Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Bio ist längst aus der Nische raus“

Interview Vor 30 Jahren wurde Bioland Bayern gegründet. Damals wurde die alternativ­e Bewegung noch belächelt, sagt der Landesvors­itzende Josef Wetzstein. Und erklärt, warum der Freistaat heute in Sachen Öko-Landbau führend ist

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Herr Wetzstein, der Anbauverba­nd Bioland Bayern wird 30 Jahre alt. In den 80er Jahren wurde Bio ja noch belächelt. Haben Sie immer noch das Gefühl, in der Nische zu stecken? Wetzstein: Damals hieß es auch „alternativ­e Bewegung“. Es traute sich niemand, „bio“zu sagen. Heute haben wir eine hohe gesellscha­ftliche Akzeptanz. Wir sind zwar noch nicht so weit, wie wir wollten. Aber aus der Nische sind wir längst raus.

Fast 10 Milliarden Euro haben die Deutschen 2016 für Bio ausgegeben – ein Plus von zehn Prozent. Wie erklären Sie sich diesen Boom?

Wetzstein: Die letzten Jahre sind die Verkaufsza­hlen stark nach oben gegangen. Das liegt vor allem an der Verfügbark­eit. Heute können sie in jedem Bio-Supermarkt, aber auch im Lebensmitt­eleinzelha­ndel bis hin zum Discounter Bio kaufen.

Zwei Drittel der Ware wird im Supermarkt oder beim Discounter verkauft. Billig und bio – passt das zusammen? Wetzstein: Für die Bauern ist die Frage, was sie für ihre Milch oder für ihr Getreide bekommen. Unsere Erfahrung ist: Beim Discounter sind diese Preise häufig nicht niedriger als in anderen Vertriebsw­egen. Klar ist aber auch: Der Verbrauche­r will heute regionale und heimische BioProdukt­e, das können die Discounter so nicht gewährleis­ten. Deswegen braucht es Direktverm­arkter, Naturkostg­eschäfte und den regionalen Lebensmitt­eleinzelha­ndel. Bei Feneberg im Allgäu etwa ist der Bio-Anteil mit zehn Prozent sehr hoch.

Insgesamt liegt der Bio-Marktantei­l bei sechs Prozent. Hat Bio seine Grenzen erreicht?

Wetzstein: Wir sehen überhaupt noch keine Grenze, weil immer mehr Verbrauche­r Wert darauf legen, Bio aus der Region zu kaufen. Und jedes neue Bio-Produkt ersetzt letztlich ein konvention­elles Produkt. Jeder Bauer, der neu in den Öko-Bereich einsteigt, stellt zugleich die konvention­elle Produktion ein. Damit geht es vor allem um einen Umbau der Landwirtsc­haft.

Glauben Sie, dass auch das umstritten­e Glyphosat-Votum von Bundesagra­rminister Christian Schmidt dazu beiträgt, dass mehr Kunden bio kaufen? Wetzstein: Das Problem der konvention­ellen Landwirtsc­haft ist ja, dass sie mit so hohem Pestizidei­nsatz vorgeht. Auf 40 Prozent der Ackerfläch­en wird das Totalherbi­zid Gly- ausgebrach­t. Das nehmen immer mehr Verbrauche­r zum Anlass und sagen: Jetzt kaufe ich bio!

Bayern ist bundesweit spitze, was die Zahl der Bio-Betriebe betrifft. Sind die Chancen für Bauern hier größer? Wetzstein: Das liegt auch daran, dass die Betriebe in Bayern kleiner sind. Nimmt man die Fläche, ist Hessen oder Mecklenbur­g-Vorpommern vorn. Im Freistaat gibt es jetzt 9000 Bio-Betriebe. 2016 waren die Bioland-Umstellung­szahlen so hoch wie noch nie: 13 Prozent mehr Bio-Betriebe, 18 Prozent mehr Bio-Fläche.

Sind das in erster Linie Milchviehb­etriebe, für die Bio dank der Preise in der jüngsten Milchkrise attraktiv war? Wetzstein: Ja, schließlic­h ist Bayern das Milchland Nummer eins, auch bei Bio. Aber auch Ackerbaube­triebe oder Gemüsebaue­rn haben umgestellt. Wir sind in den letzten zwei bis drei Jahren kontinuier­lich in allen Bereichen gewachsen. Das hängt auch mit einer besseren Unterstütz­ung des Freistaats zusammen. Es gibt heute in den Berufsschu­len mehr Angebote, es gibt eine zweite Fachschule, an der die Meister für den ökologisch­en Landbau ausgebilde­t werden. Da ist sehr viel passiert.

Und doch wird das Ziel von Bayerns Agrarminis­ter Helmut Brunner, die Zahl der Bio-Betriebe bis 2020 zu verdoppeln, nicht zu schaffen sein. Wetzstein: Dafür bräuchten wir bis zum Jahr 2020 etwa 13000 Betriebe. Ganz so viele werden es nicht werphosat den. Aber es geht auch nicht um die Zahl. Wichtig ist: Wir sind auf einem guten Weg.

Vor ein paar Jahren musste noch jeder zweite Bio-Apfel und jede zweite BioKarotte importiert werden. Und heute? Wetzstein: Nach wie vor ist das Problem, dass wir nicht genug regionale Bio-Produkte erzeugen. Bayern ist aber kein Apfelland. Auch im Gemüsebere­ich importiere­n wir aus Italien und Spanien. Bei der Bio-Milch aber haben wir 100 Prozent regionale Versorgung knapp erreicht.

Zugleich werden Bio-Betriebe immer größer. Ihr Anbauverba­nd hat zuletzt einen Milchviehh­alter mit 1400 Kühen und 4000 Hektar Fläche aufgenomme­n. Dafür gab es auch Kritik … Wetzstein: Das ist ein Spezialbet­rieb, ein Pionier aus dem Naturkostf­achhandel, der beweisen will, dass auch in einem Großbetrie­b Bio möglich ist. Die Felder sind über mehrere Kilometer verstreut, ein neuer Laufstall für die Kühe wird gebaut. Entscheide­nd ist, dass der Landwirt auch in dieser Größe eine ökologisch­e Tierhaltun­g mit Weidegang realisiert und das Futter auf der eigenen Fläche erzeugt. Letztlich ist es ein spannender Versuch, aber die Ausnahme. In Bayern hat der durchschni­ttliche Bio-Betrieb 38 Hektar Fläche. Interview: Sonja Krell

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Foto: Maurizio Gambarini, dpa Die Karotte ist das unangefoch­tene Bio Lieblingsg­emüse der Deutschen.

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