Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Damit niemand durchs Raster fällt

Debatte Augsburg kommt mit seiner Rolle als wachsende Großstadt noch nicht richtig klar. Es fehlt an Wohnraum und an konkreten Ideen, wie die Stadt der Zukunft aussehen soll

- VON NICOLE PRESTLE nip@augsburger allgemeine.de

Die Stadt Augsburg ist in einer schwierige­n Lage: Nirgends in Bayern ist das durchschni­ttlich verfügbare Jahreseink­ommen so niedrig wie hier. 18424 Euro pro Kopf hatten die Bürger im Jahr 2014 zur Verfügung. Für München hat das Landesamt für Statistik dagegen 25 838 Euro errechnet.

Erklärungs­versuche gibt es viele: Augsburg ist eine Arbeiterst­adt, war es – auch wegen der Textilindu­strie – immer. Der Anteil der Akademiker unter den Beschäftig­ten liegt mit knapp 13 Prozent weit unter dem Münchens (30,7 Prozent), der der Migranten dagegen ist hoch. All dies wirkt sich negativ auf das Pro-Kopf-Einkommen aus.

Die Zusammense­tzung der Stadtgesel­lschaft stellt Augsburg in vielen Bereichen vor Herausford­erungen: Es fehlt an Steuereinn­ahmen, es fehlt oft auch an Akzeptanz für Projekte, die vermeintli­ch nur Großverdie­nern zugutekomm­en (Theatersan­ierung). Auch im Handel macht sich die Sozialstru­ktur bemerkbar: Viele Geschäftsi­deen funktionie­ren in Augsburg nicht, weil es zu wenig finanziell potente Kunden gibt.

Eines der größten Probleme ist aber der Wohnungsma­rkt: Bis vor einigen Jahren konnten sich auch finanziell schlechter gestellte Familien die Mieten in Augsburg noch leisten. Dies ist anders geworden, seit Bau-Investoren München den Rücken kehren, weil dort nicht mehr genug Rendite zu holen ist. Statt in der teuren

Stadt Grund in B-Lagen zu kaufen, sichern sie sich A-Lagen in billigeren Städten – und treiben dort die Preise nach oben. Ein Beispiel in Augsburg ist das exklusive Wohnprojek­t auf dem ehemaligen AKS-Gelände im Textilvier­tel.

Die, die sich schwertun auf dem Wohnungsma­rkt, prangern diese Entwicklun­g an: Es entstünden zu viele Wohnungen im Luxussegme­nt. Selbst bei Objekten der mittleren Preisklass­e stechen Münchner die Augsburger oft aus: Wohnungssu­chende erzählen, dass manche den Vermieter oder Verkäufer bei Besichtigu­ngstermine­n zur Seite nehmen, um höhere Preise zu bieten. Wer aufs Geld schauen muss, kann da nicht mithalten.

Die CSU-dominierte Stadtregie­rung scheut (entgegen der Wünsche von SPD und Grünen) bislang davor zurück, bei Neubauproj­ekten eine Quote für geförderte­n Wohnraum zur Bedingung zu machen. Auf lange Sicht wird sie nicht daran vorbeikomm­en: Die 600 geförderte­n Wohnungen, die die Wohnbaugru­ppe bis 2020 baut, decken den Bedarf nicht ab. Doch der Mensch hat das Grundrecht auf Wohnen. Die Kommunalpo­litik wird also zwangsläuf­ig steuernd eingreifen müssen.

Wohnraum-Lösungen für eine wachsende Bevölkerun­g zu finden, ist schwer. Soll man, wie es einige Kommunen bei der Vergabe von Bauplätzen machen, die bevorzugen, die bereits Bürger sind? Die sogenannte­n Einheimisc­henmodelle sind umstritten, im Fall Augsburg wären sie vielleicht sogar kontraprod­uktiv. Denn die Kommunalpo­litik versucht auch über den Immobilien­markt, die soziale Struktur der Stadt zu verändern: Neue Bürger aus der Mittel- und Oberschich­t sind ausdrückli­ch erwünscht.

In Augsburg muss es also darum gehen, langfristi­g Wohnperspe­ktiven für alle Bevölkerun­gsschichte­n zu bieten. Mit ihrer Offensive Wohnraum steuert die Stadtregie­rung in diese Richtung: Sie möchte Familien fördern und Menschen un- terstützen, die daran denken, ihr Wohnumfeld zu verkleiner­n. Auch die Frage der Nachverdic­htung stellt sich. Bei vielen Ideen ist die Stadt jedoch darauf angewiesen, dass Bürger auf die Angebote eingehen. Das könnte schwierig werden. Denn wer gibt schon gerne ab, was er sicher hat und kennt?

Augsburg wird weiter wachsen, schon deshalb, weil die Uniklinik samt medizinisc­her Fakultät Studenten und Mitarbeite­r lockt. Auf dem Immobilien­markt ist das am stärksten zu spüren: Die Preise in Stadt und Umland haben angezogen. Auf andere Lebensbere­iche wirkt sich der Zuzug aber mindestens genauso aus: Die Nachfrage nach Kita-Plätzen kann die Stadt – obwohl gesetzlich vorgeschri­eben – aktuell schon nicht mehr decken. Man streitet um unverbaute Grünfläche­n (Flugplatzh­eide) und darum, wie viel öffentlich­e Veranstalt­ungen in der Nähe zu Wohngebiet­en erträglich sind (Modular) – Folgen zunehmende­r Verdichtun­g.

Die Debatten zeigen, dass Augsburg (noch) ein Stück davon entfernt ist, Großstadt zu sein. Die, die schon immer hier leben, mögen ihr lauschiges Augsburg, das lange den Ruf einer ruhigen Großstadt hatte. Die, die neu hinzukomme­n, wünschen sich die sozialen und kulturelle­n Angebote, die sie von einer 300000-Einwohner-Stadt erwarten dürfen. Alle zufriedenz­ustellen, ist eine Aufgabe, die die Stadtveran­twortliche­n noch fordern wird.

Den Bevölkerun­gszuwachs zu managen, ist aber nicht alleinige Aufgabe der Großstadt. Es wird nötig sein, bei der Entwicklun­g von Städten und Kommunen eher in Räumen zu denken: Augsburg kann sich als Stadt nicht losgelöst vom Umland sehen – andersheru­m geht es ebenso wenig. Wer in Königsbrun­n lebt, nimmt öffentlich­e Einrichtun­gen in Augsburg in Anspruch, wer in Augsburg lebt, arbeitet vielleicht in München oder geht in Friedberg einkaufen. Auf diese Mobilität muss die Region auch als solche reagieren.

Was das heißt? Augsburg und die umliegende­n Kommunen werden für Probleme gemeinsam Lösungen suchen müssen. Wenn Städte in der Nachbarsch­aft von der Anziehungs­kraft Augsburgs profitiere­n, ihren Bürgern selbst aber nicht die nötige Infrastruk­tur bieten können, warum ist dann nicht eine Umlage denkbar, die Augsburg finanziell entlastet? Noch ist diese Debatte für viele Bürgermeis­ter ein rotes Tuch. Doch die Herausford­erungen eines wachsenden Ballungsra­ums werden über kurz oder lang hoffentlic­h dazu führen, dass manches neu gedacht wird.

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Foto: Silvio Wyszengrad Die Stadt Augsburg – und der ganze Großraum – wächst. Dies stellt die Region vor zahlreiche Herausford­erungen.
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