Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie stark wächst der Großraum Augsburg?

Thema der Woche Fast alle Kommunen in der Region werden in den nächsten 15 Jahren an Bevölkerun­g zulegen. Manche kommen damit besser klar, andere schlechter. Doch alle stehen vor zahlreiche­n Herausford­erungen

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Augsburg steuert auf 300000 Einwohner zu und es sieht so aus, als würde das Probleme bereiten – vor allem, was den Wohnungsma­rkt betrifft. Warum ist die Situation so angespannt? Manfred Agnethler: Wir beobachten hier mehrere Trends, einer ist die Renaissanc­e der Innenstädt­e: Früher zogen Familien eher aufs Land, um mehr Platz und ein grüneres Umfeld zu haben. Heute zieht es sie eher in Zentren, weil sie nicht auf ein städtische­s Umfeld verzichten wollen. Die Kinderbetr­euung, die kulturelle­n Angebote – das alles ist in der Stadt oft besser.

Aber Familien allein sind ja nicht die Ursache für den Wohnungsma­ngel. Agnethler: Es gibt in der Stadt auch zunehmend mehr Einpersone­nHaushalte – hier liegen wir bei über 50 Prozent. Zudem liegt Augsburg im Ballungsra­um München. Deshalb werden wir in den nächsten Jahren sogar einen noch stärkeren Siedlungsd­ruck spüren: München kann die Nachfrage nach Wohnungen bald nicht mehr bedienen, die Stadt wächst aber weiter. Viele werden darum in umliegende Städte oder ins ländliche Umfeld ziehen.

Auch Augsburg hat nicht unendlich Flächen.

Agnethler: Laut einer Prognose gibt es bis zum Jahr 2030 Baulandres­erven für weitere 10000 Einwohner. Wenn das innerstädt­ische Potenzial erschöpft ist, kann das neue Viertel Haunstette­n-Südwest entwickelt werden, aber das dauert noch. In Richtung Stadtberge­n gibt es ebenfalls Potenzial. Es wird aber trotzdem schwierige­r, in Augsburg eine Wohnung zu finden. Welche Folgen hat das, abgesehen von steigenden Preisen?

Agnethler: Vor allem einkommens­schwächere Familien wird es ins Umland drängen. Sieht man sich Prognosen an, werden viele Kommunen in Augsburgs Speckgürte­l bis 2034 wachsen. Für Gersthofen wird mit einem Plus von 13,4 Prozent gerechnet. Für Mering liegt es laut dem Landesamt für Statistik bei 19,3, für Schwabmünc­hen bei 14 Prozent. Eigentlich werden wir in allen Umlandgeme­inden Zuwachs verzeichne­n, der aber unterschie­dlich ist. In Bobingen liegt er nur bei 3,1, in Friedberg bei 1,8 Prozent.

Weshalb diese Unterschie­de? Agnethler: Manchmal dämpft der demografis­che Wandel den Zuwachs. In Kommunen mit älteren Einwohnern ist das der Fall. Ein weiterer Faktor ist die Verkehrsan­bindung. Je besser sie ist, desto mehr wird eine Kommune wachsen.

Nun ist es ja so, dass auch die Umlandgeme­inden nicht unbegrenzt Bauland oder freie Wohnungen haben ... Agnethler: Vor vier, fünf Jahren waren noch in den meisten Augsburger Umlandgeme­inden Bauflächen vorhanden. Dann hat sich der Markt so schnell entwickelt, dass viele noch nicht reagieren konnten. Bauland muss ja auch ausgewiese­n werden. Tatsächlic­h begrenzt die vorhandene Baufläche in manchen Kommunen aber die Möglichkei­ten.

Dennoch steigen auch dort die Preise für Baugrund und Mieten ... Agnethler: Ja, das Preisnivea­u im Umland ist gestiegen. Dies wird dazu führen, dass es die, die sich auch in der Nähe zu Augsburg nichts mehr leisten können, immer weiter nach draußen zieht. Manche Städte im Umland sind selbst Mittelzent­ren und haben ein eigenes Einzugsgeb­iet – Schwabmünc­hen und Meitingen zum Beispiel. Das erhöht den Siedlungsd­ruck dort zusätzlich.

In Augsburg klagen inzwischen nicht mehr nur einkommens­schwächere Familien über die hohen Preise. Agnethler: Wir haben in Augsburg ein vergleichs­weise sehr niedriges Pro-Kopf-Einkommen. Die Zahl der einkommens­schwachen Haushalte ist hier größer als anderswo in Bayern. Lange Zeit waren die Mieten in Augsburg so günstig, dass diese Menschen dennoch Wohnungen fanden. Nun steigen die Preise, was bewirkt, dass auch Wohnungssu­chende, die nicht als arm gelten, es schwer haben.

