Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Schneller Wechsel in Polen

Hintergrun­d Stück für Stück wurde sie demontiert. Jetzt wirft Premiermin­isterin Beata Szydlo das Handtuch

- VON GABRIELE LESSER

Warschau Nur zwei Jahre regierte Beata Szydlo in Polen. Nach einer endlosen Debatte über ihren Rücktritt gab sich die Ex-Bürgermeis­terin einer Kleinstadt in Oberschles­ien am Donnerstag geschlagen. Zwar dankten ihr der Parteivors­tand und Abgeordnet­e der nationalpo­pulistisch­en Recht und Gerechtigk­eit (PiS) überschwän­glich für die „gute Arbeit“, ernannten aber sofort ihren Nachfolger.

Schon Ende nächster Woche könnte Mateusz Morawiecki (49), der bisherige Minister für Wirtschaft­sentwicklu­ng und Finanzen, den Posten von Szydlo übernehmen. Bei der Gelegenhei­t wird er auch gleich ein paar Minister entlassen und neue ernennen – auf Ansage von Parteichef Jaroslaw Kaczynski (68). Kaum jemand in Polen gibt sich der Illusion hin, Morawiecki könnte etwas anderes sein als eine Marionette Kaczynskis. Warum Szydlo überhaupt gehen muss, ist unklar. Zur Zeit debattiere­n Polens Abgeordnet­e die Demontage des letzten Pfeilers der Gewaltente­ilung: Die Richter sollen nicht mehr unabhängig sein, sondern der Kontrolle der „demokratis­ch gewählten Volksvertr­eter“unterliege­n. Da bei den letzten Parlaments­wahlen im Herbst 2015 die PiS mit einem Stimmenerg­ebnis von gerade mal 37 Prozent die absolute Mehrheit im Sejm und Senat eroberte, heißt das im Klartext: „Staatsanwä­lte und Richter unterliege­n der Parteikont­rolle.“

Zu dem seltsamen Kräfteverh­ältnis im Parlament kam es durch das Wahlsystem, das den Sieger einseitig bevorzugt: Da es vier Parteien nicht über die Fünf- bzw. AchtProzen­t-Hürde (für Parteienbü­ndnisse) schafften, gingen deren Sitze nach dem Prinzip „The winner takes it all“an die PiS.

Ganz zu Beginn sollte Szydlo so etwas wie eine „Mutti“in Sinne der deutschen Bundeskanz­lerin Angela Merkel sein. Tatsächlic­h ist sie bei den meisten Polen aufgrund der üppigen Sozialprog­ramme, insbesonde­re das monatliche Kindergeld in Höhe von rund 125 Euro ab dem zweiten Kind, überaus beliebt. Viele nervte allerdings auch ihre Ergebenhei­t gegenüber Parteichef Kaczynski. Auch im Ausland eckte die Premiermin­isterin Polens mit ihrer ruppig-beleidigen­den Art an. Zudem nahm man ihr die dreisten Lügen über die angebliche Aufnahme von hunderttau­senden Kriegsflüc­htlingen aus der Ukraine übel. So fällt ihre Bilanz dürftig aus: Proteste im ganzen Land gegen die Demontage der Demokratie, Isolierung Polens in der EU, mehrere Rechtsverf­ahren und Klagen vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f.

Mateusz Morawiecki, der Nachfolger Szydlos, wurde bislang als „Wunderkind der PiS“gehandelt, obwohl er der Partei erst 2016 beitrat. Der studierte Historiker schlug nach einem Praktikum bei der Deutschen Bundesbank eine Karriere als Banker ein. Politisch war Morawiecki bislang weniger an Parteiprog­rammen denn an der Macht interessie­rt. So gehörte er ab 2010 zum Beratersta­b des damaligen Premiers Donald Tusk von der liberalkon­servativen Bürgerplat­tform (PO). Die PiS stellt den heutigen EU-Ratsvorsit­zenden gern als Landesverr­äter dar. Nach dem Regierungs­wechsel in Polen 2015 vollzog Morawiecki den fliegenden Wechsel und wurde von der PiS mit offenen Armen aufgenomme­n.

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Foto: afp Rücktritt nach nur zwei Jahren: Beata Szydlo ist zurückgetr­eten.
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Foto: dpa Unruhen im Westjordan­land.

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