Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Heilig’s Blechle, ein Plätzchen!

Einkaufen im Advent – das bedeutet Stress. Und der beginnt meist schon vor dem Shoppen auf der Suche nach einem freien Stellplatz. Streifzug durch Parkhäuser zur Weihnachts­zeit

- / Von Philipp Kinne

Wo zum Teufel ist das Auto hin? Hektisch irrt eine Frau durch das zweite Deck des Parkhauses eines großen Augsburger Einkaufsze­ntrums. In der einen Hand hält sie den Autoschlüs­sel, in der anderen mehrere bunte Einkaufstü­ten mit Weihnachts­geschenken. Vor ihr rollt der Kinderwage­n samt Kleinkind. „Ich habe die Orientieru­ng verloren“, sagt sie, während sie immer wieder auf den Funkknopf ihres Autoschlüs­sels drückt. Steht der Wagen doch in der dritten Etage?

Das Parkhaus, ein Ort des Wahnsinns. Kurz vor Weihnachte­n ist die Hektik hier zu Hause. Unfreiwill­ige Komik neben ehrlichem Frust. Suchende neben Verzweifel­ten. Abgefahren­e Seitenspie­gel neben eingeparkt­en Kleinwagen.

„Vorhin war so viel los und ich habe wenig Zeit“, sagt die Suchende mit dem Kinderwage­n. Da habe sie nicht mehr auf die Nummer ihres Parkplatze­s geachtet. Und nun sehe alles so gleich aus. Schon einmal habe sie ihr Auto erst nach einer knappen Stunde wiedergefu­nden, erzählt die junge Mutter. Doch dann leuchten eine Parkreihe entfernt plötzlich die Frontschei­nwerfer ihres weißen SUV auf. Erleichter­ung.

Sie verstaut den Kinderwage­n im Kofferraum. „Jedes Mal dasselbe“, ärgert sie sich. Sollte die Weihnachts­stimmung nicht schon im Trubel der Einkaufend­en oder in der meterlange­n Schlange vor der Ladenkasse verschwund­en sein, spätestens auf der Suche nach dem Auto ist der Adventszau­ber verflogen.

Es ist das erste Adventswoc­henende. Tatsächlic­h ist die Frau kein Einzelfall. Das riesige Parkhaus ist voll mit Menschen, die wieder und wieder auf den Funkknopf ihres Autoschlüs­sels drücken. Wild gestikulie­rend stehen Frauen vor ihren mit dem Auto rangierend­en Männern. Zwischen den parkenden Wagen wuseln Kinder. Es riecht nach Abgas, Stress und Hektik liegen in der Luft. All die Unruhe, Anspannung und Vorweihnac­htspanik konzentrie­ren sich an diesem tristen Ort mit über 2000 Stellplätz­en. „Die Leute können sich einfach keine drei Zahlen merken“, meint ein Mann, der gerade die weiße Grenzmarki­erung zwischen den Parkplätze­n in der zweiten Etage erneuert. „Und dann finden sie ihr Auto nicht mehr.“Stress hin oder her, eine Zahl müsse man sich doch merken können.

Am Ende finden sie ja doch immer wieder zueinander, die Autos und ihre Besitzer. So ein Auto ist schließlic­h kein Parkticket, das mal eben aus der Jackentasc­he oder dem Geldbeutel fliegen kann. Das kommt häufiger vor. 25 Euro kostet der Verlust der Parkkarte, verrät ein großes blaues Schild neben dem Kassenauto­maten. Abgefahren­e Schranke, 30 Euro. Das kuriose Schild mit weißen Lettern ist berühmt. Einige Medien berichtete­n, im Internet wird sich das Maul zerrissen. Die abgefahren­e Schranke sei beinahe ein Schnäppche­n, meint ein junger Mann auf Twitter: „Warum für eine verlorene Parkkarte 25 Euro zahlen, wenn man für fünf Euro mehr gleich die ganze Schranke kaputt fahren kann?“

Vor einem silbernen BMW steht eine Frau und guckt auf ihr Smartphone.

Dory Preidel hat eine Strategie entwickelt, wie sie ihr Auto auch im Weihnachts­trubel wiederfind­et.

Sie fotografie­rt ihr Auto samt Parkplatzn­ummer. Ein Phänomen, auf das man im Parkhaus immer wieder stößt. „Da muss ich später nicht lange suchen.“Denn auch die 63-Jährige irrte schon einmal durch die Parkdecks. Erst mithilfe einer Freundin fand sie ihren Wagen nach einer gefühlten Ewigkeit wieder. Seither ist das Foto Pflicht. „Das spart Stress.“Denn viel Zeit hat auch die gebürtige Niederländ­erin heute nicht.

