Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Damit niemand durchs Raster fällt
Debatte Augsburg kommt mit seiner Rolle als wachsende Großstadt noch nicht richtig klar. Es fehlt an Wohnraum und an konkreten Ideen, wie die Stadt der Zukunft aussehen soll
Die Stadt Augsburg ist in einer schwierigen Lage: Nirgends in Bayern ist das durchschnittlich verfügbare Jahreseinkommen so niedrig wie hier. 18424 Euro pro Kopf hatten die Bürger im Jahr 2014 zur Verfügung. Für München hat das Landesamt für Statistik dagegen 25 838 Euro errechnet.
Erklärungsversuche gibt es viele: Augsburg ist eine Arbeiterstadt, war es – auch wegen der Textilindustrie – immer. Der Anteil der Akademiker unter den Beschäftigten liegt mit knapp 13 Prozent weit unter dem Münchens (30,7 Prozent), der der Migranten dagegen ist hoch. All dies wirkt sich negativ auf das Pro-Kopf-Einkommen aus.
Die Zusammensetzung der Stadtgesellschaft stellt Augsburg in vielen Bereichen vor Herausforderungen: Es fehlt an Steuereinnahmen, es fehlt oft auch an Akzeptanz für Projekte, die vermeintlich nur Großverdienern zugutekommen (Theatersanierung). Auch im Handel macht sich die Sozialstruktur bemerkbar: Viele Geschäftsideen funktionieren in Augsburg nicht, weil es zu wenig finanziell potente Kunden gibt.
Eines der größten Probleme ist aber der Wohnungsmarkt: Bis vor einigen Jahren konnten sich auch finanziell schlechter gestellte Familien die Mieten in Augsburg noch leisten. Dies ist anders geworden, seit Bau-Investoren München den Rücken kehren, weil dort nicht mehr genug Rendite zu holen ist. Statt in der teuren
Stadt Grund in B-Lagen zu kaufen, sichern sie sich A-Lagen in billigeren Städten – und treiben dort die Preise nach oben. Ein Beispiel in Augsburg ist das exklusive Wohnprojekt auf dem ehemaligen AKS-Gelände im Textilviertel.
Die, die sich schwertun auf dem Wohnungsmarkt, prangern diese Entwicklung an: Es entstünden zu viele Wohnungen im Luxussegment. Selbst bei Objekten der mittleren Preisklasse stechen Münchner die Augsburger oft aus: Wohnungssuchende erzählen, dass manche den Vermieter oder Verkäufer bei Besichtigungsterminen zur Seite nehmen, um höhere Preise zu bieten. Wer aufs Geld schauen muss, kann da nicht mithalten.
Die CSU-dominierte Stadtregierung scheut (entgegen der Wünsche von SPD und Grünen) bislang davor zurück, bei Neubauprojekten eine Quote für geförderten Wohnraum zur Bedingung zu machen. Auf lange Sicht wird sie nicht daran vorbeikommen: Die 600 geförderten Wohnungen, die die Wohnbaugruppe bis 2020 baut, decken den Bedarf nicht ab. Doch der Mensch hat das Grundrecht auf Wohnen. Die Kommunalpolitik wird also zwangsläufig steuernd eingreifen müssen.
Wohnraum-Lösungen für eine wachsende Bevölkerung zu finden, ist schwer. Soll man, wie es einige Kommunen bei der Vergabe von Bauplätzen machen, die bevorzugen, die bereits Bürger sind? Die sogenannten Einheimischenmodelle sind umstritten, im Fall Augsburg wären sie vielleicht sogar kontraproduktiv. Denn die Kommunalpolitik versucht auch über den Immobilienmarkt, die soziale Struktur der Stadt zu verändern: Neue Bürger aus der Mittel- und Oberschicht sind ausdrücklich erwünscht.
In Augsburg muss es also darum gehen, langfristig Wohnperspektiven für alle Bevölkerungsschichten zu bieten. Mit ihrer Offensive Wohnraum steuert die Stadtregierung in diese Richtung: Sie möchte Familien fördern und Menschen un- terstützen, die daran denken, ihr Wohnumfeld zu verkleinern. Auch die Frage der Nachverdichtung stellt sich. Bei vielen Ideen ist die Stadt jedoch darauf angewiesen, dass Bürger auf die Angebote eingehen. Das könnte schwierig werden. Denn wer gibt schon gerne ab, was er sicher hat und kennt?
Augsburg wird weiter wachsen, schon deshalb, weil die Uniklinik samt medizinischer Fakultät Studenten und Mitarbeiter lockt. Auf dem Immobilienmarkt ist das am stärksten zu spüren: Die Preise in Stadt und Umland haben angezogen. Auf andere Lebensbereiche wirkt sich der Zuzug aber mindestens genauso aus: Die Nachfrage nach Kita-Plätzen kann die Stadt – obwohl gesetzlich vorgeschrieben – aktuell schon nicht mehr decken. Man streitet um unverbaute Grünflächen (Flugplatzheide) und darum, wie viel öffentliche Veranstaltungen in der Nähe zu Wohngebieten erträglich sind (Modular) – Folgen zunehmender Verdichtung.
Die Debatten zeigen, dass Augsburg (noch) ein Stück davon entfernt ist, Großstadt zu sein. Die, die schon immer hier leben, mögen ihr lauschiges Augsburg, das lange den Ruf einer ruhigen Großstadt hatte. Die, die neu hinzukommen, wünschen sich die sozialen und kulturellen Angebote, die sie von einer 300000-Einwohner-Stadt erwarten dürfen. Alle zufriedenzustellen, ist eine Aufgabe, die die Stadtverantwortlichen noch fordern wird.
Den Bevölkerungszuwachs zu managen, ist aber nicht alleinige Aufgabe der Großstadt. Es wird nötig sein, bei der Entwicklung von Städten und Kommunen eher in Räumen zu denken: Augsburg kann sich als Stadt nicht losgelöst vom Umland sehen – andersherum geht es ebenso wenig. Wer in Königsbrunn lebt, nimmt öffentliche Einrichtungen in Augsburg in Anspruch, wer in Augsburg lebt, arbeitet vielleicht in München oder geht in Friedberg einkaufen. Auf diese Mobilität muss die Region auch als solche reagieren.
Was das heißt? Augsburg und die umliegenden Kommunen werden für Probleme gemeinsam Lösungen suchen müssen. Wenn Städte in der Nachbarschaft von der Anziehungskraft Augsburgs profitieren, ihren Bürgern selbst aber nicht die nötige Infrastruktur bieten können, warum ist dann nicht eine Umlage denkbar, die Augsburg finanziell entlastet? Noch ist diese Debatte für viele Bürgermeister ein rotes Tuch. Doch die Herausforderungen eines wachsenden Ballungsraums werden über kurz oder lang hoffentlich dazu führen, dass manches neu gedacht wird.