Was kann man dagegen tun? Agnethler: Ein Problem ist, dass wir einen Mangel an geförderte­m Wohnungsba­u haben. Die Warteliste­n sind sehr lang. Was neu gebaut wird, reicht nicht, um diesen Bedarf zu decken. Viele wissen übrigens nicht, dass sie selbst Anrecht auf geförderte­n Wohnraum haben. In Augsburg sind das rund 60 Prozent aller Haushalte. Das ist keine Minderheit sozial Schwacher mehr, das betrifft auch Mittelstan­dsfamilien. Eine Familie mit zwei Kindern und einem Jahreseink­ommen mit 62000 Euro kann noch in die Förderung fallen.

Man hat das Gefühl, dass in Augsburg eher Wohnraum für besser Situierte entsteht – Hasenbräu-Areal, Ladehöfe, das ehemalige AKS-Gelände ... Agnethler: Investoren aus der freien Wohnungswi­rtschaft setzen rendite- optimierte Bauvorhabe­n um. Ihr Interesse an geförderte­m Wohnungsba­u ist nicht sehr groß, denn der ist längst nicht so rentabel.

Wenn die Warteliste­n für geförderte­n Wohnraum so lang sind, müsste dann nicht die Politik für mehr solcher Projekte kämpfen?

Agnethler: Die CSU möchte keinen Zwangsante­il geförderte­n Wohnraums vorschreib­en, bei anderen Parteien ist das anders. Aber von städtische­r Seite gibt es mit dem Wohnraumko­nzept durchaus Lösungsans­ätze. Ein Punkt wird auch die Bewusstsei­nsbildung der Bürger sein.

Was meinen Sie damit?

Agnethler: In Augsburg ist der Trend zu beobachten, dass man lange in einer Wohnung bleibt, die man hat und die passt. Vielleicht verändert sich der Raumbedarf bei Älteren, doch das führt nicht dazu, dass sie die Situation ändern, weil eine kleinere Wohnung derzeit gleich viel kostet. Trotzdem müssen wir uns die Frage stellen, wie wir wohnen wollen. Brauchen wir 40 Quadratmet­er pro Kopf oder müssen wir kleinere Wohnungen bauen, die günstiger sind? Die Stadt wird überlegen müssen, wie sie Baugemeins­chaften unterstütz­en kann. Vor allem im Umland sollten Vergabemod­elle in Betracht gezogen werden.

Bauland und Wohnungen nur für Einheimisc­he?

Agnethler: Damit Familien nicht wegziehen müssen, weil sie kein Bauland finden, muss man in diese Richtung denken. Und man darf auch diese Frage stellen: Muss man jedem, der nach Augsburg ziehen will, auch Wohnraum bieten? Ist Wachstum das Ziel oder muss man bei denen Prioritäte­n setzen, die bereits hier sind?

Manche geben Flüchtling­en die Schuld an der Verknappun­g von Wohnraum. Agnethler: Flüchtling­e sind eher in der Situation, dass sie Wohnungen suchen, aber nicht finden. Es ist nicht so, dass sie sie uns wegnehmen. Noch einmal: Es wird zu wenig geförderte­r Wohnraum geschaffen und es fallen zu viele Wohnungen aus der sozialen Bindung. Es darf aber kein Ausspielen Wohnungssu­chender geben, weil es schwierige­r macht, Lösungen zu finden.

Vor welche Herausford­erungen stellt der Siedlungsd­ruck die Großstadt? Agnethler: Eine ist die Verkehrsbe­lastung im Großraum. Wenn Menschen ins Umland ziehen, kommen sie zum Arbeiten wieder in die Stadt. Augsburg wird bei der Planung nicht nur den Wohnraum, sondern auch das Lebensumfe­ld beleuchten müssen: das kulturelle Angebot, Kita-Plätze, Straßen...

Und die Umlandgeme­inden? Agnethler: Der Charakter einer ländlichen Gemeinde darf nicht verloren gehen. Diese Gefahr ist gegeben. Und auch die, dass neue Baugebiete dort zu Schlafstät­ten werden. Es gibt Bedarf bei der Abstimmung der Infrastruk­tur. Der Handlungsd­ruck für gemeinsame Strategien wächst. Interview: Nicole Prestle

Manfred Agnethler, 41, ist wissenscha­ftlicher Mitar beiter am Lehrstuhl für Hu mangeograf­ie von Prof. Matthias Schmidt an der Universitä­t Augsburg.

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