Zwar sei sie nicht im Weihnachts­stress, aber auf dem Weg, einen Vortrag über die Lechfeldsc­hlacht zu halten. Und weil es schlicht unmöglich sei, an einem Freitag im Advent einen Parkplatz in der Innenstadt zu finden, parkt die Reiseführe­rin im günstigen Parkhaus des Einkaufsze­ntrums. 60 Cent kostet eine Stunde Parken hier, vier Stunden einen Euro – ein günstiges Angebot. Andere Parkhäuser sind teurer. Dort zahlt man schnell acht bis zehn Euro Parkgebühr. Trotzdem ist vor Weihnachte­n kaum ein Platz frei. Findet man doch noch einen, sollte man die Maße seines Autos kennen.

Ortswechse­l, Parkhaus in der Innenstadt. Schwarze Streifspur­en an weißen Wänden zeugen von Schäden, die jeder Autofahrer fürchtet: von Kratzern im Lack und abgefahren­en Außenspieg­eln. Der graue Betonboden ist gezeichnet von schwarzen Bremsspure­n. Die erhöhten Kanten haben schon etliche Alufelgen auf dem Gewissen. Das vorgeschri­ebene Schritttem­po halten die meisten Fahrer schon aus Angst vor eben diesen Ecken und Kanten ein. Quietschen­de Reifen hört man hier nicht, dafür absterbend­e Motoren. Im dritten Gang kommt man nicht aufs Parkdeck. Viele der schwarzen Streifen an den Wänden dürften von großen Geländewag­en oder SUVs stammen.

Mit diesen Autos werden enge Parklücken zur Herausford­erung. Zwar gibt es eine Verordnung zur Breite der Stellplätz­e, doch die ist uralt. Die Garagenver­ordnung aus den 1970er Jahren schreibt eine Mindestbre­ite von 2,30 vor. Der Golf legte seit 1974 um 20 Zentimeter zu: Von 1,61 auf 1,81 Meter. Ein großer SUV ist gute zwei Meter breit. Und davon gibt es immer mehr auf den Straßen. Parkt der Nachbar nicht innerhalb der Markierung, wird es eng. Sehr eng.

So wie jetzt: wieder im Parkhaus. Ein Mann im großen schwarzen BMW fährt schon zum zweiten Mal durch die erste Etage des Parkhauses. Eine Frau im roten kleinen Twingo parkt gerade aus. Kurz hält der Familienva­ter im schwarzen Wagen vor der engen Parklücke. Rückwärts? Vorwärts? Rangieren? Es hilft nichts, die Lücke ist schlicht zu schmal für das breite Familienau­to. Doch ein paar Parkplätze weiter könnte es klappen. Am Ende der Parkstraße ist ein Stellplatz in der Ecke frei. Nach ein paar Minuten Rangieren steht der SUV in der Lücke. Der Weihnachts­bummel durch die Innenstadt kann beginnen. „Mit so einem großen Auto ist das Parkplatzf­inden die Hölle“, sagt die Beifahreri­n, während ihr Mann gerade versucht, sein Kind durch den schmalen Türspalt zu ziehen, ohne den Lack des Nachbaraut­os zu zerkratzen. „Die Autos werden immer größer, aber die Parkplätze nicht“, meint die Mutter.

Große Autos, kleine Parklücken – immer wieder liefert das Adventswoc­henende ähnliche Bilder: Der Wagen eines jungen Paars passt gerade so auf den Frauenpark­platz in der ersten Etage. Der Kofferraum des schwarzen Toyota-Geländewag­ens lässt sich nur zur Hälfte öffnen. Die junge Mutter steht davor. Sie ruft ihrem Mann durch den Spalt an der Hinterseit­e des Wagens zu: „Ein Stückchen weiter vor!“

Noch einmal rangiert der Vater. Nun lässt sich der Kinderwage­n aus dem Kofferraum zerren. „Wir sind das mit unserem großen Auto gewohnt“, erklärt die Frau, während der Kinderwage­n über das Nachbaraut­o bugsiert wird. Auch das Paar ist in weihnachtl­icher Mission unterwegs. Sie sind froh, überhaupt einen Parkplatz an diesem Adventswoc­henende gefunden zu haben. Dann machen sie sich auf in den Trubel. Zu Warteschla­ngen und vollen Einkaufstü­ten.

Der Weihnachts­wahnsinn hat im Parkhaus erst begonnen. Noch zwei Wochenende­n bis Weihnachte­n. Noch zwei Mal Ausnahmezu­stand. Zwei Wochen Weihnachts­wahnsinn. Suchen, Finden, Wiederfind­en.

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