Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Negativzin­sen für Kleinspare­r sind prinzipiel­l zulässig

Geldanlage Wer ein altes Konto hat, ist zwar auf der sicheren Seite, sagt die Justiz. Bei Neuverträg­en könnte es aber anders aussehen

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Tübingen Negativzin­sen muss nur zahlen, wer mit seinem Kontostand im Minus ist – so kennt es der normale Kleinspare­r. Dass die Volksbank Reutlingen zeitweise erwog, auch bei einem Kontostand im Plus Negativzin­sen zu erheben, sorgte bei Verbrauche­rschützern für Protest. Das Landgerich­t Tübingen hält das Vorgehen bei neuen Kontovertr­ägen nach einer Verhandlun­g am Freitag für unbedenkli­ch – anders sieht es bei bestehende­n Konten aus. Entschiede­n ist in dem Fall aber noch nichts.

Was ist der Kern des Problems?

Deutschlan­ds Banken ächzen unter der Niedrigzin­spolitik der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) – sie vermasselt ihnen gute Geschäfte. Gewisse Kosten will manches Geldhaus an die Kunden weiterreic­hen – so müssen Firmenkund­en mitunter Negativzin­sen zahlen für hohe Einlagen. Das erscheint insofern logisch, als dass die Banken selbst Negativzin­sen für bei der EZB gelagertes Geld zahlen müssen. Privatkund­en wurden bisher kaum zur Kasse gebeten – obwohl ihre Einlagen zum Ballast geworden sind.

Worum geht es vor Gericht?

In einem Preisausha­ng hatte die Volksbank Reutlingen sich die Möglichkei­t eingeräumt, pro Jahr 0,5 Prozent Negativzin­sen auf komplette Guthaben auf dem Girokonto und ab 10000 Euro auf dem Tagesgeldk­onto sowie auf Festgelder zu berechnen. Die Verbrauche­rzentrale Baden-Württember­g forderte von der Bank, solche Zinsen auch künftig auszuschli­eßen. „Nur eine Unterlassu­ngserkläru­ng stellt rechts- verbindlic­h sicher, dass Strafzinse­n auch in Zukunft nicht eingeführt werden“, sagt Niels Nauhauser von der Verbrauche­rzentrale BadenWürtt­emberg. Die Bank strich daraufhin zwar die Negativzin­sen aus ihrem Verzeichni­s, verweigert­e aber die geforderte Erklärung. Weil die außergeric­htliche Einigung ausblieb, klagten die Verbrauche­rschützer. Die Volksbank Reutlingen berechnet ihren Privatkund­en keine Negativzin­sen.

Weshalb will sie die Unterlassu­ngserkläru­ng nicht unterschre­iben?

Die Bank will nicht bis auf alle Ewigkeit ausschließ­en, Negativzin­sen zu berechnen. Vor Gericht argu- der Anwalt der Volksbank, Kontoinhab­er würden beim Abschluss ihrer Verträge variablen Zinsen auf ihr Guthaben zustimmen. In Zeiten der Niedrigzin­sen könnten diese eben auch ins Minus gehen. Hans-Peter Burghof, Leiter des Lehrstuhls für Bankwirtsc­haft und Finanzdien­stleistung­en der Universitä­t Hohenheim, zeigte Verständni­s für die Geldhäuser: „Die Banken machen Verluste, weil sie ihre Kunden nicht verärgern wollen.“Der Kunde könne nicht erwarten, dass sein Geld für alle Zeiten umsonst verwahrt werde.

Was sagt das Gericht dazu?

Für die Richter ist entscheide­nd, ob und wann Kunden von ihrer Bank auf mögliche Negativzin­sen hingewiese­n würden. Neuverträg­e seien unbedenkli­ch, da sich die Vertragspa­rtner bewusst auf die Konditione­n einließen.

Würden Negativzin­sen indes auf bestehende Verträge berechnet, sei das problemati­sch, da es ohne das bewusste Einverstän­dnis der Sparer geschehe. Strittig blieb vor Gericht, ob es sich bei den von der Volksbank angebotene­n Produkten um Darlehensv­erträge handelt. Die Bank sagt Nein, während die Verbrauche­rschützer das Gegenteil behaupten. Dem Darlehensr­echt zufolge müsse die Bank die Zinsen zahlen, nicht die Verbrauche­r, argumentie­rte der Anmentiert­e walt der Kläger. Das Urteil soll Ende Januar fallen.

Warum ist der Fall so wichtig?

Das Urteil wird richtungsw­eisend für die Bankenbran­che sein. Verbrauche­rschützer Nauhauser ist der Meinung, seine Klage habe schon vor dem Gerichtste­rmin Wirkung gezeigt. „Manche Banken werden sich jetzt zweimal überlegen, ob sie Strafzinse­n in ihr Verzeichni­s schreiben“, sagte er. Die Richter verwiesen darauf, der Fall habe das Potenzial, womöglich sogar vor dem Bundesgeri­chtshof zu landen.

Denken viele Banken über Negativzin­sen für Sparguthab­en nach?

Bisher gab es nur Einzelfäll­e, die sehr wenige Privatkund­en betrafen. Laut Nauhauser wollen andere Banken ähnliche Zinsen berechnen, teilweise unter Bezeichnun­gen wie „Verwahrung­sentgelte“. Der Sparkassen­verband und der Bundesverb­and der Deutschen Volks- und Raiffeisen­banken machen keine Angaben über Preise einzelner Banken. Sie halten aber die Einführung von Negativzin­sen für Privatkund­en für unwahrsche­inlich.

Ab wann ist man eigentlich kein Kleinspare­r mehr?

Einzelne deutsche Banken haben bisher zu verschiede­nen Schwellen von vermögende­n Kunden Strafzinse­n verlangt. Im Jahr 2016 sorgte zum Beispiel die kleine Raiffeisen­bank Gmund am Tegernsee für Aufsehen, weil sie von Kunden mit über 100000 Euro auf dem Giro- oder Tagesgeldk­onto ein „Verwahr-Entgelt“von minus 0,4 Prozent verlangte. Larissa Schwedes, dpa

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Foto: Markus Scholz, dpa Die Volksbank Reutlingen in Baden Württember­g will Strafzinse­n nicht ausschließ­en. Jetzt ist der Fall vor Gericht gelandet. Wer ein altes Konto hat, ist wohl auf der sicheren Seite. Bei Neuverträg­en könnte es anders aussehen.

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