinande­rsetzung mit großer Sachlichke­it führen und mich um die Probleme kümmern, die die Menschen im wahren Leben haben. Von der Ego-Show, die die CSU im Moment abzieht, haben die Leute doch die Nase voll. Interview: Rudi Wais O

Natascha Kohnen ist seit Mai Lan desvorsitz­ende der Bayern SPD und seit Donnerstag auch stellvertr­etende Vor sitzende der Bundespart­ei. Die 50 jäh rige Münchnerin hat Biologie studiert und als Redakteuri­n und Lektorin gearbei tet. Sie war Generalsek­retärin der Landes partei, sitzt seit 2008 im Landtag und führt die SPD im nächsten Jahr als Spit zenkandida­tin in die Landtagswa­hl.

„Von der Ego Show, die die CSU im Moment abzieht, haben die Leute die Nase voll.“

 ?? Foto: Gottschalk, Photothek; Imago ?? Die Aufsteiger­in des Parteitage­s: Mit 80,1 Prozent wurde die bayerische Landeschef­in Natascha Kohnen in Berlin zur stellvertr­e tenden Bundesvors­itzenden befördert. Im Herbst fordert sie in Bayern Markus Söder heraus.
Foto: Gottschalk, Photothek; Imago Die Aufsteiger­in des Parteitage­s: Mit 80,1 Prozent wurde die bayerische Landeschef­in Natascha Kohnen in Berlin zur stellvertr­e tenden Bundesvors­itzenden befördert. Im Herbst fordert sie in Bayern Markus Söder heraus.
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